Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausfuhrerstattung trotz Rückvergütung der Einfuhrabgaben und Reexport
Leitsatz (NV)
Werden die Ausfuhrwaren nach Verarbeitung in dem Bestimmungsland und bei der Einfuhr zugesagter Vergütung der Einfuhrabgaben in ein anderes Drittland weiter exportiert, steht dies der Gewährung von Ausfuhrerstattung nicht entgegen (Anschluss an das EuGH-Urteil vom 21. Juli 2005 C-515/03). Das gilt auch unter der Verordnung (EG) 800/1999.
Normenkette
EGV 800/1999 Art. 15; EGV 2988/95 Art. 4 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) begehrt vom Beklagten und Revisionskläger (Hauptzollamt --HZA--) die Gewährung von differenzierter Ausfuhrerstattung für Rindfleisch, das sie mit Ausfuhranmeldung vom Dezember 1999 nach Polen ausgeführt hat. Das Fleisch ist dort nach dem von der Klägerin vorgelegten Zolldokument zu einem "Verfahren zur aktiven Veredelung im Rahmen des Systems der Zollrückvergütung" abgefertigt worden (Code 4100). Das Fleisch ist nach dem unbestrittenen Vortrag der Klägerin in Polen offenbar zu Wurstwaren verarbeitet worden, die zum geringen Teil in Polen verblieben, überwiegend jedoch nach Russland ausgeführt worden sein sollen. Ob insofern die erhobenen Einfuhrzölle tatsächlich rückvergütet worden sind, ist ungeklärt.
Das HZA hat den Ausfuhrerstattungsantrag der Klägerin abgelehnt, weil das Fleisch nicht in das Drittland Polen eingeführt worden sei. Die hiergegen erhobene Klage hatte jedoch Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte, nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 800/1999 (VO Nr. 800/1999) der Kommission vom 15. April 1999 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- Nr. L 102/11) müsse das Erzeugnis, für das Erstattung begehrt wird, zwar in das Drittland eingeführt worden sein. Nach Abs. 3 der Vorschrift gelte das Erzeugnis jedoch als eingeführt, wenn die Einfuhrzollförmlichkeiten und insbesondere die Förmlichkeiten im Zusammenhang mit der Erhebung der Einfuhrzölle in dem betreffenden Drittland erfüllt worden sind. Das sei hier geschehen. Die Ware sei in Polen zum freien Verkehr abgefertigt worden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des HZA. Das HZA begründet seine Revision im Wesentlichen damit, dass nicht nachgewiesen sei, dass die aus der Veredelung hervorgegangenen Wurstwaren in Polen vermarktet worden sind. Eine Abfertigung zu einem aktiven Veredelungsverkehr mit anschließender Wiederausfuhr erfülle nicht die Voraussetzung des tatsächlichen Erreichens des Bestimmungsmarktes (Hinweis auf das Senatsurteil vom 7. Mai 2002 VII R 5/01, BFH/NV 2002, 1189). Vielmehr sei für das System der differenzierten Ausfuhrerstattung wesentlich, dass die Ware tatsächlich den betreffenden Bestimmungsmarkt erreicht und auf diesem in den Verkehr gebracht wird (Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 28. März 1996 Rs. C-299/94, EuGHE 1996, I-1925, und den Senatsbeschluss vom 10. Dezember 2002 VII B 139/02, BFH/NV 2003, 670). Nach dem Urteil des EuGH vom 21. Januar 1999 Rs. C-54/95 (EuGHE 1999, I-35) sowie dem Senatsurteil vom 21. März 2002 VII R 35/01 (BFHE 198, 247) sei der Begriff des Erreichens einer Bestimmung nicht im geographischen, sondern im funktionellen Sinne zu verstehen. Denn das System differenzierter Ausfuhrerstattungen verfolge das Ziel, die Märkte der in Betracht kommenden Drittländer für den Gemeinschaftsexport zu erschließen und zu erhalten und trage dementsprechend durch eine Differenzierung des Erstattungsbetrages den Besonderheiten des jeweiligen Einfuhrmarktes Rechnung (Hinweis auf das EuGH-Urteil vom 11. Juli 