Entscheidungsstichwort (Thema)
Beweiskraft der Postzustellungsurkunde nach Privatisierung der Deutschen Bundespost
Leitsatz (NV)
1. Auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost sind die von den Postzustellern unter Beachtung der Vorschriften des VwZG bewirkten Zustellungen wirksam (§ 16 Abs. 1 PostG).
2. Der Beweis für den beurkundeten Zustellungsvorgang aufgrund der Postzustellungsurkunde als öffentlicher Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO kann durch die bloße Behauptung des Empfängers, keine Kenntnis von der Zustellung erlangt zu haben, nicht entkräftet werden.
3. Wird die Ladung zur mündlichen Verhandlung durch Niederlegung bei der Postanstalt zugestellt, so besteht für das Gericht grundsätzlich keine Veranlassung zu besonderen Nachforschungen darüber, ob der Empfänger die Ladung rechtzeitig zur Kenntnis genommen hat.
Normenkette
FGO §§ 91, 116 Abs. 1 Nr. 3; PostG § 16 Abs. 1; VwZG § 3 Abs. 3; ZPO §§ 182, 418 Abs. 1; FGO § 53
Tatbestand
In dem Rechtsstreit zwischen den Beteiligten beraumte das Finanzgericht (FG) mündliche Verhandlung auf den 24. Oktober 1995 an. Nach den Beurkundungen des Postbediensteten in den Postzustellungsurkunden wurden die Ladungen den Kläger und Revisionsklägern (Kläger) am 6. Oktober 1995 durch Niederlegung beim Postamt zugestellt, da die Kläger, die Eheleute A, selbst in der Wohnung nicht angetroffen wurden und Ersatzzustellungen nicht möglich gewesen seien. Der Postbedienstete beurkundete ferner, er habe schriftliche Mitteilungen über die Niederlegung unter der Anschrift der Empfänger ‐ wie bei gewöhnlichen Briefen üblich ‐ in den Hausbriefkasten eingelegt.
In der mündlichen Verhandlung erschien für die Kläger niemand. Das FG wies die Klage teilweise ab und ließ die Revision nicht zu. Das Urteil wurde nicht verkündet, sondern den Beteiligten ‐ den Klägern am 2. Januar 1996 ‐ zugestellt. Am 9. Januar 1996 erhielt das FG vom Postamt die nicht abgeholten Ladungen zurück.
Mit der Revision rügen die Kläger, sie seien mangels ordnungsgemäßer Ladung in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 119 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung ‐ FGO -). Daraus folge gleichzeitig eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO). Eine Mitteilung über die Niederlegung der Ladungen habe sie nicht erreicht. Dem Beamten der Geschäftsstelle des FG sei bekannt gewesen, daß sie, die Kläger, an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wollten. Das FG hätte sie leicht telefonisch oder per Telefax benachrichtigen können, nachdem es erfahren habe, daß die Ladungen zwar niedergelegt, aber nicht abgeholt worden seien.
Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‐ FA -) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
Die Revision ist nicht statthaft, weil weder das FG noch der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen haben (§ 115 Abs. 1 FGO i.V.m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs ‐ BFHEntlG -) und auch kein Fall der zulassungsfreien Revision gemäß § 116 Abs. 1 FGO gegeben ist. Die Kläger haben zwar einen Verfahrensmangel nach § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Ihre Revisionsbegründung genügt jedoch nicht den Anforderungen des § 120 Abs. 2 Satz 2 FGO, da die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen ‐ ihre Richtigkeit unterstellt ‐ keinen Verfahrensmangel ergeben.
§ 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO setzt voraus, daß der Beteiligte in gesetzwidriger Weise im Verfahren nicht vertreten war. Das ist nur dann der Fall, wenn das Gericht bei der Vorbereitung und Durchführung der mündlichen Verhandlung den Vorschriften des Gesetzes nicht genügt und dadurch dem Beteiligten die Teilnahme unmöglich gemacht hat, nicht aber, wenn das Gericht die gesetzlichen Vorschriften beachtet hat und der Beteiligte aus einem in seinem Bereich liegenden Grund nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte (BFH-Beschluß vom 7. Februar 1996 X R 79/95, BFH/NV 1996, 567, m.w.N.). Nicht vertreten i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO ist ein Beteiligter insbesondere dann, wenn er nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (BFH in BFH/NV 1996, 567, m.w.N.).
Die Ausführungen der Kläger lassen nicht den Schluß zu, das FG habe sie nicht ordnungsgemäß geladen. Die Ladungen sind den Klägern gemäß § 53 FGO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) durch die Post mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden. Auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost sind die von den Postzustellern unter Beachtung der Vorschriften des VwZG bewirkten Zustellungen wirksam (§ 16 Abs. 1 des Gesetzes über das Postwesen ‐ PostG ‐ i.d.F. des Postneuordnungsgesetzes vom 14. September 1994, BGBl I 1994, 2325, 2370; vgl. auch Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluß vom 10. September 1996 3 Ws 735/96, Neue Juristische Wochenschrift ‐ NJW ‐ 1996, 3159). Ist eine Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung oder im Haus (§ 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. §§ 180, 181 der Zivilprozeßordnung ‐ ZPO -) nicht möglich, kann der Postbedienstete gemäß § 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. § 182 ZPO die Zustellung bewirken, indem er das Schriftstück bei der Postanstalt des Zustellungsorts niederlegt und eine schriftliche Mitteilung über die Niederlegung unter der Anschrift des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise abgibt. Üblich ist der Einwurf in den Hausbriefkasten (BFH in BFH/NV 1996, 567). Ausweislich der Postzustellungsurkunden vom 6. Oktober 1995 ist der Postbedienstete nach diesen Grundsätzen verfahren.
Der Beweis für den beurkundeten Zustellungsvorgang aufgrund der Postzustellungsurkunde als öffentlicher Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO kann durch die bloße Behauptung der Kläger, bis zur Urteilszustellung keine Kenntnis von der Zustellung der Ladung erlangt zu haben, nicht entkräftet werden. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, einen anderen Geschehensablauf substantiiert darzulegen und zu beweisen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. Januar 1988 VII B 165/87; BFH/NV 1988, 790; vom 26. Februar 1992 IX B 88/90, BFH/NV 1992, 755; vom 9. September 1994 III B 29/94, BFH/NV 1995, 276, und in BFH/NV 1996, 567; Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts ‐ BVerwG vom 16. Mai 1986 4 CB 8/86, NJW 1986, 2127). Die Kläger haben jedoch keine Umstände dargestellt, die ein Fehlverhalten des Postbediensteten bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung in der Postzustellungsurkunde zu belegen geeignet sind.
Das FG durfte damit davon ausgehen, daß die Ladungen, welche den nach § 91 Abs. 2 FGO vorgeschriebenen Hinweis enthielten, den Klägern unter Einhaltung der Ladungsfrist des § 91 Abs. 1 FGO ordnungsgemäß durch Niederlegung zugestellt worden waren. Für das FG bestand keine Veranlassung, vor der Verhandlung und Entscheidung des Rechtsstreits nachzuforschen, ob die Kläger die Ladungen enthalten und rechtzeitig zur Kenntnis genommen hatten (vgl. BFH-Urteil vom 10. August 1988 III R 220/84, BFHE 154, 17, BStBl II 1988, 948, und BFH-Beschluß vom 22. September 1993 II R 55/93, BFH/NV 1994, 486). Unter welchen Voraussetzungen eine derartige Nachforschungspflicht bestehen könnte und ob eine Verletzung derselben eine zulassungsfreie Revision i.S. des § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO eröffnen würde oder als Verletzung des rechtlichen Gehörs nur im Rahmen einer zugelassenen Revision oder durch eine Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden könnte, bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung; denn im Streitfall lagen keine außergewöhnlichen Umstände vor, die ‐ möglicherweise ‐ eine Nachfrage bei der Post zur Abholung der Ladungen oder bei den Klägern persönlich geboten hätten. Das persönliche Erscheinen der Kläger war nicht angeordnet worden (vgl. dazu BFH in BFHE 154, 17, BStBl II 1998, 948; BVerwG-Urteil vom 25. März 1987 6 C 53.84, BVerwGE 77, 157). Dem FG war auch nicht bekannt, daß die Ladungen nicht abgeholt worden waren; denn deren Rücksendung an das FG geschah zeitlich erst nach der Urteilszustellung an die Kläger. Selbst wenn die Kläger gegenüber der Geschäftsstelle des FG geäußert haben sollten, an der Verhandlung teilnehmen zu sollen, war dies jedoch bereits vor der Ladung und damit nicht unmittelbar vor dem Termin geschehen. Als Anhaltspunkt für eine unverschuldete Versäumung des Termins genügte dies nicht.
Die von den Klägern gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs ist kein die zulassungsfreie Revision eröffnender Mangel i.S. des § 116 Abs. 1 FGO. Sie kann nur mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht werden.
Fundstellen
Haufe-Index 613962 |
BFH/NV 1997, 428 |
BFH/NV 1997, 582 |
BFHE 1998, 3 |
HFR 1998, 34 |