Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrevision; Entscheidung durch Einzelrichter; Entscheidung ohne Gründe
Leitsatz (NV)
Die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter kann nur dann erfolgreich mit der Revision gerügt werden, wenn die diesbezügliche Entscheidung des FG greifbar gesetzwidrig ist. Ob dies bei einer (objektiv) willkürlichen Anwendung der Übertragungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 FGO in Betracht kommen kann, bleibt offen.
Eine zulassungsfreie Verfahrensrevision kann nicht erfolgreich lediglich damit begründet werden, das Urteil sei lückenhaft und das FG sei nicht auf bestimmte Einzelheiten des Sachverhalts, auf einzelne Tatbestandsmerkmale oder rechtliche Gesichtspunkte oder auf einzelne Argumente der Beteiligten eingegangen (st. Rspr. des BFH).
Normenkette
FGO § 6 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Nr. 5
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten in ihrer Einkommensteuererklärung 1990 (Streitjahr) ihnen im Zusammenhang mit der Veräußerung ihres alten und dem Erwerb eines neuen Wohnhauses entstandene Aufwendungen von 52 348 DM geltend. Sie tragen vor, sich zu dem Erwerb eines neuen Hauses deshalb gezwungen gesehen zu haben, weil das Schlagen der Kirchturmuhr und das Glockengeläut der in unmittelbarer Nachbarschaft des alten Hauses errichteten katholischen Kirche bei dem Kläger aufgrund traumatischer Kindheitserlebnisse während der Flucht im Jahre 1945 zu schweren gesundheitlichen Störungen geführt habe.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) erkannte den vorgenannten Betrag nicht als steuermindernd an. Die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) durch Einzelrichterentscheidung abgewiesen und zur Begründung seines Urteils im wesentlichen folgendes ausgeführt:
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei zwischen als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigenden unmittelbaren Krankheitskosten und mittelbaren Krankheitskosten zu unterscheiden. Aufwendungen für Maßnahmen, die nicht unter den Begriff der Heilbehandlung fielen, seien keine außergewöhnliche Belastung. Die von den Klägern getätigten Aufwendungen für den Wohnsitzwechsel seien mittel bare Krankheitsaufwendungen. Die im Zusammenhang mit dem Glockengeläut auf getretenen körperlichen und seelischen Symptome bei dem Kläger hätten zwar Krankheitscharakter gehabt. Gleichwohl stelle der Wohnortwechsel keine Heilmaßnahme im eigentlichen Sinne dar; mit einer kausalen medizinischen bzw. medikamentösen Behandlung sei er nicht vergleichbar. Vielmehr handele es sich um Folgekosten einer Erkrankung.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der Revision, die auf § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gestützt wird. Zu dem Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts wird vorgetragen, der Rechtsstreit habe nicht nach § 6 FGO auf den Einzelrichter übertragen werden dürfen. Die Möglichkeit der Einzelrichterentscheidung sei grundsätzlich bereits verfassungsrechtlich bedenklich, da in ihr eine Einschränkung der Rechtsprüfung im finanzgerichtlichen Verfahren liege. Jedenfalls aber habe der Streitfall deshalb nicht auf den Einzelrichter übertragen werden dürfen, weil schon der Sachverhalt überdurchschnittliche Schwierigkeiten aufweise. Überdies sei eine Senatsentscheidung wegen der schwierigen Abgrenzung zwischen mittelbaren und unmittelbaren Krankheitsaufwendungen geboten gewesen. Insbesondere die Frage, ob die Meidung psychischer Belastungen stets zu mittelbaren Krankheitsaufwendungen führe, sei in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten.
Die Rüge, die Entscheidung sei nicht mit Gründen versehen, begründet die Revision damit, das FG habe nicht hinreichend deutlich gemacht, welche rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen der Annahme zugrunde liegen, es handele sich um mittelbare Krankheitsaufwendungen. Das FG-Urteil zitiere lediglich formelle Rechtsprechung des BFH und begründe weder konkret, warum mittelbare Krankheitsaufwendungen in keinem Falle der Regelung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unterworfen sein könnten, noch aus welchen Gründen im konkreten Fall lediglich von mittelbaren Krankheitsaufwendungen ausgegangen werden müsse.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig und daher nach § 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen.
Nach §§ 115 Abs. 1, 116 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs findet die Revision nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der BFH sie zugelassen hat oder wenn wesentliche Mängel des Verfahrens nach § 116 FGO gerügt werden. Das FG oder der BFH haben die Revision nicht zugelassen. Auch ein Grund, bei dem die Revision nach § 116 FGO ohne Zulassung stattfände, ist nicht, wie es insoweit für eine zulässige Revision erforderlich wäre, gerügt, d. h. schlüssig dargetan. Denn in der Revisionsschrift sind keine Tatsachen bezeichnet, die wesentliche Mängel des Verfahrens ergeben.
