Entscheidungsstichwort (Thema)
Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
Leitsatz (NV)
1. Zwar dürfen in Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen grundsätzliche im Wege des Urkundenbeweises in den FG-Prozess eingeführt werden. Die Verwertung von Aussagen Dritter in anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist aber dann nicht zulässig, wenn sich dem Gericht eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss.
2. Auch von einem fürsorglichen und verantwortungsbewusst agierenden Prozessvertreter kann ohne Überspannung seiner Sorgfaltspflichten nicht verlangt werden, dass er in Voraussicht eines erst den Urteilsgründen zu entnehmenden Verfahrensfehlers des Gerichts auf der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besteht.
Normenkette
ZPO § 295; FGO § 81 Abs. 1, § 116 Abs. 6, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 12.08.2004; Aktenzeichen VII 284/2000) |
Tatbestand
I. Streitig ist, ob Aufwendungen einer Pferdewirtin für die Teilnahme an Reitturnieren als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Abzug gebracht werden können.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) war im Streitjahr 1997 nach Abschluss ihrer Ausbildung als Pferdewirtin bei der G-GbR (GbR), die das Gut X betreibt, als Pferdewirtin tätig. Der Bruttoarbeitslohn belief sich auf 18 600 DM; ferner hatte die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von rd. 25 500 DM. Zu ihren Aufgaben gehörte u.a. die Ausbildung und Pflege von Pferden, die von Kunden der GbR auf dem Gut eingestellt waren. Die Klägerin nahm im Streitjahr an insgesamt 14 Turnieren teil.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin u.a. "Dienstreisekosten" in Höhe von 12 160 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Neben Abschreibungen in Höhe von 5 000 DM für die Anschaffung eines Pferdetransporters handelte es sich dabei um weitere Kfz-Kosten und Verpflegungsmehraufwendungen. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ließ die geltend gemachten Kosten im Einkommensteuerbescheid mangels Nachweis nicht zum Abzug zu. Im Einspruchsverfahren machte die Klägerin geltend, die Aufwendungen ständen im Zusammenhang mit den genannten Turnierbesuchen. Diese seien im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses notwendig gewesen. Sie sei selbst unter dem Namen "B, Reit- und Zuchthof Gut X" gestartet. Daneben habe sie jeweils Kunden der GbR als Trainerin und Betreuerin begleitet. Während des Einspruchsverfahrens erklärte die Gesellschafterin der GbR, Frau G, gegenüber dem FA lt. Aktenvermerk vom 6. November 1998 (vgl. FA-Akte Bl. 55) telefonisch Folgendes:
"Frau B ist beim Gut X beschäftigt. Arbeitsvertrag müsste vorliegen - wird gefaxt -. Frau B hat fünf eigene Pferde im Gut untergestellt. Kosten für die Unterstellung wurden nicht berechnet, dafür erhält Frau B weniger Arbeitslohn.
Der Besuch von Reitveranstaltungen liegt in der Hauptsache im eigenen Interesse von Frau B. Sie macht nebenbei Werbung für das Gut. Fahrtkosten werden deshalb nicht erstattet. Nur dann, wenn Frau B Pferde von Einstellern transportiert. Dies ist allerdings äußerst selten".
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Die Klage, mit der die Klägerin Aufwendungen in Höhe von 13 617 DM (Kfz-Kosten einschließlich Abschreibungen: 12 211 DM; Verpflegungsmehraufwendungen: 1 406 DM) als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit bzw. als vorweggenommene Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb geltend machte, wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurück. Es hat die Revision zum Bundesfinanzhof (BFH) nicht zugelassen.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin u.a. eine Reihe von Verfahrensfehlern, die dem FG unterlaufen seien, u.a. dadurch, dass sie den Aktenvermerk des FA vom 6. November 1998 als Urkundsbeweis in das Verfahren eingeführt habe. Auf diese Weise habe das FG gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verstoßen.
Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt gemäß § 116 Abs. 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das FG hat gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 81 FGO) verstoßen, denn es hat den Aktenvermerk des FA im Wege des Urkundenbeweises verwertet, obwohl die Erhebung des unmittelbaren Beweises möglich war.
