Beiladung des Ersterwerbers bei Reihengeschäften

Bei einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten und zwei Lieferungen muss der Ersterwerber zu einem Rechtsstreit des ersten Lieferers nicht notwendigerweise beigeladen werden. In der bis 2019 geltenden Rechtslage muss zudem nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden, ob eine Warenbewegung durch den ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer in der Reihe vorliegt. Im Entscheidungsfall wurde dies verneint.

Reihengeschäfte im Umsatzsteuerrecht

Grenzüberschreitende Leistungsbeziehungen sind umsatzsteuerrechtlich ausgesprochen streitanfällig, vornehmlich dann, wenn mehr als zwei Steuerrechtssubjekte beteiligt sind. Zielvorstellung ist, dass die eigene Leistung umsatzsteuerfrei ist, ohne dass es zum Vorsteuerabzugsausschluss kommt.

Bis 2019 waren spezialgesetzliche Regelungen zum umsatzsteuerlichen Reihengeschäft in § 3 Abs. 6 Satz 5 und 6 UStG zu finden. Ab 2020 befindet sich in § 3 Abs. 6a UStG eine nationalstaatliche Regelung zum Reihengeschäft (siehe weitergehend BMF, Schreiben v. 25.4.2023, BStBl I 2023, 778).

Von einem Reihengeschäft ist auszugehen, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen, bei nur einer Warenbewegung unmittelbar vom ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer in der Reihe.

Ob es sich um eine Warenbewegung durch den ersten Unternehmer an den letzten Abnehmer in der Reihe handelt, ist in der bis 2019 geltenden Rechtslage unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.

Sachverhalt: Warenveräußerung an ein Drittland

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:

  • Die Klägerin stand im Streitjahr 2012 mit der in Österreich ansässigen A GmbH (A) in Geschäftsbeziehung, die der in Kasachstan ansässigen K Ltd. (K) gebrauchte Veranstaltungstechnik der Klägerin zum Gesamtpreis von 110.000 EUR verkaufte.
  • Zwischen A und K war die Lieferbedingung "ex works Germany" vereinbart. Die Käuferin (K) musste den Transport organisieren. Der Gefahrübergang sollte mit Übergabe der Ware an K erfolgen. Diese Übergabe war für den 11.7.2012 vorgesehen.
  • Am 4.7.2012 teilte A der Klägerin mit, dass der Kaufpreis unterwegs sei und in den nächsten 2 bis 3 Tagen auch bei der Klägerin ankommen werde.
  • Außerdem wolle sich der Endkunde K die Ware bei der Klägerin am 10. bzw. 11.7.2012 anschauen. Am 10.7.2012 bestätigte die Klägerin gegenüber A den Verkauf von Beschallungstechnik zuzüglich Umsatzsteuer.
  • Am 5.7.2012 teilte A der Klägerin ferner mit, dass sie ihr zwei für K bestimmte Originalrechnungen und Verträge gesendet habe.
  • Am 11.7.2012 stellte die Klägerin die Lieferung der gebrauchten Gegenstände der A in Rechnung; die Rechnung wies keine Umsatzsteuer aus und enthielt den Hinweis, dass es sich um eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 6a UStG a.F.) handele.
  • Die Abholung erfolgte sodann durch eine niederländische Spedition. Die Versendung erfolgte per Luftfracht. Am 12.7.2012 wurde ein CMR-Frachtbrief ausgestellt. Als Absenderin der Ware ist die Klägerin, als Empfängerin die in den Niederlanden ansässige H und als Frachtführerin die gleichfalls in den Niederlanden ansässige X angegeben. Der dem Frachtbrief beiliegende Lieferschein der Klägerin datiert auf den 12.7.2012. Im Ausfuhrbegleitdokument, das für den Beförderungsteil Niederlande/Kasachstan ausgestellt worden war, sind A als Absenderin und K als Empfängerin sowie die in den Niederlanden ansässige Z B.V. als Anmelderin/Vertreterin angegeben.

Die Klägerin erklärte die Lieferung an A in ihrer Umsatzsteuererklärung 2012 als umsatzsteuerfrei. Das FA stimmte der Erklärung zunächst zu. Nach einer Außenprüfung vertrat das FA die Ansicht, dass die Lieferung nicht umsatzsteuerfrei sei. Es rechnete Umsatzsteuer aus dem Rechnungsbetrag heraus und erließ einen entsprechenden Umsatzsteuer-Änderungsbescheid.

FG Münster: Keine steuerfreie Lieferung des Erstlieferanten

Die streitbefangene Lieferung gebrauchter Gegenstände der Veranstaltungstechnik war nach Auffassung des FG Münster (Urteil v. 12.6.2019, 5 K 1360/16 U) steuerbar und steuerpflichtig.

Nach dem vorliegenden Sachverhalt sei nicht klar, ob die Ware vom Zwischenerwerber, Letzterwerber oder der Klägerin befördert oder versendet worden sei. Das FG Münster zumindest war der Überzeugung, dass jedenfalls die Klägerin nicht in die Beförderung oder Versendung der Ware eingebunden gewesen sei. Der Umstand, dass die Klägerin im CMR-Frachtbrief als "Absender" aufgeführt sei, konnte die Überzeugung des FG Münster, dass die Klägerin beim Warentransport nicht eingebunden gewesen sei, nicht erschüttern.

Entscheidung des BFH: Steuerfreier Umsatz scheidet aus

Auch der BFH hält die Revision für unbegründet und weist diese aus folgenden Erwägungen zurück:

  • Die grenzüberschreitende Warenbewegung ist nach der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls nicht der von der Klägerin an A ausgeführten Leistung zuzurechnen. Vielmehr ist die Lieferung von A an K noch im Inland erfolgt.
  • Die Verfügungsmacht an der Ware ist bereits vor Beginn der mit der Versendung verbundenen physischen Warenbewegung auf K übergegangen. Hierfür sprach u. a., dass K die Ware vollständig bezahlt und begutachtet hatte und auch die Gefahr des Untergangs trug (Rz. 45). Die Warenbewegung war demnach nicht der Klägerin zuzuordnen.
  • Der Ort der ausgeführten (ruhenden) Lieferung, die der Versendung von A an K vorangegangen ist, befindet sich im Inland (§ 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG a.F.).
  • Die steuerbare Lieferung ist nicht steuerfrei, weil weder eine Ausfuhrlieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 6 UStG) noch eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung (§ 4 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. § 6a UStG) vorliegt. Es fehlt an der für eine Steuerfreiheit notwendigen Warenbewegung.
  • Ein Verfahrensfehler liegt zudem nicht vor. Nach Auffassung des BFH muss bei einem Reihengeschäft mit drei Beteiligten und zwei Lieferungen der Ersterwerber zu einem Rechtsstreit des ersten Lieferers mit seinem Finanzamt nicht nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO notwendig beigeladen werden.

Praxisfolgen

Die Entscheidung ist noch zum bis Ende 2019 geltenden Recht ergangen. Ab 2020 richtet sich die Beurteilung eines Reihengeschäftes nach § 3 Abs. 6a UStG. Mit der gesetzgeberischen Neuerung ist klargestellt, dass es nur noch darauf ankommt, wer die Beförderung oder Versendung der Waren veranlasst (weitergehend Abschn. 3.14 UStAE). Es kommt seither nicht mehr auf die Übertragung der Verfügungsmacht unter Würdigung aller besonderen Umstände des Einzelfalls an.

BFH, Beschluss v. 22.11.2023, XI R 1/20; veröffentlicht am 25.4.2024

Alle am 25.4.2024 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


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