1. Aus der Entscheidung des FG, den Rechtsstreit nach § 6 Abs. 1 FGO einem seiner Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung zu übertragen, ergibt sich der Revisionsgrund des § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO nicht. Diese Entscheidung ist nach § 6 Abs. 4 Satz 1 FGO unanfechtbar. Sie unterliegt folglich nach § 124 Abs. 2 FGO nicht der Beurteilung der Revision. Aus § 6 Abs. 4 Satz 2 FGO folgt nicht (im Umkehrschluß) etwas anderes. Nach der Rechtsprechung des BFH kann deshalb die Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter nach § 6 Abs. 1 FGO nur dann erfolgreich mit der Revision gerügt werden, wenn die diesbezügliche Entscheidung des FG greifbar gesetzwidrig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1994 II R 69/93, BFH/NV 1994, 725, und vom 17. April 1996 VI R 105/95, BFH/NV 1996, 767). Das ist in dem Fall in Betracht gezogen worden, daß der Einzelrichter nicht formell ordnungsgemäß berufen worden ist. Ob und unter welchen näheren Voraussetzungen auch bei einer (objektiv) willkürlichen Anwendung der Übertragungsvoraussetzungen des § 6 Abs. 1 FGO die Übertragung greifbar gesetzwidrig in dem vorgenannten Sinne sein kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn es fehlt im vorliegenden Fall jedenfalls an objektiver Willkür bei der Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter, weil die Würdigung des FG, daß der Rechtsstreit keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, zumindest vertretbar ist. Die rechtlichen Voraussetzungen für die Anerkennung von Aufwendungen im Zusammenhang mit einer Krankheit sind u. a. durch zahlreiche Entscheidungen des BFH weitgehend geklärt, ohne daß in der Revisionsbegründung dargelegt oder sonst erkennbar wäre, welche neuen, besonders schwierigen Rechtsfragen der Streitfall insoweit aufwerfen würde. Ebenso ist weder dargelegt noch erkennbar, welche besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher Art im Streitfall vorgelegen haben sollen.
Sofern das Revisionsvorbringen ferner dahin zu verstehen sein sollte, daß die Ver fassungswidrigkeit des § 6 FGO gerügt werden soll, fehlt es an für eine zulässige Revisionsrüge erforderlichen Darlegungen, die einen Verfassungsverstoß des Gesetzgebers des § 6 FGO zumindest als möglich erscheinen lassen.
2. Die Revision ist auch nicht nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO statthaft. In der Revisionsschrift sind keine Tatsachen bezeichnet, aus denen sich der Verfahrensmangel, daß die Entscheidung des FG nicht mit Gründen versehen ist, ergibt.
Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen einer Entscheidung die Gründe zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig mit Gründen versehen worden ist. Der Revisionsgrund des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist vielmehr bereits dann gegeben, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, der selbständige Anspruch oder das selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel in dem Verfahren vor dem FG geltend gemacht worden ist und es sich um einen wesentlichen Streitpunkt gehandelt hat (Beschluß des Senats vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638, m. w. N.). Hingegen kann eine Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht erfolgreich lediglich damit begründet werden, daß ein Urteil lückenhaft sei oder daß das FG auf Einzelheiten des Sachverhalts, auf einzelne Tatbestandsmerkmale oder rechtliche Gesichtspunkte oder auf einzelne Argumente der Beteiligten nicht eingegangen sei (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 10/94, BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707; BFH-Beschlüsse vom 9. November 1990 X R 67/89, BFH/NV 1991, 546, und vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325). Denn diese Rügen richten sich gegen die Anwendung des materiellen Rechts (BFH-Beschlüsse vom 18. Februar 1993 VI R 23/92, BFH/NV 1993, 552, und vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351); sie bezeichnen also keinen Verfahrensmangel.
In der Revisionsbegründung ist kein Anspruch und kein weiteres, selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel bezeichnet, das von den Klägern vor dem FG geltend gemacht worden ist, einen wesentlichen Streitpunkt bildete und mit dem sich das FG nicht auseinandergesetzt hat. Die Angriffe der Revision richten sich vielmehr in Wahrheit gegen die Richtigkeit der materiell- rechtlichen Würdigung des FG, das in seinem Urteil durch Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH ausreichend dargelegt hat, von welchen Rechtssätzen es bei seiner Entscheidung ausgegangen ist, und das auch die Subsumtion der im Streitfall festgestellten Tatsachen unter diese Rechtssätze in einer den Anforderungen des § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO entsprechenden Weise damit begründet hat, der Umzug der Kläger sei "keine Heilmaßnahme im eigentlichen Sinne", weil er sich mit einer "Behandlung" nicht vergleichen lasse. Ob diese Begründung zutreffend und überzeugend ist, unterliegt nicht der Beurteilung im Verfahren der zulassungsfreien Verfahrensrevision nach § 116 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 422257 |
BFH/NV 1997, 860 |