Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes nach Klageerhebung
Leitsatz (NV)
1. Enthält der ändernde oder ersetzende Bescheid i.S. des § 68 Satz 1 FGO a.F. keinen Hinweis auf die Antragsfrist des § 68 Satz 2 FGO a.F., so kann er noch innerhalb eines Jahres zum Gegenstand des Klageverfahrens erklärt oder mit dem Einspruch angefochten werden.
2. Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit eingeschränkt wird.
3. Die Unterlassung eines solchen Hinweises stellt bei steuerlich beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar.
4. § 77 Abs. 3 FGO a.F. begründet lediglich die Pflicht des FA, Änderungsbescheide an das FG zu übermitteln.
5. Nach Ablauf der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs und damit auch die Antragstellung nach § 68 Satz 1 FGO a.F. nur noch zulässig, wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei.
6. Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartenden und zumutbaren Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte.
7. Eine lediglich fehlerhafte Rechtsauslegung oder ‐anwendung im Einzelfall rechtfertigt noch nicht eine Zulassung der Revision. Hinzu kommen muss vielmehr, dass schlüssig dargelegt wird, inwiefern die gerügte Rechtswidrigkeit von erheblichem Gewicht ist und das Vertrauen in die Rechtsprechung schädigen kann.
Normenkette
AO 1977 § 164 Abs. 1, 2 S. 2; EStG § 32c; FGO § 40 Abs. 2, § 55 Abs. 2, § 56 Abs. 1, § 76 Abs. 2, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3, §§ 68, 77 Abs. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 13.03.2003; Aktenzeichen 10 K 339/97) |
Gründe
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet.
Die von der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) behaupteten Revisionszulassungsgründe liegen nicht vor, so dass Zweifeln, ob sie entsprechend den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dargelegt worden sind, nicht weiter nachgegangen werden muss.
1. Verfahrensmängel
a) Die Klägerin meint, das Finanzgericht (FG) habe zu Unrecht durch Prozessurteil entschieden, da Gegenstand der Klage nicht der gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung vom 10. Januar 1996 gewesen sei, sondern der durch den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) durch Bescheid vom 3. Juni 1997 abgelehnte Antrag, gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 die der Tarifbegrenzung nach § 32c des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr (1994) gültigen Fassung (EStG) unterliegenden Einkünfte statt mit 2 596 358 DM mit nunmehr 28 342 564 DM festzustellen.
aa) Zwar liegt nach gefestigter Rechtsprechung ein Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auch dann vor, wenn das FG fehlerhaft statt eines Sachurteils ein Prozessurteil erlässt (vgl. hierzu Senatsbeschlüsse vom 30. Juli 2003 IV B 38/02, BFH/NV 2003, 1602, und vom 10. Januar 2002 IV B 32/01, BFH/NV 2002, 927, m.w.N.). Jedoch hat das FG zu Recht entschieden, dass die unverändert gegen den Bescheid über den abgelehnten Änderungsantrag aufrecht erhaltene Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig geworden ist. Der während des Klageverfahrens der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ordnungsgemäß bekannt gegebene Änderungsbescheid für 1994 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 9. August 1999 war mit Ablauf eines Jahres bestandskräftig geworden.
bb) § 68 FGO in der bis einschließlich 2000 geltenden Fassung (§ 68 FGO a.F.) ist entgegen seinem Wortlaut nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch auf Verpflichtungsklagen analog anwendbar (Senatsurteil vom 29. November 2001 IV R 66/99, BFH/NV 2002, 524, mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., München 1997, § 68 Rz. 4). Unter den Umständen des Streitfalles, in dem es um ein Verpflichtungsbegehren in Gestalt einer Vornahmeklage geht (dazu Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 40 FGO Tz. 10), das notwendigerweise auch ein Anfechtungsbegehren beinhaltet, gebieten Normzweck und Interessenlage, § 68 FGO auf die lückenhafte Regelung der Verpflichtungsklage zu übertragen (vgl. auch BFH-Urteil vom 24. Mai 1991 III R 105/89, BFHE 165, 345, BStBl II 1992, 123, m.w.N.).
cc) Da die Klägerin den Änderungsbescheid binnen der Jahresfrist (analog § 55 Abs. 2 FGO; s. dazu näher später Nr. 1 b und c) --unstreitig-- weder ausdrücklich noch konkludent zum Gegenstand des Verfahrens erklärt noch mit dem Einspruch angefochten hat, konnte das FG weder den bestandskräftig gewordenen Änderungsbescheid noch den Bescheid, dessen Änderung begehrt wurde, materiell-rechtlich überprüfen. Der Klage fehlte das dafür notwendige Rechtsschutzbedürfnis (ständige Rechtsprechung; vgl. Senatsurteil vom 26. Februar 2004 IV R 10/02, BFH/NV 2004, 971, m.w.N.).
