Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei geltend gemachter Verfassungswidrigkeit; Rückforderung von Kindergeld
Leitsatz (NV)
- Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde ein Verstoß gegen höherrangiges Recht geltend gemacht, muss zumindest dargelegt werden, welche gesetzliche Regelung gegen die Verfassung verstößt und welche Folgerungen aus diesem Verstoß zu ziehen sind (z.B. verfassungskonforme Auslegung oder Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 GG).
- Für die Entscheidung, ob die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG aufzuheben oder zu ändern ist, kommt es auf ein Verschulden des Kindergeldberechtigten nicht an, insbesondere nicht darauf, ob dieser seine Mitwirkungspflichten verletzt hat.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3; EStG § 70 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Rz. 1
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog für ihren im März 1986 geborenen Sohn Kindergeld. Dem lag zuletzt eine Ausbildungsbescheinigung vom 2. März 2004 zugrunde. Im März 2007 teilte die Klägerin der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) mit, sie habe erst vor Kurzem erfahren, dass ihr Sohn bereits am 30. September 2004 die Ausbildung beendet habe. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für den Zeitraum Oktober 2004 bis November 2006 und Januar 2007 auf und forderte das gezahlte Kindergeld in Höhe von 4.158 € von der Klägerin zurück. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Rz. 2
Mit ihrer Beschwerde begehrt die Klägerin die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung. Sie wendet sich in erster Linie gegen den Rückforderungsbescheid und macht geltend, sie habe ihren ―psychisch kranken― Sohn nach seiner Ausbildung gefragt, habe von ihm jedoch vorsätzlich falsche Angaben erhalten. Da ihr selbst keinerlei Pflichtwidrigkeit vorgeworfen werden könne, müsse sie Vertrauensschutz genießen. Der Gesetzgeber hätte eine andere Konstruktion wählen und die volljährigen Kinder selbst zu Antragstellern machen müssen, so dass sich Kommunikationsdefizite zwischen Eltern und Kindern nicht als "Kindergeldfalle" auswirken könnten. Das Finanzgericht (FG) habe sich nicht genügend mit der Verfassungswidrigkeit der Vorschriften beschäftigt.
Entscheidungsgründe
Rz. 3
II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) zu verwerfen.
Rz. 4
1. Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO sind in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO für die Zulassung der Revision darzulegen.
Rz. 5
Wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn der Ausgang des Rechtsstreits von der Entscheidung einer umstrittenen Rechtsfrage abhängt, deren Klärung im Interesse der Allgemeinheit erforderlich ist. Stützt der Beschwerdeführer die Beschwerde auf diesen Zulassungsgrund, muss er zumindest eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage bezeichnen, die vom Bundesfinanzhof (BFH) geklärt werden soll. Werden verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, ist wenigstens darzulegen, welche Vorschrift gegen die Verfassung verstößt.
Rz. 6
2. Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht.
Rz. 7
Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts ist im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich. Die Klägerin hat auch keine umstrittene und für den Ausgang des Rechtsstreits erhebliche Rechtsfrage dargelegt, die im Interesse der Allgemeinheit zu klären wäre. Das FG-Urteil entspricht den gesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung.
Rz. 8
Soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten, ist die Festsetzung des Kindergeldes gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern; die Behörde hat insoweit keinen Ermessensspielraum. Auf das Verschulden des Kindergeldberechtigten kommt es nicht an, insbesondere nicht darauf, ob er seine Mitwirkungspflichten verletzt hat (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, m.w.N.). Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung hat zur Folge, dass das ohne rechtlichen Grund gezahlte Kindergeld nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung vom Leistungsempfänger zu erstatten ist. Billigkeitsgründe sind im Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides nicht zu berücksichtigen (BFH-Beschluss vom 19. September 1997 V B 39/97, BFH/NV 1998, 280).
Rz. 9
Bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer steuerrechtlichen Vorschrift kommt zwar eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung in Betracht. Es reicht aber nicht aus vorzutragen, die Situation der Klägerin sei so unerträglich, dass sie verfassungswidrig sei. Es muss zumindest dargelegt werden, welche gesetzliche Regelung gegen höherrangiges Recht verstößt und welche Folgerungen aus diesem Verstoß zu ziehen sind (z.B. verfassungskonforme Auslegung oder Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes). In der Beschwerdeschrift ist lediglich die Vorschrift des § 70 Abs. 2 EStG genannt, wobei die Klägerin jedoch ausdrücklich keine ernsthaften Bedenken dagegen äußert, dass die Familienkasse berechtigt und verpflichtet gewesen sei, die Kindergeldfestsetzung aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 2596357 |
BFH/NV 2011, 436 |