Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Einsichtnahme des Gemeinschuldners in die finanzgerichtlichen Prozessakten während des Insolvenzverfahrens
Leitsatz (NV)
Hat das Insolvenzgericht während eines anhängigen finanzgerichtlichen Verfahrens die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Klägers auf einen vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen, so ist der Kläger nicht befugt, ohne Zustimmung des Insolvenzverwalters im gerichtlichen Verfahren einen Antrag zur Einsichtnahme in die Gerichtsakte zu stellen.
Normenkette
FGO § 78; InsO § 21 Abs. 2; AO § 34 Abs. 3
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte gegen das klageabweisende Urteil des Finanzgerichts wegen Einkommensteuer 1996 beim Bundesfinanzhof (BFH) Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Während des anhängigen Verfahrens beim BFH hat das zuständige Insolvenzgericht mit Beschluss vom 17. Juni 2005 unter anderem für den Kläger gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2, Halbsatz 1 InsO dem Kläger als Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt sowie die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Klägers auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übertragen.
Nachdem der vorläufige Insolvenzverwalter mitgeteilt hatte, er werde eine Entscheidung über die Aufnahme des Rechtsstreits nicht treffen, weil ihm keinerlei Informationen über das Vermögen des Klägers vorlägen, hat der Senat mit Beschluss vom 15. Dezember 2006 das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde in den Registern des BFH gelöscht. Zur Begründung hat er ausgeführt, das Beschwerdeverfahren sei in sinngemäßer Anwendung des § 240 Satz 1 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) unterbrochen; mit einer Aufnahme des Verfahrens sei gegenwärtig nicht zu rechnen; eine Fortsetzung zu einem späteren Zeitpunkt sei ungewiss.
Eine gegen diesen Beschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen.
Unter dem 28. August 2009 hat der Kläger durch einen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt beantragt, ihm Akteneinsicht zu gewähren. Das Insolvenzverfahren ändere nichts an seiner Rechtsstellung als Eigentümer oder Gläubiger. Er bleibe Kläger und sei somit als Beteiligter nach § 78 FGO zur Akteneinsicht berechtigt. Er könne weiterhin die Personen seiner Wahl mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen. Das allgemeine Verfügungsverbot nach § 21 InsO ändere daran nichts. Die Einsichtnahme in Verfahrensakten sei keine Verfügung über das Vermögen und auch kein Akt der Prozessführung, sondern sie diene lediglich als Information zum Verfahrensstand, wie dies das Grundrecht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes vorsehe.
Entscheidungsgründe
II. Der vom Kläger persönlich gestellte Antrag auf Akteneinsicht ist abzulehnen.
Der Kläger ist derzeit nicht mehr Beteiligter i.S. von § 78 FGO und dementsprechend nicht befugt, ohne Zustimmung seines Insolvenzverwalters im finanzgerichtlichen Verfahren einen Antrag zur Einsichtnahme in die Gerichtsakte zu stellen. Nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative InsO verliert der Gemeinschuldner mit Auferlegung eines allgemeinen Verfügungsverbots die Befugnis, sein zur Insolvenzmasse gehöriges Vermögen zu verwalten und über dasselbe zu verfügen. Gleichzeitig geht das Verwaltungs- und Verfügungsrecht auf den sog. "starken" Insolvenzverwalter über ohne Rücksicht darauf, ob er den Rechtsstreit bereits aufgenommen hat.
Der vorläufige "starke" Insolvenzverwalter hat dann grundsätzlich die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren.
Mit dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht (§ 34 Abs. 3 der Abgabenordnung) erhält der "starke" Insolvenzverwalter die Befugnis, die Insolvenzmasse betreffende Prozesse zu führen. Verfahrensrechtlich ist er damit als Rechtsnachfolger des Gemeinschuldners Partei.
Ihm steht deshalb --auch bereits vor Aufnahme des Prozesses-- das Recht zur Akteneinsicht i.S. von § 78 FGO zu (vgl. BFH-Beschluss vom 13. November 2003 V B 131/01, BFH/NV 2004, 642; Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Januar 1997 IX ZR 220/96, Neue Juristische Wochenschrift 1997, 1445). Ab der Auferlegung des allgemeinen Verfügungsverbots ist nur noch der Insolvenzverwalter prozessführungsbefugt; nur er kann das prozessuale Recht auf Akteneinsicht geltend machen (vgl. BFH- Beschluss vom 23. Mai 2000 IX S 5/00, BFH/NV 2000, 1134).
Dieser Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 2251951 |
BFH/NV 2010, 56 |