Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilweises Fehlen von Entscheidungsgründen
Leitsatz (NV)
1. Die Begründung eines Urteils dient vor allem der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, auf welchen Feststellungen und Überlegungen die richterliche Entscheidung beruht. Dazu muss das Gericht zwar nicht auf jede Einzelheit des Sachverhalts und des Beteiligtenvortrags ausführlich eingehen. Ein Verstoß gegen das Begründungsgebot liegt jedoch vor, wenn das Gericht einen wesentlichen Streitpunkt nicht erörtert.
2. Wird im Urteil von der Begründungserleichterung nach § 105 Abs. 5 FGO Gebrauch gemacht, so ist die Verweisung auf die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf oder auf die Begründung des Verwaltungsakts nur dann ausreichend, wenn die in Bezug genommene Verwaltungsentscheidung Ausführungen zu allen entscheidungserheblichen selbständigen Angriffsmitteln und Verteidigungsmitteln enthält.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 5, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 6
Verfahrensgang
FG Köln (Urteil vom 11.06.2008; Aktenzeichen 4 K 4432/05) |
Tatbestand
I. Zwischen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) und der Beigeladenen bestand eine GbR, die ein Altenheim betrieb. Die Ehemänner der Klägerin und der Beigeladenen waren an drei Gesellschaften beteiligt, von denen eine das Altenheimgebäude und das Altenheiminventar an die GbR vermietete und eine andere die Hauswirtschaft des Altenheims unterhielt.
Nachdem es zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann auf der einen Seite und der Beigeladenen und deren Ehemann auf der anderen zu (Rechts-)Streitigkeiten gekommen war, verpflichteten sich die Klägerin und ihr Ehemann in einem im Dezember 1997 vor dem Landgericht A geschlossenen Vergleich, ihre Anteile an den vorerwähnten Gesellschaften gegen einen Betrag in Höhe von 2,5 Mio. DM auf die Beigeladene (Anteil an der GbR) und deren Ehemann (Anteile an den übrigen Gesellschaften) zu übertragen. Ferner war darin vereinbart, dass die Parteien des Vergleichs für den Fall der Übertragung der Anteile die jeweils andere Seite von allen gesamtschuldnerischen Verpflichtungen --ausgenommen die aus dem Betrieb sämtlicher Gesellschaften resultierenden Steuerverbindlichkeiten-- freistellen. Mit notariellem Vertrag vom 23. Dezember 1998 traten die Klägerin und ihr Ehemann ihre Anteile an die Beigeladene und ihren Ehemann ab; der Vertrag regelte unter "D. Gegenleistungen" die Zahlung des Betrags von 2,5 Mio. DM sowie die Übernahme von Darlehensverbindlichkeiten und Lebensversicherungen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stellte bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte aus der GbR für das Streitjahr (1998) einen Veräußerungsgewinn der Klägerin in Höhe von 705.545 DM fest. Den Veräußerungsgewinn ermittelte das FA wie folgt: Es ging von einem sich aus dem Betrag von 2,5 Mio. DM sowie der Übernahme der Darlehensverbindlichkeiten und Lebensversicherungen ergebenden "Gesamtkaufpreis" für die übertragenen Gesellschaftsanteile in Höhe von rd. 6,3 Mio. DM aus, den es nach dem Verhältnis ihrer Verkehrswerte aufteilte. Die Verkehrswerte setzte es mit insgesamt rd. 7,5 Mio. DM an; den Wert des Anteils der Klägerin an der GbR bewertete es mit dem von ihm errechneten Firmenwert in Höhe von 870.000 DM zzgl. des Kapitalkontos der Klägerin in Höhe von 767.466 DM, also 1.637.466 DM. Da die Summe der Verkehrswerte den "Gesamtkaufpreis" überstieg, stockte das FA die Verkehrswerte anteilig auf den "Gesamtkaufpreis" ab; das Kapitalkonto der Klägerin nahm es von der Abstockung aus. Danach ergab sich ein auf den Anteil der Klägerin an der GbR entfallender Veräußerungspreis in Höhe von 1.481.474 DM (= 714.028 DM abgestockter Firmenwert zzgl. 767.446 DM Kapitalkonto). Hiervon zog es den Wert des Kapitalkontos sowie Veräußerungskosten in Höhe von 8.483 DM ab. Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde beantragt die Klägerin, die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung --FGO--) sowie wegen Verfahrensmängeln nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO). Das angefochtene Urteil leidet an einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, da es teilweise nicht mit Gründen versehen ist (§ 105 Abs. 2 Nr. 5, § 119 Nr. 6 FGO). Es kann daher dahinstehen, ob der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO oder weitere Verfahrensmängel vorliegen.
1. Nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO muss das Urteil u.a. Entscheidungsgründe enthalten. Das Fehlen der erforderlichen Begründung ist ein Verfahrensmangel, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Zulassung der Revision führen kann (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 25. März 2002 VI B 98/01, BFH/NV 2002, 810). Die von § 105 Abs. 2 Nr. 5 FGO geforderte Begründung eines Urteils dient vor allem der Unterrichtung der Verfahrensbeteiligten darüber, auf welchen Feststellungen und Überlegungen die richterliche Entscheidung beruht (vgl. BFH- Beschluss vom 9. Februar 2000 VIII R 27/99, BFH/NV 2000, 968; BFH-Urteil vom 20. Juni 2000 VIII R 47/99, BFH/NV 2001, 46). Dazu muss das Gericht zwar nicht auf jede Einzelheit des Sachverhalts und des Beteiligtenvortrags ausführlich eingehen. Ein Verstoß gegen das Begründungsgebot liegt jedoch u.a. dann vor, wenn das Gericht einen wesentlichen Streitpunkt überhaupt nicht erörtert (BFH-Urteil in BFH/NV 2001, 46, m.w.N.).
Wird im Urteil von der Begründungserleichterung nach § 105 Abs. 5 FGO Gebrauch gemacht, so ist die Verweisung auf die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf oder auf die Begründung des Verwaltungsakts nur dann ausreichend, wenn die in Bezug genommene Verwaltungsentscheidung Ausführungen zu allen entscheidungserheblichen selbständigen Angriffsmitteln und Verteidigungsmitteln enthält (BFH-Urteil vom 23. April 1998 IV R 30/97, BFHE 186, 120, BStBl II 1998, 626, m.w.N.).
Nach § 119 Nr. 6 FGO ist ein Urteil stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.
2. Nach diesen Maßstäben ist das angefochtene Urteil teilweise nicht mit Gründen versehen; auf diesem Mangel beruht die Entscheidung des Finanzgerichts (FG). Das FG hat seine die Klage abweisende Entscheidung darauf gestützt, dass das --nach dem Verhältnis der Verkehrswerte aufzuteilende-- Gesamtentgelt für die Übertragung der Gesellschaftsanteile bzw. Wirtschaftsgüter 6.307.455 DM betrage. Die Klägerin hat hierzu im Klageverfahren vorgetragen, nur der Betrag von 2,5 Mio. DM sei auf die übertragenen Anteile nach dem Verhältnis ihrer Verkehrswerte aufzuteilen; die Befreiung von Verbindlichkeiten sei den Gesellschaftsvermögen zuzuordnen, deren Finanzierung sie gedient hätten. Aus der vom FG gegebenen Begründung ergibt sich nicht, weshalb es den Betrag in Höhe von 2,5 Mio. DM sowie die Übernahme der Verbindlichkeiten davon abweichend als Gesamtentgelt beurteilt hat. Eine Begründung hierfür ist auch --das FG hat zum Teil von der Begründungserleichterung nach § 105 Abs. 5 FGO Gebrauch gemacht-- der Einspruchsentscheidung des FA nicht zu entnehmen. Dort hat das FA im Wesentlichen ausgeführt, als Entgelt für die Übertragung sämtlicher Anteile sei die Zahlung eines Betrags von 2,5 Mio. DM sowie die Übernahme von Darlehensverbindlichkeiten und Lebensversicherungen vereinbart worden; die Übernahme von Verbindlichkeiten durch den Erwerber zähle zum Veräußerungsentgelt.
3. Der Senat hält es für sachgerecht, die Vorentscheidung gemäß § 116 Abs. 6 FGO wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und an das FG zurückzuverweisen, damit das FG die für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns der Klägerin erforderlichen tatsächlichen Feststellungen treffen kann. Das FG hat hierzu noch keine Feststellungen getroffen, sondern sich stattdessen darauf beschränkt, im Tatbestand seines Urteils wegen der Einzelheiten der vom FA durchgeführten Außenprüfung auf den Betriebsprüfungsbericht zu verweisen und einen Auszug aus diesem Bericht wörtlich wiederzugeben. Die Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht kann indes nicht dahingehend gewertet werden, dass sich das FG sämtliche Feststellungen des Betriebsprüfers zu eigen machen wollte; jedenfalls wäre eine derartige Bezugnahme unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 1. März 1988 VII R 71/85, BFH/NV 1989, 65, unter 2. der Gründe).