1984 Rs. 89/83, EuGHE 1984, 2815 Rdnr. 8). Komme es wie in dem hier in Polen angewandten Verfahren zu einer Rückerstattung der Einfuhrabgaben, fehle es an der wichtigsten Komponente einer Einfuhr und damit einem Rechtsgrund für die Zahlung der Ausfuhrerstattung. In diesem Falle Ausfuhrerstattung zu gewähren, laufe deren Sinn zuwider. Denn in diesem Falle konkurrierten die Einfuhrwaren nicht in vollem Umfang mit inländischen und auf dem Inlandsmarkt frei verfügbaren ausländischen Waren. Wie sich aus dem Stempelabdruck in dem polnischen Zolldokument ergebe, sei das dortige Zollverfahren überdies zeitlich begrenzt gewesen mit der Maßgabe, die Veredelungserzeugnisse bis zum 30. September 2000 auszuführen oder ihnen eine andere zollrechtliche Bestimmung zukommen zu lassen. Eine zumindest vorübergehende Überführung in den freien Verkehr habe also nicht stattgefunden.
Aus der Rechtsprechung des EuGH ergebe sich nichts anderes. Im Streitfall und bei dem im EuGH-Urteil vom 21. Juli 2005 Rs. C-515/03 (Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern --ZfZ-- 2005, 306) entschiedenen Fall handle es sich um verschiedene Ausgangssachverhalte. In dem vom EuGH beurteilten Fall sei die Ware in den freien Verkehr im Drittland überführt worden, es seien alle Eingangsabgaben entrichtet worden und die Ware habe keinerlei Beschränkungen oder Auflagen unterlegen und nicht unter zollamtlicher Überwachung gestanden. Im Streitfall hingegen sei sie zu einem aktiven Veredelungsverkehr abgefertigt worden und habe unter zollamtlicher Überwachung mit der zwingenden Maßgabe gestanden, die Veredelungserzeugnisse bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auszuführen oder ihnen eine andere zollrechtliche Bestimmung zukommen zu lassen. Das FG habe nicht festgestellt, dass die Ware in dem Drittland Polen zum freien Verkehr abgefertigt worden sei. Das FG habe vielmehr eine Abfertigung zum aktiven Veredelungsverkehr festgestellt und diese "von der Wirkung her" dem freien Verkehr gleichgesetzt, da kein spezielles Zollverfahren vorgeschrieben sei und somit auch ein anderes Verfahren als das des freien Verkehrs denkbar wäre. Das habe das FG aus dem --von der Vorgängervorschrift abweichenden-- Wortlaut des Art. 15 Abs. 3 der VO Nr. 800/1999 geschlossen, wo für die Ausfuhrerstattung nur die Erfüllung der "Einfuhrzollförmlichkeiten" gefordert und ein spezielles Zollverfahren nicht benannt werde. Hingegen habe der EuGH in dem vorgenannten Urteil das Erfordernis der Erfüllung der Zollförmlichkeiten für die Abfertigung zum freien Verkehr bekräftigt, wie dieses auch eindeutig in der Vorgängervorschrift, Art. 17 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 (VO Nr. 3665/87) über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABlEG Nr. L 351/1), enthalten gewesen sei.
Die Annahme des FG, die streitgegenständliche Ware sei zumindest vorübergehend zum freien Verkehr abgefertigt gewesen, beruhe auf Schlussfolgerungen aufgrund der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen. Der gemeinschaftsrechtliche Code für die aktive Zollveredelung und Zollrückvergütung beinhalte die Abfertigung zum freien Verkehr (Code 4100). Aus der dem HZA vorliegenden Übersetzung des im Streitfall verwendeten polnischen Codes 4100 ergebe sich dies hingegen nicht; er laute lediglich "Verfahren zu aktiven Veredelungen im Rahmen des Systems der Zollrückvergütung". Zudem ergebe sich aus anderen dem HZA vorliegenden polnischen Zolldokumenten, dass durchaus auch Abfertigungen zum freien Verkehr (gemeint: im Rahmen eines aktiven Veredelungsverkehrs mit Zollrückvergütung) vorgenommen worden sind.