Nach § 68 FGO a.F. wurde ein Bescheid, der den ursprünglichen Bescheid, dessen Änderung begehrt wurde, nach Klageerhebung änderte oder ersetzte, nur auf Antrag der Klägerin Gegenstand des Verfahrens. Dieser Antrag war nach der seit dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Änderungs- oder Ersetzungsbescheides zu stellen (§ 68 Satz 2 FGO a.F.). Enthält wie im Streitfall aufgrund der Streichung der eigentlich gemäß § 68 Satz 3 FGO a.F. zu erteilenden Rechtsbehelfsbelehrung der ändernde oder ersetzende Bescheid eine solche nicht, so konnte ihn die Klägerin in analoger Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO bzw. § 356 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO 1977 innerhalb eines Jahres zum Gegenstand des Klageverfahrens erklären oder mit dem Einspruch anfechten (Senatsurteil in BFH/NV 2004, 971, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 16. Januar 1997 VI B 152/96, BFH/NV 1997, 584).
b) Die Klägerin macht des Weiteren geltend, das FG habe gegen die aus § 76 Abs. 2 FGO folgende Prozessförderungspflicht und damit auch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör verstoßen, weil es nicht auf die Notwendigkeit eines Antrages gemäß § 68 Satz 1 FGO a.F. innerhalb der Jahresfrist hingewiesen habe.
aa) Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird (BFH-Beschluss vom 28. November 2003 III B 7/03, BFH/NV 2004, 645).
Der Vorsitzende --bzw. außerhalb der mündlichen Verhandlung der Berichterstatter (vgl. Gräber/von Groll, a.a.O., 5. Aufl., München 2002, § 76 Rz. 40)-- hat danach im Rahmen seiner richterlichen Prozessförderungs- und Fürsorgepflicht u.a. darauf hinzuweisen, dass Formfehler beseitigt und sachdienliche Anträge gestellt werden. Der Erfolg einer Klage soll nicht an der Rechtsunerfahrenheit der Kläger, zumal in Formsachen scheitern (BFH-Urteil vom 28. November 1991 XI R 13/90, BFH/NV 1992, 609).
Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind indes von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten abhängig. Die Hinweispflichten entfallen zwar auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein (BFH-Urteil vom 19. Oktober 1993 VIII R 61/92, BFH/NV 1994, 790, m.w.N.). Jedoch stellt das Unterlassen eines solchen Hinweises regelmäßig bei steuerlich beratenen und durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertretenen Beteiligten keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten, dargelegt (BFH-Beschlüsse vom 19. März 2001 VII B 231/00, BFH/NV 2001, 1012; vom 4. September 2002 II B 107/01, BFH/NV 2003, 182, jeweils m.w.N., und in BFH/NV 2004, 645).
bb) Nach der im Streitfall geltenden Fassung des § 68 FGO a.F. stand der Klägerin ein verfahrensrechtliches Wahlrecht zu, gegen den Änderungsbescheid vom 9. August 1999 entweder innerhalb eines Jahres Einspruch einzulegen oder aber innerhalb der Jahresfrist einen Antrag nach § 68 Satz 1 FGO a.F. zu stellen. Zwar war die Prozessbevollmächtigte der Klägerin darüber aufgrund der Streichung der Belehrung im Sinne des § 68 Satz 3 FGO a.F. nicht ordnungsgemäß belehrt worden. Dies hat aber lediglich zur Folge, dass analog § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO bzw. § 356 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AO 1977 an die Stelle der Monatsfrist eine Jahresfrist tritt, begründet für sich genommen jedoch noch keine Hinweispflicht des Gerichts und stellt zudem lediglich einen Fehler des FA dar, der allein keinen Verfahrensmangel im Sinne des Revisionsrechts begründet (Senatsbeschluss vom 27. Februar 2003 IV B 199-202/01, BFH/NV 2003, 1189; Gräber/Ruban, a.a.O., 5. Aufl., § 115 Rz. 77). Der durch einen Prozessbevollmächtigten beratenen Klägerin war damit ausreichend Zeit eingeräumt, die prozessuale Situation zu überprüfen und entsprechend zu reagieren.
Stand es der Klägerin aber frei, von ihren verfahrensrechtlichen Möglichkeiten alternativ Gebrauch zu machen oder ggf. sogar den Änderungsbescheid bestandskräftig werden zu lassen, so hatte das FG keinen Anlass, von sich aus eine Antragstellung gemäß § 68 FGO a.F. anzuregen oder bei einem ausbleibenden fristgerechten Antrag zeitnah Erkundigungen einzuholen bzw. die Klägerin sogar auf das Fehlen eines solchen Antrages hinzuweisen (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 645).