1. Nach § 81 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das Gericht den Beweis in der mündlichen Verhandlung zu erheben. Dies bedeutet neben dem (formellen) Erfordernis eigener Anschauung durch die Richter des erkennenden Spruchkörpers, dass diese die für die Entscheidung notwendigen Tatsachen im weitestmöglichen Umfang aus der Quelle selbst schöpfen müssen, d.h. bei mehreren in Betracht kommenden Beweismitteln die Beweisaufnahme mit demjenigen durchzuführen haben, das ihnen den "unmittelbarsten" Eindruck von dem streitigen Sachverhalt vermittelt (Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme). Das bloß mittelbare Beweismittel darf deshalb grundsätzlich zulässigerweise nur verwendet werden, wenn die Erhebung des unmittelbaren Beweises unmöglich, unzulässig oder unzumutbar erscheint. Zwar dürfen in Behördenakten protokollierte Auskünfte und Wahrnehmungen grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in den FG-Prozess eingeführt werden. Die Verwertung von Aussagen Dritter in anderen Verfahren im Wege des Urkundenbeweises ist aber dann nicht zulässig, wenn sich dem Gericht eine eigene Vernehmung dieser Personen als Zeugen aufdrängen muss (BFH-Urteile vom 1. Februar 2001 V R 6/00, BFH/NV 2001, 941, m.w.N.; vom 29. Januar 1997 II R 67/94, BFH/NV 1997, 767).
2. Nach der Rechtsauffassung des FG können Aufwendungen, die zwar einen Bezug zur Berufstätigkeit haben, gleichzeitig aber auch zu einer Betätigung, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung aus persönlichen Neigungen ausgeübt wird, nur dann als Werbungskosten berücksichtigt werden, wenn dargelegt werden kann, dass die Betätigung für die Berufsausübung nicht nur nützlich ist oder vom Arbeitgeber gewünscht wird, sondern dass sie für die Ausübung des Berufs letztlich unerlässlich ist. Die Klägerin habe, so das FG in diesem Zusammenhang, einen entsprechenden Nachweis nicht erbracht. Die von Frau G dem FA gegenüber gemachten Angaben besagten vielmehr, dass die Teilnahme der Klägerin an den Turnieren für ihre Arbeitgeberin wegen der damit verbundenen Werbung für das Gut X zwar sehr erwünscht gewesen, aber in erster Linie in ihrem eigenen Interesse erfolgt sei. Diese Darstellung halte der Senat schon im Hinblick auf die Relation zwischen dem Bruttoarbeitslohn von 18 600 DM und den im Zusammenhang mit der Teilnahme an den Turnieren geltend gemachten Kosten von zuletzt 13 617 DM für glaubhaft.
Unter diesen Umständen hätte es sich für das FG aufdrängen müssen, die Aussage von Frau G nicht im Wege des Urkundenbeweises in den Prozess einzuführen, sondern zumindest diese Person als Zeugin zu hören. Dem angefochtenen Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass die Vernehmung von Frau G als Zeugin durch das FG unmöglich, unzulässig und unzumutbar war. Dafür ist auch sonst nichts ersichtlich.
3. Die Klägerin hat ihr Recht, die Verletzung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme als Verfahrensfehler zu rügen, nicht gemäß § 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung dadurch verloren, dass sie diese Rüge nicht schon in der mündlichen Verhandlung, in der sie durch den Prozessbevollmächtigten vertreten war, erhoben hat. Denn es kann auch von einem fürsorglichen und verantwortungsbewusst agierenden Prozessvertreter ohne Überspannung seiner Sorgfaltspflichten nicht verlangt werden, dass er in Voraussicht eines erst den schriftlichen Urteilsgründen zu entnehmenden Verfahrensfehlers des Gerichts auf der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme besteht (BFH-Urteil in BFH/NV 1997, 767). Aus der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ergibt sich jedenfalls nicht, dass der Aktenvermerk des FA Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
4. Da die Beschwerde der Klägerin bereits wegen dieses wesentlichen Verfahrensfehlers Erfolg hat, kann offen bleiben, ob auch die weiteren mit ihr erhobenen formellen Rügen durchgreifen.
Fundstellen