Für das weitere Verfahren weist der erkennende Senat --ohne Bindungswirkung entsprechend § 126 Abs. 5 FGO (hierzu Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 65, m.w.N.)-- auf Folgendes hin:
a) Nach Nr. 2 i.V.m. Nr. 8 des Vergleichs haben sich die Beigeladene und ihr Ehemann verpflichtet, einen Betrag in Höhe von 2,5 Mio. DM an die Klägerin und ihren Ehemann für die Übertragung der Gesellschaftsanteile zu zahlen. Gemäß Nr. 7 (S. 5) des Vergleichs haben die Beteiligten vereinbart, dass sie für den Fall der Übertragung der Gesellschaftsanteile die jeweils andere Seite von allen gesamtschuldnerischen Verpflichtungen freistellen, und zwar bei den Verbindlichkeiten gegenüber Banken nicht nur im Innen-, sondern auch im Außenverhältnis; ausgenommen von dieser Freistellungsverpflichtung blieben alle aus dem Betrieb sämtlicher Gesellschaften resultierenden steuerlichen Verbindlichkeiten. Bereits der Wortlaut dieser Regelung spricht --worauf die Klägerin zutreffend hinweist-- gegen die Auffassung des FG und des FA, die Übernahme der Verbindlichkeiten sei Teil eines Gesamtentgelts; denn es wird "die jeweils andere Seite", also der jeweils durch die Übertragung seines Anteils aus der Gesellschaft ausscheidende Gesellschafter, von den Verbindlichkeiten freigestellt. Aus dem notariellen Vertrag vom 23. Dezember 1998 ergibt sich nichts Gegenteiliges, da nach der Regelung unter A.III. des Vertrags die dort enthaltenen Vereinbarungen ausschließlich in Erfüllung des Vergleichs getroffen worden sind, dessen rechtlicher Inhalt von diesem Vertrag gänzlich unberührt bleiben sollte.
Im Übrigen lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, ob es sich bei den vom Ehemann der Klägerin übertragenen Geschäftsanteilen um Mitunternehmeranteile gehandelt hat. Sofern dies der Fall war, ist zu beachten, dass die Freistellung des Veräußerers eines Mitunternehmeranteils von betrieblichen Verbindlichkeiten durch den Erwerber nicht Teil des Veräußerungspreises ist; dies gilt unabhängig davon, ob die übernommenen Verbindlichkeiten von der Gesellschaft oder vom veräußernden Gesellschafter geschuldet werden, bei ihm also negatives Sonderbetriebsvermögen darstellen. Nach § 16 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist der Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Wert des Anteils am Betriebsvermögen übersteigt. Das Betriebsvermögen i.S. des § 16 Abs. 2 EStG besteht aus den aktiven Wirtschaftsgütern gemindert um die betrieblichen Schulden. Haben somit die Schulden das Betriebsvermögen i.S. des § 16 Abs. 2 EStG (Kapitalkonto) bereits gemindert, dürfen sie nicht noch einmal im Veräußerungspreis erfasst werden. Soweit es im Beschluss des Großen Senats des BFH vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89 (BFHE 161, 317, BStBl II 1990, 847, unter C.II.3.b der Gründe) heißt, die Übernahme von Verbindlichkeiten des Veräußerers seien steuerrechtlich dem Veräußerungsentgelt zuzurechnen, bezieht sich dies nur auf die Veräußerung von einzelnen Wirtschaftsgütern. Hingegen ist auch nach Auffassung des Großen Senats des BFH eine Saldierung des aktiven Betriebsvermögens mit den Gesellschaftsschulden geboten, sofern ein Betrieb oder Mitunternehmeranteil übertragen wird und zum Betriebsvermögen auch Verbindlichkeiten gehören (vgl. BFH-Urteil vom 21. März 2002 IV R 1/01, BFHE 198, 537, BStBl II 2002, 519, m.w.N.).
b) Das FG ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass ein Gesamtentgelt für mehrere Gesellschaftsanteile bzw. Wirtschaftsgüter nach dem Verhältnis der Verkehrswerte oder --soweit die Anteile zu einem (Sonder-)Betriebsvermögen gehören, was das FG indes nicht geprüft hat-- der Teilwerte aufzuteilen ist, wenn die Beteiligten keine abweichende und steuerlich anzuerkennende Aufteilung vorgenommen haben (vgl. BFH-Urteil vom 13. April 1989 IV R 204/85, BFH/NV 1990, 34, m.w.N.; sowie Schmidt/Wacker, EStG, 28. Aufl., § 16 Rz 270). Soweit das FG im Streitfall ein nach den Verkehrswerten der übertragenen Anteile bzw. Wirtschaftsgüter aufzuteilendes Gesamtentgelt bejaht hat, ist jedoch die vom FA durchgeführte Abstockung, der das FG gefolgt ist, nicht nachvollziehbar. Für die Aufteilung eines Gesamtentgelts nach dem Verhältnis der Verkehrs- bzw. Teilwerte ist zunächst der Verkehrs- bzw. Teilwert jedes Anteils bzw. Wirtschaftsguts zu ermitteln, für den das Gesamtentgelt geleistet wird. Sodann ist das Verhältnis des Verkehrs- oder Teilwerts des jeweiligen Anteils bzw. Wirtschaftsguts zum Gesamtbetrag der Verkehrs- bzw. Teilwerte zu bestimmen. Der diesem Verhältnis entsprechende Teil des Gesamtentgelts ist das Entgelt für den betreffenden Anteil bzw. das betreffende Wirtschaftsgut. Für eine darüber hinaus gehende Abstockung besteht kein Bedürfnis.
Fundstellen
Haufe-Index 2258037 |
BFH/NV 2010, 50 |