Entscheidungsstichwort (Thema)
Grobes Verschulden an verspätetem Bekanntwerden von Tatsachen bei Gefahr, sich durch die rechtzeitige Bekanntgabe einer Straftat zu bezichtigen; zum Buchnachweis
Leitsatz (NV)
1. Der nach § 8 Abs. 4 UStG 1967 zu führende Buchnachweis der für die Steuerfreiheit von Leistungen an ausländische Auftraggeber erforderlichen Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 bis 3 UStG 1967 ist durch Bücher oder Aufzeichnungen zu führen; eine Sammlung von Belegen allein genügt nicht.
2. Das strafprozessuale Recht, sich in einem Strafverfahren nicht selbst einer Straftat zu bezichtigen, steht der Annahme eines die Änderung von Steuerbescheiden gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 ausschließenden groben Verschuldens des Steuerflichtigen jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die nachträglich bekanntgewordene Tatsache zu einer niedrigeren Steuer geführt haben würde.
Normenkette
UStG 1967 § 8 Abs. 4; AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Bei dem Kläger hatte im Jahre . . . eine Steuerfahndungsprüfung stattgefunden. Nach den dort getroffenen Feststellungen war er u.a.. als Handelsvertreter tätig gewesen. Da Aufzeichnungen über Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nicht vorlagen, wurden u.a. die Umsätze des Klägers geschätzt. Das Finanzamt übernahm das Schätzungsergebnis des Prüfers und setzte gegen den Kläger durch Bescheide vom 19. April 1978 Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 1971, 1972 und 1974 fest. Hiergegen wurden keine Rechtsbehelfe eingelegt.
Mit Schreiben vom 23. März 1983 beantragte der Kläger, die Umsatzsteuerbescheide 1971 und 1972 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 zu ändern. Die von den Firmen A und B erhaltenen Provisionen als Handelsvertreter seien gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1967 von der Umsatzsteuer befreit, da es sich bei den genannten Firmen um ausländische Auftraggeber im Sinne dieser Vorschrift handle. Mit weiterem Schreiben vom 13. Juni 1983 begehrte der Kläger außerdem eine Berichtigung der Entgelte für 1974 nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG 1973, weil er wegen des Konkurses der C-KG im Jahre 1974 mit seinen Provisionsforderungen aus dem Jahre 1972 ausgefallen sei.
Das Finanzamt lehnte die Änderung der Umsatzsteuerbescheide ab, weil sie infolge der vorausgegangenen Steuerfahndungsprüfung der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO 1977 unterlägen.
Nach erfolglosem Einspruch hat der Kläger hiergegen Anfechtungsklage erhoben und zugleich Prozeßkostenhilfe für das Klageverfahren beantragt. Durch Beschluß vom 11. Januar 1985 hat das Finanzgericht diesen Antrag mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage abgelehnt. Einer Änderung der Umsatzsteuerbescheide stehe entgegen, daß den Kläger an dem nachträglichen Bekanntwerden der steuermindernden Tatsachen ein grobes Verschulden treffe; im übrigen stehe der Änderung § 173 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 entgegen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der sich der Kläger vor allem gegen den Vorwurf groben Verschuldens wendet. Ihm sei erst im Lauf des Steuerstrafverfahrens, in dem er zum erstenmal am . . . 1980 von der Straf- und Bußgeldstelle des Finanzamts vernommen worden sei, klar geworden, daß ihm der Fahndungsprüfer steuerfreie Umsätze zugerechnet habe. Er sei nicht regelmäßig steuerlich beraten gewesen, so daß auch ein Verschulden des Steuerberaters ausscheide. Im übrigen habe wegen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens keine Mitwirkungspflicht des Klägers bestanden.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde des Antragstellers (Kläger) ist unbegründet. Die vom Kläger beabsichtigte Rechtsverfolgung (Klageverfahren gegen die Ablehnung der Änderung der Umsatzsteuerbescheide 1971, 1972 und 1974) hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 ZPO). Weder die dem Senat vorliegenden Steuerakten (Umsatzsteuer-, Rechtsbehelfs- und Betriebsprüfungsakten) noch das eigene Vorbringen des Klägers geben ausreichende Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vollständig oder teilweise im Klageverfahren obsiegen könnte; weitere Erhebungen (§ 142 Abs. 1 FGO in Verbindung mit § 118 Abs. 2 ZPO) sind nicht veranlaßt.
1. Mangelnde Erfolgsaussichten sind hinsichtlich der vom Kläger geltend gemachten Steuerfreiheit der Handelsvertreter-Umsätze nach § 8 Abs. 1 Nr. 5 UStG 1967 bereits deshalb gegeben, weil der Kläger den nach § 8 Abs. 4 UStG 1967 erforderlichen Buchnachweis der sachlichen Voraussetzungen der Steuerbefreiung nicht geführt hat; er ist unerläßliche Voraussetzung für ihre Inanspruchnahme. Das Fehlen des Buchnachweises ergibt sich aus den vom Kläger nicht bestrittenen Feststellungen des Fahndungsprüfers, wonach der Kläger keinerlei Aufzeichnungen über seine Betriebseinnahmen und -ausgaben geführt hatte. Der Kläger hat demgegenüber lediglich ausgeführt, es liege ein Ordner mit chronologisch geordneten Provisionsmonatsabrechnungen vor.