Ein derartiger konkreter Anlass für einen Hinweis kann allenfalls in dem Zeitpunkt entstehen, in dem das Gericht sachlich über das Verpflichtungsbegehren der Klägerin betreffend die Änderung des Ursprungsbescheides entscheiden will. Wird nämlich der Änderungsbescheid gesondert durch Einspruch angefochten, so darf das Verfahren gegen den ursprünglichen Bescheid grundsätzlich solange nicht endgültig abgeschlossen werden, bis eine rechtskräftige Entscheidung über den Änderungsbescheid ergangen ist (BFH-Beschluss vom 25. Oktober 1972 GrS 1/72, BFHE 108, 1, BStBl II 1973, 231; BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 645).
cc) Das FA hatte die Änderung des Bescheides vom 10. Januar 1996 dem FG am 9. August 1999 unter Beifügung von Fotokopien des Änderungsbescheides zum Verbleib beim FG mitgeteilt. Soweit die Klägerin daher rügt, dies habe das FA unterlassen, trifft dies nicht zu. Im Übrigen handelt es sich bei § 77 Abs. 3 FGO a.F. um eine Vorschrift, die lediglich die Pflicht des FA begründet, Änderungsbescheide an das FG zu übermitteln. Daraus folgt keine Verpflichtung des FG, diese an die Klägerin erneut zu übermitteln, wenn sie wie im Streitfall bereits der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ordnungsgemäß bekannt gegeben wurden. Die den Streitfall betreffenden Akten der Finanzverwaltung sind erst auf Anforderung des Gerichts am 11. Juni 2001 übersandt worden. Frühestens zu diesem Zeitpunkt wäre dann auch für das FG erkennbar gewesen, dass die Klägerin gegen den Änderungsbescheid für 1994 vom 9. August 1999 keinen Einspruch eingelegt hatte und mithin fraglich wurde, ob durch Eintritt der Bestandskraft hinsichtlich dieses Bescheides die Klägerin für die Fortführung der Verpflichtungsklage noch das erforderliche Rechtsschutzinteresse hatte, § 40 Abs. 2 FGO. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Jahresfrist analog § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO bereits abgelaufen.
dd) Damit entfällt insoweit gleichzeitig auch der Vorwurf der Verletzung des Rechts auf Gehör (Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG), § 96 Abs. 2 FGO) der Klägerin durch das FG. Eine Überraschungsentscheidung liegt unter den genannten Umständen nicht vor.
Auch soweit das FA in seinem Schriftsatz vom 5. August 1999, mit dem es den Bescheid vom 9. August 1999 an das FG übersandte, ausführte, dass der Feststellungsbescheid für 1994 vom 10. Januar 1996 nach einer durchgeführten Außenprüfung gemäß § 164 Abs. 2 AO 1977 aus anderen Gründen geändert worden sei, und das FG sodann diesen Schriftsatz nicht an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin zur Kenntnisnahme weiterleitete, folgt aus dem betreffenden Vortrag der Klägerin keine schlüssige Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das schlüssige Vorbringen dieser Rüge im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde erfordert hier, dass substantiiert dargelegt wird, wozu sich der Beteiligte nicht hat äußern können und was er bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Oktober 1994 VI B 139/93, BFH/NV 1995, 326; BFH-Urteil vom 3. Februar 1982 VII R 101/79, BFHE 135, 167, BStBl II 1982, 355; Gräber/Ruban, a.a.O., 5. Aufl., § 119 Rz. 14). Die Klägerin hat jedoch lediglich gerügt, es sei --entgegen dem tatsächlichen Geschehen-- keine Übersendung der Änderungsbescheide an das FG erfolgt, und damit die Verletzung einer bloßen Ordnungsvorschrift geltend gemacht (BFH-Beschluss vom 26. November 1997 I R 104/95, BFH/NV 1998, 1102; Gräber/von Groll, a.a.O., 5. Aufl., § 68 Rz. 100 zu § 68 Satz 3 FGO n.F.).
c) Soweit die Klägerin meint, das FG hätte ihr zumindest gemäß § 56 Abs. 1 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen, verkennt sie, dass eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand analog § 55 Abs. 2 FGO aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen ist (vgl. Senatsurteil in BFH/NV 2004, 971, BFH-Urteil vom 24. Oktober 2004 IX R 65/97, BFH/NV 2001, 785, und BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 1102). Da die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 FGO weiter sind als die des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO, wäre diese Vorschrift sonst sinnlos (BFH-Urteil vom 8. Februar 2001 VII R 59/99, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506).
aa) Nach Ablauf der Jahresfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs und damit auch die Antragstellung nach § 68 Satz 1 FGO a.F. nur noch zulässig, wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei, §§ 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 2, 56 Abs. 2 FGO. Der Antrag gemäß § 68 Satz 1 FGO a.F. kann nur gestellt werden, wenn diese Voraussetzungen gegeben sind (BFH-Urteil, BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506).
