Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für gewerbliche Einkünfte aus spekulativen Devisengeschäften
Leitsatz (NV)
- Wickelt ein Steuerpflichtiger über seine Bank mehr als 200 Devisen-Kassa-Geschäfte über mehrere Millionen US-$ ab, kann diese Tätigkeit gewerblich sein, wenn die Bank für Rechnung des Steuerpflichtigen am allgemeinen Devisenmarkt tätig wird.
- Derartige Geschäfte sind nicht gewerblich, wenn der Steuerpflichtige mit seiner Bank lediglich Optionsgeschäfte sowie An- und Verkäufe über Devisen abwickelt, die nicht verfügbar sind und auch tatsächlich nicht übertragen werden sollen (sog. Leergeschäfte), so daß zwischen ihm und seiner Bank lediglich Kursdifferenzen auszugleichen sind.
Normenkette
EStG § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 22 Nr. 3; ZPO § 114
Tatbestand
Der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger) spekulierte in den Streitjahren (1989 bis 1994) mit Devisen-Kassa-Geschäften (An- und Verkauf von Devisen innerhalb von zwei Tagen) sowie mit Devisenoptionsgeschäften (Verkauf des Rechts, Devisen zu einem bestimmten Zeitpunkt gegen einen festgelegten Preis zu erwerben oder zu verkaufen). Er tätigte seine Devisengeschäfte ausschließlich mit der X-Bank als Vertragspartner. Bei den Optionsgeschäften nahm er meist die Stellung des Optionsgebers (Stillhalters) ein, der die sog. Stillhalterprämie bekommt. Die Stillhalterprämien flossen auf ein bei der X-Bank geführtes Guthabenkonto des Klägers. Übte die X-Bank ihre Optionsrechte aus, so bezahlte der Kläger die "Differenzen" (zwischen dem Kurswert und dem bei der Ausgabe der Option festgelegten Preis) teilweise durch Abbuchung von dem Guthabenkonto. In anderen Fällen tätigte er Devisen-Kassa-Geschäfte zur Erfüllung der entstandenen Verbindlichkeit. Devisen-Kassa-Geschäfte schloß er aber auch unabhängig von Devisenoptionsgeschäften ab. Nach Aufstellung des Klägers handelte es sich in den Streitjahren insgesamt um 216 Devisen-Kassa-Geschäfte (davon 128 wegen Devisenoptionsgeschäften) und 221 Devisenoptionsgeschäfte.
Der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) erfaßte die empfangenen Stillhalterprämien nach Abzug der gezahlten Stillhalterprämien und der gezahlten "Differenzen" als sonstige Einkünfte gemäß § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die sich für alle Streitjahre zusammengenommen auf rd. 39,4 Mio. DM beliefen.
Mit der Klage vor dem Finanzgericht (FG) begehrt der Kläger, seine Spekulationstätigkeit als gewerblich zu beurteilen. Er ermittelt seine Einkünfte durch Bilanzierung und berücksichtigt unter anderem Verluste aus Devisen-Kassa-Geschäften (insgesamt 27,2 Mio. DM), Zahlungen an Dritte und Drohverlustrückstellungen.
Dem Antrag des Klägers, ihm Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren, gab das FG nur in geringem Umfang statt. Nach Auffassung des FG ist der Kläger nicht gewerblich tätig geworden, weil er sich nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt hat. Von seinen Geschäften habe nur der Leiter der Devisenabteilung der X-Bank, Y, gewußt. Außenstehenden Dritten sei die Tätigkeit des Klägers verborgen geblieben. Alleiniger Vertragspartner des Klägers sei die X-Bank gewesen. Die vom Kläger empfangenen Stillhalterprämien seien den sonstigen Einkünften gemäß § 22 Nr. 3 EStG zuzurechnen. Die gezahlten Stillhalterprämien und "Differenzen" seien bei der Ermittlung dieser Einkünfte nicht abzuziehen. Die Klage habe aber teilweise Aussicht auf Erfolg, weil das FA nicht sämtliche behaupteten Zahlungen an Y als Werbungskosten anerkannt habe. Darüber müsse Beweis erhoben werden.
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger weiterhin geltend, er habe einen gewerblichen Devisenoptionshandel betrieben. Er habe werktäglich geprüft, ob und welches Geschäft angeraten gewesen sei und deswegen nahezu täglich in Kontakt mit Y und dessen Mitarbeitern gestanden. Dabei habe er durch sein Studium und durch seinen Beruf als Bankkaufmann erworbenes Spezialwissen eingesetzt. Die X-Bank sei zwar sein einziger Vertragspartner gewesen. Dies spreche aber nicht gegen eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, weil die X-Bank in der Lage sei, jedes gewünschte Devisenoptionsgeschäft auszuführen. Zur Entfaltung der gewerblichen Tätigkeit sei es nicht notwendig gewesen, weitere Kreditinstitute hinzuzuziehen. Seine Tätigkeit sei über die private Vermögensverwaltung hinausgegangen, weil er aufgrund seines Spezialwissens Devisenoptionsgeschäfte abgewickelt habe, von denen private Anleger nichts verstünden. Zudem habe er dabei die üblicherweise der Bank vorbehaltene Position des Stillhalters eingenommen. Er habe über sieben Jahre im Durchschnitt mindestens alle 14 Tage ein Devisenoptionsgeschäft getätigt und mit einem Devisenvolumen von mehreren hundert Millionen US-$ gehandelt.
Der Kläger beantragt, den Beschluß des FG vom 18. Dezember 1998 aufzuheben, soweit PKH abgelehnt wird, und ihm für das Klageverfahren PKH zu gewähren.