Hierin kann, entgegen der Auffassung des Klägers der nach § 8 Abs. 4 UStG 1967 erforderliche Buchnachweis nicht gesehen werden, denn der buchmäßige Nachweis ist ein Nachweis durch Bücher oder Aufzeichnungen (vgl. § 2 der 2. UStDV) in Verbindung mit Belegen. Eine Sammlung von Belegen allein kann den buchmäßigen Nachweis nicht ersetzen; denn Belege sind keine Aufzeichnungen.
2. Das Klagebegehren des Klägers hat auch insoweit keine ausreichende Aussicht auf Erfolg, als er eine nachträgliche Änderung der Entgelte wegen Uneinbringlichkeit seiner Provisionsforderungen gegen die C-KG geltend macht. Der Senat geht dabei davon aus, daß der Schätzung der Provisionen in Höhe von 10 766 DM für das Jahr 1972 auch die noch offenen Forderungen des Klägers zugrunde gelegt worden sind; der Kläger hatte seine Umsätze nach vereinbarten Entgelten zu versteuern. Demzufolge wäre für das Jahr 1974 in Höhe der dann noch offenen Forderungen infolge der Konkurseröffnung über das Vermögen der C-KG eine Berichtigung nach § 17 UStG 1973 vorzunehmen. Eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1974 gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 kommt jedoch nicht in Betracht. Ihr steht zwar nicht entgegen, daß der Umsatzsteuerbescheid aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung ergangen ist; denn § 173 Abs. 2 AO 1977 hindert nicht die Änderung einer Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen (Urteil vom 15. März 1984 V R 97/82, BFHE 141, 110, BStBl II 1985, 146). Einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 steht aber entgegen, daß auf Grund der dem Senat vorliegenden Unterlagen von grobem Verschulden des Klägers an dem nachträglichen Bekanntwerden der behaupteten Uneinbringlichkeit der Provisionsforderungen auszugehen ist. Diese für die Besteuerung maßgebliche Tatsache war bereits bei der Schlußbesprechung über das Ergebnis der Steuerfahndungsprüfung am . . . 1977 bekannt, bei der der Kläger persönlich anwesend war, und hätte spätestens innerhalb der Einspruchsfrist gegen den Umsatzsteuerbescheid 1974 geltend gemacht werden müssen; ihre Auswirkung auf die Besteuerung war ohne weiteres erkennbar.
Der Senat folgt - zumindest für den dem vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sachverhalt - nicht der Auffassung des Klägers, ein grobes Verschulden scheide deshalb aus, weil er infolge des gegen ihn eingeleiteten strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zu einer Mitwirkung im Besteuerungsverfahren nicht verpflichtet gewesen sei. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit das strafprozessuale Recht, sich in einem Strafverfahren nicht selbst einer Straftat zu bezichtigen, dadurch beeinträchtigt werden könnte, daß der Betroffene eine Tatsache geltend macht, die zu einer niedrigeren Steuer führt.
Unterstellt man - entsprechend den Angaben im Auszug aus der Konkurstabelle -, daß im Zeitpunkt der Konkurseröffnung Forderungen des Klägers in Höhe von . . . DM bestanden, so konnte die Geltendmachung dieser Forderungen als uneinbringlich nur zur Folge haben, daß die Umsatzsteuer niedriger festzusetzen gewesen wäre. In bezug auf den darüber hinaus als Konkursforderung angemeldeten Betrag käme allerdings in Betracht, daß sich der Kläger durch die Geltendmachung der Uneinbringlichkeit selbst einer Straftat bezichtigt hätte. Da dieser Betrag den vom Finanzamt für das Jahr 1972 geschätzten Betrag erheblich übersteigt, könnte der Schluß gezogen werden, daß die Schätzung zu niedrig war und tatsächlich höhere, vom Kläger nicht angegebene Provisionsforderungen bestanden hätten. Diesen Erwägungen kann im vorliegenden Verfahren jedoch keine Bedeutung zukommen, weil der Kläger nicht ausreichend dargetan tat, daß Forderungen in dieser Höhe überhaupt bestanden hatten und er mit ihnen ausgefallen ist. Schon die Bezifferung des zur Konkurstabelle angemeldeten Betrages mit ,,ca." . . . DM gibt zu Zweifeln Anlaß; weitere, substantiierte Ausführungen zum Bestand der Forderungen hat der Kläger nicht gemacht. Das vom Kläger geltend gemachte Schutzrecht kann nicht mit der Gefahr der Aufdeckung von steuerlich erheblichen Sachverhalten begründet werden, für deren Vorhandensein keine hinreichenden Belege vorliegen.
Fundstellen
Haufe-Index 414058 |
BFH/NV 1986, 244 |