Körperschaftsteuerliche Organschaft

Besteht an einer Kapitalgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung, kann sie dennoch Organgesellschaft im Rahmen einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft sein, da sie ihren – unter Berücksichtigung der Gewinnbeteiligung des stillen Gesellschafters ermittelten – handelsrechtlichen Jahresüberschuss als "ganzen Gewinn" i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG an den Organträger abführen kann.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Verpflichtet sich eine Europäische Gesellschaft, Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland (Organgesellschaft) durch einen Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG, „ihren ganzen Gewinn“ an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen, so ist nach § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG das Einkommen der Organgesellschaft, soweit sich aus § 16 KStG nichts anderes ergibt, dem Träger des Unternehmens (Organträger) zuzurechnen, wenn die Voraussetzungen von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 KStG erfüllt sind. Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG gilt das entsprechend, wenn sich eine andere Kapitalgesellschaft – insbesondere eine GmbH – mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn i. S. d. § 14 KStG abzuführen.

Sachverhalt: Beteiligung einer atypisch stillen Gesellschaft

  • Die Klägerin schloss im Jahr 1991 mit einer GmbH & Co. KG (KG), die sämtliche Anteile der Klägerin hielt, einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (EAV). Danach unterstellte sich die Geschäftsführung der Klägerin der insoweit weisungsberechtigten KG.
  • Die Klägerin verpflichtete sich, ihr gesamtes, nach den maßgeblichen handelsrechtlichen Vorschriften ermittelte Ergebnis an die KG abzuführen.
  • Im Jahr 1992 beteiligte sich die KG am Betrieb der Klägerin als stille Gesellschafterin mit einer Kapitaleinlage. Nach dem Vertrag stand die Führung der Geschäfte allein der Klägerin zu, die stille Gesellschafterin war an deren Entscheidungen entsprechend den gesetzlichen Vorschriften für einen Kommanditisten beteiligt.
  • Am Gewinn und Verlust sowie am Vermögen der Klägerin war die KG mit 10 % beteiligt, ebenso an den stillen Reserven im Falle einer Auflösung der stillen Gesellschaft.

Die Klägerin wurde zunächst erklärungsgemäß mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Bescheiden zur Körperschaftsteuer veranlagt. Nach einer Außenprüfung änderte das Finanzamt (FA) die Festsetzungen der Jahre 2004 bis 2008 unter Ansatz einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) i. H. d. jeweiligen Gewinnabführung. Es vertrat die Auffassung, dass die Voraussetzungen für eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht vorgelegen hätten, weil eine GmbH, an der eine atypisch stille Beteiligung bestehe, nicht Organgesellschaft sein könne. Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hat das FG abgewiesen. Die Organschaft sei nicht anzuerkennen, weil in Folge der atypisch stillen Beteiligung nicht der „ganze Gewinn“ an den vermeintlichen Organträger abgeführt worden sei.

Entscheidung: Handelsrechtlicher Jahresüberschuss als "ganzer Gewinn"

Der BFH hat die Entscheidung des FG aufgehoben, weil das FG zu Unrecht dahin erkannt hat, dass in den Streitjahren zwischen der Klägerin und der KG eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft nicht bestanden hat.

Streifrage bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden

Ob der gesetzlich geforderten Verpflichtung zur Abführung des „ganzen Gewinns“ auch dann entsprochen wird, wenn an der Organgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung besteht, die mit einer Gewinnzuweisung an den Gesellschafter (Mitunternehmer) verbunden ist, wird in Finanzgerichtsrechtsprechung, Literatur und von Verwaltungsseite unterschiedlich beurteilt. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung die Streitfrage noch nicht abschließend beantwortet.

  • Während in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmend davon ausgegangen wird, dass eine atypisch stille Beteiligung an der Organgesellschaft der Anerkennung der Organschaft entgegensteht, gehen die Meinungen in der Literatur auseinander.
  • Der überwiegende Teil des Schrifttums geht davon aus, dass auch bei Bestehen einer atypisch stillen Beteiligung an der Organgesellschaft der „ganze Gewinn“ abgeführt wird. Das wird zumeist mit einer zivilrechtlichen Betrachtungsweise begründet, die in § 14 Abs. 1 KStG angelegt sei. Denn die dort erwähnte Gewinnabführung sei nach zivilrechtlichen Maßstäben zu bestimmen. Im handelsrechtlichen Jahresabschluss der Organgesellschaft werde die Gewinnbeteiligung des (atypisch) stillen Gesellschafters als Aufwand bilanziert. Der nach Aufwandsabzug ausgewiesene Gewinn sei der „ganze Gewinn“, der der Abführungspflicht unterliege. Zudem folge die „Unschädlichkeit“ einer atypisch stillen Beteiligung auch aus deren ertragsteuerrechtlichen Qualifizierung als Mitunternehmerschaft. Die Organgesellschaft erhalte aus dieser „vorgelagerten“ Mitunternehmerschaft ihren Gewinn(anteil), der sodann vollständig der Abführung unterliege. Auch Beteiligungen der Organgesellschaft an Mitunternehmerschaften auf der Grundlage einer Kommanditgesellschaft seien nach allgemeiner Auffassung „organschaftsunschädlich“, weil auch insoweit der zugerechnete Gewinnanteil abgeführt werde.
  • Die Gegenauffassung geht – mit unterschiedlichen Begründungen – davon aus, dass eine atypisch stille Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft „organschaftsschädlich“ ist. Abgestellt wird auf die zivilrechtliche Einordnung einer (atypisch) stillen Beteiligung an der (vermeintlichen) Organgesellschaft als Teilgewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG, was dem Abschluss eines auf Vollgewinnabführung gerichteten Vertrags entgegenstehe.
  • Die Finanzverwaltung vertritt die Auffassung, dass eine Kapitalgesellschaft, an der eine atypisch stille Beteiligung besteht, keine Organgesellschaft sein kann.

