Leitsatz (amtlich)
Schaltet ein Westberliner Hersteller in Exportgeschäfte einen westdeutschen Unternehmer ein, wird an diesen nicht im Sinne von § 1 Abs. 1 BerlinFG geliefert, wenn als Abnehmer des Liefergegenstands von vornherein eine ausländische Organgesellschaft des Westberliner Herstellers bestimmt ist.
Normenkette
BerlinFG § 1 Abs. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin, Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein Unternehmen, das Anlagen und Teile solcher Anlagen herstellt. Sie hat ihren Sitz in Berlin. Seit dem Jahre 1972 wird der Export der von ihr hergestellten Waren von zwei Handelsgesellschaften mit Sitz in Köln bzw. Hamburg abgewickelt. Bei der Abwicklung der Geschäfte wird wie folgt verfahren:
Die westdeutschen Handelsgesellschaften unterrichten die ausländischen Interessenten uuoer das Lieferprogramm und nehmen deren Lieferaufträge entgegen. Im Umfang abgeschlossener Lieferverträge schließen die westdeutschen Handelsgesellschaften sodann entsprechende Lieferverträge mit der Klägerin. Die Handelsgesellschaften verkaufen ihren ausländischen Kunden die Waren zu demselben Preis weiter, den sie von der Klägerin berechnet erhalten haben. Sie begnügen sich für ihre Einschaltung in die Abwicklung der Exportgeschäfte mit dem Kürzungsanspruch nach § 2 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG). Aus diesem Grunde läuft der von der Klägerin veranlaßte direkte Versand der Waren an die ausländischen Abnehmer über das Bundesgebiet. Die von der Klägerin beim Versand der Waren verwendeten Ausfuhrerklärungen und Spediteurbescheinigungen weisen jeweils die westdeutschen Handelsgesellschaften als Auftraggeber (Versender) aus. Die Klägerin ließ einen Teil der von ihr hergestellten Waren - unter Einschaltung der westdeutschen Handelsgesellschaften in den Verkaufsvorgang (in der beschriebenen Weise) - über Hof an die A-GmbH mit Sitz in Wien, eine Organgesellschaft der Klägerin, befördern.
Die Klägerin hat in den Umsatzsteuererklärungen für 1972 bis 1974 bei der Geltendmachung von Kürzungsansprüchen gemäß § 1 Abs. 1 i. V. m. § 1 Abs. 7 BerlinFG die Warenlieferungen an die A-GmbH in Wien einbezogen. Nach einer im Jahre 1975 durchgeführten Betriebsprüfung hat der Antragsgegner, Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) insoweit Umsatzsteuerkürzungen nach § 1 Abs. 1 BerlinFG versagt.
Hiergegen hat die Klägerin nach erfolglosem Einspruchsverfahren Klage zum Finanzgericht (FG) erhoben. Das FG hat die Klage abgewiesen: Ein Kürzungsanspruch hinsichtlich der an die A-GmbH in Wien gelangten Waren bestehe nicht. Die Waren seien nicht an einen westdeutschen Unternehmer geliefert worden, da den Exporteuren keine Verfügungsmacht gemäß § 3 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1967) verschafft worden sei. Auch ein Reihengeschäft nach § 3 Abs. 2 UStG 1967 liege nicht vor. Da die A-GmbH in Wien eine Organgesellschaft der Klägerin sei, sei keine Lieferung an die A-GmbH in Wien, sondern ein Innenumsatz getätigt worden. Das Organschaftsverhältnis wirke über die Grenze.
Mit der Einlegung der Revision hat die Klägerin beim Bundesfinanzhof (BFH) als dem Gericht der Hauptsache beantragt, die Vollziehung der angefochtenen Umsatzsteuerbescheide für 1972 bis 1974 in der strittigen Höhe auszusetzen.
Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird im wesentlichen auf die Revisionsbegründung gestützt: Der Klägerin stehe der Kürzungsanspruch nach § 1 Abs. 1 BerlinFG zu. Das Vorliegen eines Reihengeschäftes i. S. des § 3 Abs. 2 UStG 1967 sei zu bejahen, da die Organschaft nicht über die Grenze wirke und demgemäß die A-GmbH in Wien als fremder Unternehmer in der Reihe anzusehen sei. Eine andere Auslegung verbiete sich schon deshalb, weil sich sonst im Hinblick auf § 1a BerlinFG Unabgestimmtheiten ergäben.
Entscheidungsgründe
Der zulässige Antrag der Klägerin auf Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerbescheide 1972 bis 1974 ist unbegründet.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorbezeichneten Umsatzsteuerbescheide, die eine Aussetzung der Vollziehung gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtfertigen würden, bestehen nicht.