Das --demnach hier nicht erfüllte-- Erfordernis einer Überführung der Ware in den freien Verkehr habe auch die Kommission erst kürzlich erneut bekräftigt.
Das HZA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision des HZA zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat kann über die Revision des HZA gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss entscheiden, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Revision unbegründet ist (§ 126 Abs. 2 FGO) und eine mündliche Verhandlung nicht erfordert. Die Beteiligten sind hierzu gehört worden.
Das Urteil des FG entspricht dem Gemeinschaftsrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
Der EuGH hat mit dem Urteil in ZfZ 2005, 306 entschieden, die in Art. 17 Abs. 3 VO Nr. 3665/87 aufgestellte Bedingung für den Erhalt einer differenzierten Ausfuhrerstattung sei erfüllt, wenn das Erzeugnis nach Entrichtung der Einfuhrabgaben in dem Bestimmungsland einer wesentlichen Be- oder Verarbeitung i.S. von Art. 24 des Zollkodex (ZK) unterzogen wird, auch wenn das aus dieser Be- oder Verarbeitung stammende Erzeugnis anschließend unter Rückvergütung der in diesem Land entrichteten Zölle und Zahlung der Eingangsabgaben der Gemeinschaft wieder in die Gemeinschaft zurückverbracht wird. Nach Zahlung der Einfuhrzölle im Bestimmungsdrittland gelte ein Erzeugnis als in dieses Land eingeführt. Die wesentliche Be- oder Verarbeitung des Erzeugnisses im Drittland i.S. von Art. 24 ZK beweise, dass dieses Erzeugnis im Drittland verwertet wurde und dass es tatsächlich Zugang zum Markt des Bestimmungsgebiets gefunden hat, indem es dort zum freien Verkehr abgefertigt wurde. Aus keiner Bestimmung der VO Nr. 3665/87 könne gefolgert werden, dass die Einfuhr eines Erzeugnisses nicht endgültig zur Erfüllung der Zollformalitäten führe und dass das Erzeugnis letztlich nicht zum freien Verkehr abgefertigt worden sei, wenn die Eingangsabgaben später zurückerstattet worden sind. Dass ein passiver Veredelungsverkehr bei Gemeinschaftswaren, deren Ausfuhr zur Gewährung von Ausfuhrerstattungen führt, nicht zulässig wäre, ändere daran nichts.
Diese vom EuGH angestellten Überlegungen müssen erst recht durchgreifen, wenn die Ausfuhrwaren --wie offenbar im Streitfall-- in dem Bestimmungsland nach Verarbeitung verblieben oder in ein anderes Drittland weiter exportiert worden sind. Die VO Nr. 800/1999, deren Art. 15, soweit es hier interessiert, im Wesentlichen Art. 17 VO Nr. 3665/87 entspricht, hat die Bedingungen für die Gewährung von Ausfuhrerstattung insoweit jedenfalls nicht zu Lasten des Exporteurs verschärft.
Das FG hat daher zu Recht geurteilt, dass die Klägerin Anspruch auf die von ihr beantragte Ausfuhrerstattung hat.
Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des FG ist davon auszugehen, dass für die streitigen Waren bei der Abfertigung in Polen die Einfuhrabgaben erhoben und entrichtet worden sind. Anders würde die Zusage einer "Zollrückvergütung" nach aktiver Veredelung, die unstreitig erteilt worden ist, auch keinen Sinn machen. Nach Zahlung der Einfuhrzölle im Bestimmungsdrittland gilt ein Erzeugnis nach dem o.g. Urteil des EuGH als in dieses Land eingeführt. Diese Entscheidung ist zwar zu Art. 17 Abs. 3 der (Vorgänger-)Verordnung Nr. 3665/87 ergangen; dass für die Nachfolgevorschrift des Art. 15 Abs. 3 VO Nr. 800/1999 nicht sinngemäß das Gleiche gelten sollte, ist aber schwerlich anzunehmen, und zwar selbst wenn man der Ansicht des FG nicht folgt, dass diese Nachfolgevorschrift insoweit sogar die Erstattungsvoraussetzungen gelockert habe, in dem sie nicht mehr die Überführung in ein "spezielles Zollverfahren" (gemeint: die Überführung in den freien Verkehr) verlangt.
Entgegen der Ansicht des HZA ist der erkennende Senat auch daran gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO), dass das FG festgestellt hat, die Ware sei zum freien Verkehr in Polen abgefertigt worden. Zulässige und begründete Revisionsrügen sind gegen die Feststellungen des FG nicht erhoben worden. Die Ansicht des HZA, es handele sich lediglich um rechtliche Schlussfolgerungen des FG, ist nicht zutreffend. Das FG ist nämlich davon ausgegangen, dass in Polen --entsprechend der Regelung des ZK-- ein Verfahren angewandt wird, in dem Waren zunächst in den freien Verkehr überführt und Eingangsabgaben erhoben werden, bei der Ausfuhr der aus den Waren gewonnenen Veredelungserzeugnisse diese Eingangsabgaben jedoch erlassen oder erstattet werden (Urteilsabdruck S. 7 erster Absatz). Es hat daran anschließend festgestellt, dass die streitgegenständliche Ware in dieses Verfahren überführt worden ist (nämlich, so das FG, "…in diesem speziellen Verfahren zumindest vorübergehend in den freien Verkehr Polens überführt und damit eingeführt worden ist"). Dass die Waren unter zollamtlicher Überwachung gestanden hätten, wie das HZA vorträgt, hat das FG nicht festgestellt.
Die dagegen vom HZA erhobenen Einwände, aus der Übersetzung des polnischen Codes 4100 und aus dem Vergleich mit anderen Zolldokumenten sei zu schließen, dass es in Polen neben dem vom FG beschriebenen Verfahren ein "Verfahren zur aktiven Veredelung im Rahmen des Systems der Zollrückvergütung" ohne Abfertigung zum freien Verkehr gegeben habe, richtet sich im Kern gegen die Richtigkeit der tatrichterlichen Feststellungen und kann daher im Revisionsverfahren nicht zu einer anderen Entscheidung führen.
Es ist vom FG nichts dazu festgestellt und auch vom HZA nicht substantiiert behauptet worden, dass Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2988/95 des Rates vom 18. Dezember 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften (ABlEG Nr. L 312/1) eingreife, der nach vorgenannter Entscheidung des EuGH der Gewährung von Ausfuhrerstattung trotz Vorliegens der Voraussetzungen gleichwohl entgegenstehen kann und der bestimmt, dass Handlungen, die nachgewiesenermaßen die Erlangung eines Vorteils zum Ziel haben, der den Zielsetzungen der einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften zuwiderläuft, indem künstlich die Voraussetzungen für die Erlangung dieses Vorteils geschaffen werden, zur Folge haben, dass der betreffende Vorteil nicht gewährt bzw. entzogen wird.
Da das FG mithin der Klage ohne Rechtsirrtum stattgegeben hat, ist die Revision des HZA mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO zurückzuweisen. Für das vom HZA begehrte Ersuchen an den EuGH, zu klären, ob bei Abfertigung einer Ware zum aktiven Veredelungsverkehr statt zum freien Verkehr die Fiktion der Einfuhr der Ware und damit Anspruch auf Ausfuhrerstattung besteht, ist danach kein Raum, weil sich diese Frage auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG im Streitfall nicht stellt.
Fundstellen
Haufe-Index 1581469 |
BFH/NV 2006, 2141 |