Das FA hat von einer Stellungnahme abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist begründet. Dem Kläger ist für das Klageverfahren in vollem Umfang PKH zu gewähren, weil seine Devisen-Kassa- und Devisenoptionsgeschäfte möglicherweise als gewerbliche Tätigkeit (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) zu beurteilen sind.
1. Die Gewährung von PKH setzt in sachlicher Hinsicht voraus, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 114 der Zivilprozeßordnung --ZPO-- i.V.m. § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Hinreichende Erfolgsaussichten bestehen, wenn bei summarischer Prüfung die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als aussichtslos erscheint, also eine gewisse Wahrscheinlichkeit für ein vollständiges oder zumindest teilweises Obsiegen des Antragstellers besteht. Davon ist auszugehen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund dessen Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Die Erfolgsaussichten sind in der Regel dann als hinreichend anzusehen, wenn die für und gegen einen Erfolg sprechenden Gründe als gleichwertig einzustufen sind. Bei der Abwägung dieser Umstände darf noch keine abschließende Prüfung vorgenommen werden (BFH-Beschlüsse vom 25. März 1986 III B 5-6/86, BFHE 146, 223, BStBl II 1986, 526; vom 5. Februar 1993 VIII B 103/92, BFH/NV 1993, 351; vom 9. März 1994 VIII S 9/93, BFH/NV 1995, 28).
2. Der Auffassung des FG, der Kläger sei nicht i.S. von § 15 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG gewerblich tätig geworden, weil er sich nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr beteiligt habe, stehen in etwa gleichgewichtige Gründe entgegen, die für eine gewerbliche Betätigung des Klägers sprechen.
a) Das FG hat seine Auffassung darauf gestützt, daß die X-Bank alleiniger Vertragspartner des Klägers gewesen sei und seine Tätigkeit außenstehenden Dritten verborgen geblieben sei. Das reicht jedoch nicht aus, um die Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr auszuschließen. Gewerbliche Tätigkeit kann sich auch im Geheimen vollziehen, wenn der Steuerpflichtige nach außen andere für sich auftreten läßt, deren Tätigkeit ihm zuzurechnen ist (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 1971 VI R 149/67, BFHE 102, 261, BStBl II 1971, 620; vom 13. Oktober 1988 IV R 220/85, BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39; vom 31. Juli 1990 I R 173/83, BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66; vom 3. Juli 1991 X R 163-164/87, BFHE 164, 556, BStBl II 1991, 802). So kann der Steuerpflichtige, statt seiner Bank in den gewöhnlichen Formen als privater Anleger Aufträge zu erteilen, sie in verdeckter Stellvertretung nach außen am Markt für sich tätig werden lassen (vgl. BFH-Urteile in BFHE 102, 261, BStBl II 1971, 620; in BFHE 154, 532, BStBl II 1989, 39; in BFHE 162, 236, BStBl II 1991, 66). Er braucht sich nicht selbst an den allgemeinen Käufermarkt zu wenden, sondern kann dafür eine Bank einschalten (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1992 III R 9/89, BFH/NV 1994, 80). Nach der vom FG wiedergegebenen Aufstellung des Klägers hat dieser in den Streitjahren neben den Devisenoptionsgeschäften auch 216 Devisen-Kassa-Geschäfte abgewickelt, bei denen er Devisen in erheblichem Umfang an- und verkauft hat. Nach Angabe des Klägers hat er mit mehreren hundert Millionen US-$ gehandelt. Danach liegt es nahe, daß die X-Bank (oder deren Leiter der Devisenabteilung, Y) zur Abwicklung dieser Geschäfte für Rechnung des Klägers am allgemeinen Devisenmarkt tätig geworden ist, und der Kläger der Bank mithin nicht lediglich wie ein privater Anleger gegenübergetreten ist.
Eine abweichende Beurteilung könnte indessen dann in Betracht kommen, wenn die Geschäfte des Klägers, auch die Devisen-Kassa-Geschäfte, den allgemeinen Devisenmarkt nicht berührt haben sollten. Das könnte der Fall sein, wenn der Kläger mit Y nur Optionsgeschäfte sowie An- und Verkäufe über Devisen abgewickelt hätte, die nicht verfügbar waren und auch tatsächlich nicht übertragen werden sollten (sog. Leergeschäfte), so daß zur Erfüllung der Geschäfte lediglich die Kursdifferenzen zwischen Y und dem Kläger auszugleichen waren. Dazu hat das FG bisher nichts festgestellt.
b) Wenn die Tätigkeit des Klägers die Voraussetzungen einer Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erfüllen sollte, spricht einiges dafür, daß seine Tätigkeit auch die Grenze der privaten Vermögensverwaltung überschritten hat. Dafür spricht neben dem Umfang der Geschäfte auch, daß er ohne Einsatz eigenen Vermögens mit beruflich erlangten Kenntnissen Kursdifferenzen ausgenützt und sich damit "bankentypisch" verhalten hat (vgl. BFH-Urteile vom 6. März 1991 X R 39/88, BFHE 164, 53, BStBl II 1991, 631; in BFH/NV 1994, 80).
3. Gegen die Entscheidung des FG, der Kläger habe kein einzusetzendes Einkommen und Vermögen i.S. des § 115 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO, hat das FA keine Einwände erhoben. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger zwischenzeitlich entsprechendes Einkommen und Vermögen aufzuweisen hat, sind nicht gegeben.
4. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen (vgl. BFH-Beschluß vom 26. Februar 1985 VIII S 17/84, BFH/NV 1985, 98).
Fundstellen
Haufe-Index 422565 |
BFH/NV 2000, 185 |
DStRE 2000, 189 |
EStB 1999, 278 |