Die Klägerin macht nicht geltend, dass das FA zum Ausdruck gebracht habe, dass sie den Änderungsbescheid vom 9. August 1999 nicht anfechten könne.
bb) Aber auch ein Fall höherer Gewalt i.S. des § 55 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 FGO liegt nicht vor. Höhere Gewalt ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch die äußerste, nach Lage der Sache von dem Betroffenen zu erwartenden und zumutbaren Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil in BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506, unter II. 1. b) der Gründe, m.w.N.). Der Begriff der höheren Gewalt ist danach enger als der Begriff "ohne Verschulden" in § 56 Abs. 1 FGO. Er entspricht inhaltlich den Naturereignissen oder anderen unabwendbaren Zufällen (BFH-Urteil in BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506; BFH-Beschluss vom 30. Oktober 1997 III B 108/95, BFH/NV 1998, 497; vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 11. Mai 1979 6 C 70.78, BVerwGE 58, 100).
Demgemäß kann höhere Gewalt auch vorliegen, wenn ein Verfahrensbeteiligter durch ein Verhalten des Gerichts --wie es im Streitfall allerdings nicht ersichtlich ist (s. dazu oben, unter II. 1. b bb und cc)-- von einer fristgerechten Prozesshandlung abgehalten wird (BFH-Urteil vom 16. August 1979 I R 95/76, BFHE 129, 1, BStBl II 1980, 47). Ferner darf die Fristversäumnis dem Betroffenen dann nicht angelastet werden, wenn er durch arglistiges Verhalten seines Gegners an der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsbehelfs gehindert worden ist (BVerwG-Urteil vom 25. November 1977 V C 12.77, BVerwGE 55, 62) oder wenn die Fristversäumnis auf das rechts- oder treuwidrige Verhalten der Behörde zurückgeführt werden kann (vgl. BVerwG- Urteil in BVerwGE 58, 100; BFH-Urteil in BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506).
Jedoch entschuldigt mangelnde Rechtskenntnis des Beteiligten eine Fristversäumnis grundsätzlich nicht (BFH-Urteil in BFHE 194, 466, BStBl II 2001, 506). Das Vertrauen der Klägerin, sich im Prozess durch eine gemäß § 3 Nr. 3 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) zur geschäftsmäßigen Hilfeleistung in Steuersachen befugte Steuerberatungsgesellschaft gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 FGO vertreten war, auf die richtige Sachbehandlung durch das FA und der darauf beruhende Verzicht auf die Einlegung eines Einspruchs bzw. die Antragstellung gemäß § 68 Satz 1 FGO a.F. rechtfertigt die Annahme eines Falles höherer Gewalt nicht.
2. Des Weiteren vertritt die Klägerin die Ansicht, dass ein schwerwiegender Fehler in der Rechtsauslegung vorliege, der das Vertrauen in die Rechtsprechung beschädigen könne.
Zwar rechtfertigt ein schwerwiegender Rechtsfehler, wenn er hinreichend dargelegt ist, nach § 115 Abs. 2 FGO die Zulassung der Revision (vgl. etwa BFH-Beschluss vom 9. Dezember 2002 VII B 102/02, BFH/NV 2003, 530, II. Nr. 3 der Gründe, m.w.N.). Doch hat die Klägerin diesen Zulassungsgrund nicht hinreichend dargelegt (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Eine lediglich fehlerhafte Rechtsauslegung oder -anwendung im Einzelfall rechtfertigt nach der Rechtsprechung des BFH noch nicht eine Zulassung der Revision (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 530, und vom 7. Januar 2002 III B 61/01, BFH/NV 2002, 666). Soweit die Klägerin ausführt, sie habe auf die Ausführungen des FA zu § 68 FGO nach Treu und Glauben vertrauen dürfen, wendet sie sich lediglich gegen die angebliche unzutreffende Anwendung materiellen Rechts durch das FG. Der Vortrag, dem FG seien Fehler bei der Anwendung materiellen Rechts unterlaufen, reicht jedoch noch nicht aus, um die Zulassung der Revision zu begründen (Senatsbeschluss vom 23. August 2002 IV B 89/01, BFH/NV 2003, 177). Hinzukommen muss vielmehr, dass schlüssig dargelegt wird, inwiefern die gerügte Rechtswidrigkeit von erheblichem Gewicht ist und das Vertrauen in die Rechtsprechung schädigen kann (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 666). Dies ist zumindest dann der Fall, wenn die Entscheidung objektiv willkürlich oder unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und deshalb das Vertrauen in die Rechtsprechung schädigen kann (BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 530). Dazu enthält die Beschwerdebegründung jedoch keine Ausführungen.
Fundstellen
Haufe-Index 1403420 |
BFH/NV 2005, 1817 |