1. a) Gemäß § 1 Abs. 1 BerlinFG ist die Klägerin als Berliner Unternehmer zur Kürzung der von ihr geschuldeten Umsatzsteuer berechtigt, wenn sie - neben anderen hier vorliegenden Tatbestandsmerkmalen - die für die A-GmbH in Wien bestimmten Gegenstände an westdeutsche Unternehmer (die westdeutschen Handelsgesellschaften) geliefert hat. Diesen ist jedoch an den für die A-GmbH in Wien bestimmten Gegenständen keine Verfügungsmacht i. S. § 3 Abs. 1 UStG 1967 verschafft worden, da diese Waren nicht an sie gelangt, sondern direkt von Berlin an die A-GmbH in Wien versendet worden sind und diese als Organgesellschaft der Klägerin (vgl. unten Abschn. 2 der Gründe) kein Dritter im Sinne dieser Vorschrift ist.
b) Aus diesem Grund scheidet auch die Annahme eines Reihengeschäfts nach § 3 Abs. 2 UStG 1967 aus, bei dessen Vorliegen eine Lieferung an die westdeutschen Handelsgesellschaften i. S. des § 1 Abs. 1 BerlinFG bejaht werden müßte. Es kann hier dahinstehen, ob nicht der Fall eines Reihengeschäfts, an dem drei Personen mit zwei hintereinandergeschalteten zivilrechtlichen Kaufverträgen beteiligt sind, bereits von § 3 Abs. 1 UStG 1967 erfaßt wird, da dessen Voraussetzungen hier nicht gegeben sind. Auch § 3 Abs. 2 UStG 1967 erfordert eine Mindestbeteiligung von drei Personen, die über denselben Liefergegenstand zwei Umsatzgeschäfte abgeschlossen haben und diese dadurch erfüllen, daß der Liefergegenstand unmittelbar vom Ersten an den Letzten in der Reihe gelangt. Damit muß ein Wechsel in der Verfügungsmacht verbunden sein. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall, weil die Klägerin infolge der bloßen Weiterleitung der (zivilrechtlich an die westdeutschen Handelsgesellschaften verkauften) Waren an ihre österreichische Organgesellschaft (vgl. Abschn. 2 der Gründe) die Verfügungsmacht behalten hat. Die Tätigkeit der westdeutschen Handelsgesellschaften beschränkte sich - ungeachtet der zivilrechtlichen Gestaltung - allenfalls auf Dienstleistungen gegenüber der Klägerin.
2. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist nicht ernstlich zweifelhaft, daß jedenfalls im Geltungsbereich des Umsatzsteuergesetzes 1967/1973 das Unternehmen nicht an der Grenze endet (vgl. zuletzt das BFH-Urteil vom 17. September 1981 V R 6/76, BFHE 134, 194, Umsatzsteuer-Rundschau 1981 S. 268 - UStR 1981, 268 -, unter Bezugnahme auf die ständige Rechtsprechung des Senats). Auch kann der Klägerin in diesem Zusammenhang nicht darin gefolgt werden, daß sich eine territoriale Begrenzung der Organschaft im Auslegungswege aus § 1a BerlinFG ergebe, weil andernfalls bei grenzüberschreitender Organschaft Lieferungen ins Ausland entgegen der Absicht des Gesetzgebers in der Zuwendung von Berlinhilfe diskriminiert würden. Die Zielsetzung der umsatzsteuerlichen Vorschriften der Berlinhilfe ist seit jeher darauf gerichtet, die Wirtschaft von Berlin (West) dadurch zu beleben, daß Aufträge westdeutscher Unternehmer nach Berlin (West) vergeben werden. Dies fand seinen Ausdruck darin, Leistungen Berliner Unternehmer an westdeutsche Unternehmer durch Gewährung einer Lieferpräferenz zu verbilligen und außerdem durch einen Kürzungsanspruch beim westdeutschen Abnehmer eine weitere Senkung des Einstandspreises zu erreichen. Durch die im Jahre 1970 eingeführte Vorschrift des § 1 a BerlinFG wurde diese Zielsetzung nicht verändert. Vielmehr wurde die Berlinhilfe auf Innenumsätze ausgedehnt, um der westdeutschen Wirtschaft den Anreiz zu bieten, ihre Vorproduktion nach Berlin zu verlegen (vgl. Sönksen/Söffing, Berlinförderungsgesetz, Kommentar, § 1 a, Tz. 2). Die Förderung des Wirtschaftsverkehrs zwischen Berlin (West) und dem Ausland lag damit zu keiner Zeit in der Absicht des Berlinförderungsgesetzes.
Fundstellen
BStBl II 1982, 279 |
BFHE 1982, 92 |