BFH schließt sich überwiegender Auffassung im Schrifttum an

Der von § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG vorausgesetzte Abschluss eines Gewinnabführungsvertrags i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG, zu dem es im Streitfall unstreitig gekommen ist, verweist auf das Zivilrecht. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG definiert als Unternehmensvertrag einen Vertrag, durch den sich eine Aktiengesellschaft verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen (Gewinnabführungsvertrag). Der Steuergesetzgeber hat in einer Art Doppelung die sich bereits aus dem Zivilrecht ergebende Verpflichtung zur Abführung des ganzen Gewinns ausdrücklich (und damit: noch einmal) tatbestandlich in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG verankert. Damit hat er (jedenfalls) zum Ausdruck gebracht, dass andere Typen von Unternehmensverträgen (z. B. der Beherrschungsvertrag nach 291 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 AktG, die Gewinngemeinschaft nach § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG) oder Unternehmensverträge, durch die sich die Aktiengesellschaft verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns an einen anderen abzuführen (Teilgewinnabführungsvertrag nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG), keine ertragsteuerrechtliche Organschaft begründen können.

Aus der tatbestandlichen Bezugnahme auf einen Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG folgt nach der Senatsrechtsprechung eine zivilrechtliche Betrachtungsweise. Eine ertragsteuerrechtliche Organschaft setzt voraus, dass der genannte Vertrag nach den Maßstäben des Zivilrechts wirksam abgeschlossen wird und die zivilrechtlichen Verpflichtungen aus dem Vertrag erfüllt werden (tatsächliche Vertragsdurchführung, vgl. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Deshalb ist Gegenstand der Abführungsverpflichtung – auch für steuerrechtliche Zwecke – der Jahresüberschuss i. S. d. § 301 Satz 1 AktG (vgl. § 275 Abs. 2 Nr. 17 und Abs. 3 Nr. 16 HGB) und nicht der steuerrechtlich ermittelte Gewinn.

Diese Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Gewinnermittlung hat zur Folge, dass der Gewinnanteil des (atypisch) still Beteiligten als Aufwand (Abführungsverpflichtung aus einem Teilgewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) zu erfassen ist, der den abzuführenden Jahresüberschuss mindert. Dieses (geminderte) Jahresergebnis stellt sodann den „ganzen Gewinn“ i. S. d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG dar, der handels- und in der Folge auch steuerrechtlich abzuführen ist.

Qualifikation einer (atypisch) stillen Beteiligung als Teilgewinnabführungsvertrag steht dem nicht entgegen

Die zivilrechtliche Qualifikation einer (atypisch) stillen Beteiligung als Teil-gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG steht auf der Grundlage der im Gesetz angelegten zivilrechtlichen Betrachtungsweise der von § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG geforderten Abführung des „ganzen Gewinns“ nicht entgegen. Aus der in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG enthaltenen Formulierung „Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG" kann entgegen der Auffassung des BMF nicht geschlossen werden, dass es als unvereinbar anzusehen ist, wenn neben einem Gewinnabführungsvertrag i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG auch ein Teilgewinnabführungsvertrag i. S. d. § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG besteht.

Da die atypisch stille Beteiligung an der Klägerin der Abführung des „ganzen Gewinns“ auf der Grundlage des bestehenden Gewinnabführungsvertrags nicht entgegensteht und die übrigen Voraussetzungen der Organschaft erfüllt sind, was auch zwischen den Beteiligten nicht umstritten ist, war der Klage stattzugeben.

Hinweis: Kein Widerspruch zur Beurteilung von Ausgleichszahlungen an außenstehende Gesellschafter

Die Senatsurteile vom 4.3.2009 und vom 10.5.2017 (Az. I R 1/08 und I R 93/15) stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Zwar hat der Senat dort dahin erkannt, dass die für die Anerkennung einer Organschaft unabdingbare Anforderung einer vereinbarungsgemäßen und tatsächlich durchgeführten Abführung des „ganzen Gewinns“ eigenständig anhand der steuerrechtlichen Regelungszwecke und Sachgesetzlichkeiten zu bestimmen sei. Jedoch bezogen sich diese Ausführungen ersichtlich auf die konkret zu entscheidende Problematik der Anerkennung von variablen Ausgleichszahlungen i. S. d. § 16 KStG an außenstehende Gesellschafter und dabei auf die Frage, ob eine „freie“ und vom Steuerrecht grundsätzlich zu akzeptierende Festlegung von Ausgleichszahlungen zulässig oder dies mit der Verpflichtung zur Abführung des „ganzen Gewinns“ unvereinbar ist. Damit unterscheidet sich der vorliegende Fall sowohl im Sachverhalt als auch in der rechtlichen Problematik erheblich von der damaligen Konstellation. Denn während es bei den Ausgleichszahlungen um die Verteilung des gesamten Gewinns auf mehrere Gesellschafter geht, zeichnet sich der Streitfall durch ein Stufenverhältnis mit der Gewinnbeteiligung des (atypisch) still Beteiligten auf der ersten und der Abführung des gesamten verbleibenden Gewinns mittels eines Gewinnabführungsvertrags auf einer zweiten Stufe aus.

BFH, Urteil v. 11.12.2024, I R 33/22; veröffentlicht am 3.4.2025

Alle am 3.4.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen