Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung in Kindergeldverfahren
Leitsatz (NV)
- Klagt der Sozialleistungsträger gegen einen die Kindergeldfestsetzung aufhebenden Bescheid, so ist derjenige notwendig beizuladen, zu dessen Gunsten das Kindergeld bisher festgesetzt war.
- Eine notwendige Beiladung ist ab 1. Januar 2001 auch in der Revisionsinstanz statthaft.
- Zur notwendigen Beiladung in Fällen, in denen das FG die Klage als unzulässig abgewiesen hat.
Normenkette
FGO § 60 Abs. 3, § 123 Abs. 1-2
Tatbestand
I. Der im Jahre 1953 geborene Sohn X der M ist wegen geistiger Behinderung zu 100 v.H. erwerbsunfähig. Er ist seit vielen Jahren im Wege der erweiterten Eingliederungshilfe (§§ 39 ff., § 43 Abs. 1 des Bundessozialhilfegesetzes ―BSHG―) in einem Heim untergebracht.
Das Arbeitsamt -Familienkasse- (Beklagter und Revisionsbeklagter ―Beklagter―) hatte zunächst Kindergeld für den Sohn bewilligt. Mit Bescheid vom 26. Februar 1997, der an Frau M gerichtet war, setzte der Beklagte das Kindergeld ab Januar 1997 auf 0 DM fest. Zur Begründung führte er an, aufgrund der geleisteten Eingliederungshilfe sei der Sohn nicht außerstande, sich selbst zu unterhalten.
Gegen diesen Bescheid legte zwar nicht Frau M, jedoch die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), der als Sozialleistungsträgerin das anteilige Kindergeld bisher ausgezahlt worden war, Einspruch ein. Diesen wies der Beklagte als unbegründet zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der Klägerin als unzulässig ab. Über die von der Klägerin erhobene Revision hat der Senat noch nicht entschieden.
Entscheidungsgründe
II. 1. Frau M ist zum Verfahren notwendig beizuladen. Nach § 60 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hat eine Beiladung dann zu erfolgen, wenn an einem streitigen Rechtsverhältnis Dritte derartig beteiligt sind, dass die Entscheidung ihnen gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Das ist der Fall, wenn die Entscheidung nach Maßgabe des materiellen Steuerrechts notwendigerweise und unmittelbar Rechte oder Rechtsbeziehungen des Dritten gestaltet, bestätigt, verändert oder zum Erlöschen bringt (z.B. Bundesfinanzhof ―BFH―, Beschluss vom 29. Januar 1980 VII B 34/79, BFHE 129, 536, BStBl II 1980, 303; Urteil vom 19. April 1988 VII R 56/87, BFHE 153, 472, BStBl II 1988, 789; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 60 Anm. 23; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 60 FGO Tz. 19). Die notwendige Beiladung soll sicherstellen, dass eine Sachentscheidung, die die Rechte eines Dritten in der vorbezeichneten Weise betrifft und aus diesem Grunde auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann, nicht ohne Beteiligung dieses Dritten erlassen wird. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass der Dritte an die Rechtskraft des in der Sache ergehenden Urteils nach Maßgabe des § 110 Abs. 1 FGO gebunden ist.
Streitgegenstand der Klage ist die Rechtmäßigkeit des von dem Beklagten erlassenen, an Frau M gerichteten Bescheids vom 26. Februar 1997. Die Rechtswirkungen der Entscheidung des Senats gegenüber Frau M und der ebenfalls betroffenen Klägerin beziehen sich auf das nämliche Recht, und zwar die Kindergeldberechtigung von Frau M. Gelangt der Senat im vorliegenden Verfahren zu der Auffassung, der umstrittene Bescheid sei aufzuheben, so hätte dies zur Folge, dass die ursprüngliche Kindergeldfestsetzung wieder erstarken bzw. die Kindergeldberechtigung von Frau M bestätigt werden würde. Bei einem Misserfolg der Klage stünde fest, dass eine Kindergeldberechtigung von Frau M nicht besteht.
Die notwendige Beiladung kann auch nicht deshalb unterbleiben, weil die Vorinstanz die Klage für unzulässig erachtet hat. Eine notwendige Beiladung könnte nur im Falle der offensichtlichen Unzulässigkeit der Klage, des offensichtlichen Hindernisses für eine Entscheidung über den materiellen Klageantrag oder dann unterbleiben, wenn der Beizuladende unter keinem denkbaren Gesichtspunkt steuerrechtlich betroffen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. Tipke/Kruse, a.a.O., § 60 FGO Tz. 93, m.w.N.). Derartige Fallgestaltungen liegen hier nicht vor.
2. Die Vorinstanz hat Frau M im finanzgerichtlichen Verfahren nicht beigeladen. Da die notwendige Beiladung zur Grundordnung des Verfahrens gehört, kann auf sie jedoch nicht verzichtet werden. Die Unterlassung einer notwendigen Beiladung ist verfahrensfehlerhaft und führte nach früherem Recht, das dem Revisionsgericht die Nachholung einer notwendigen Beiladung nicht ermöglichte, regelmäßig zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz, um sicherzustellen, dass die notwendige Beiladung nachgeholt wird (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteile vom 30. März 1999 VIII R 15/97, BFH/NV 1999, 1468; vom 7. Juli 1998 VIII R 16/96, BFH/NV 1999, 471; vom 28. Februar 1990 I R 156/86, BFHE 160, 123, BStBl II 1990, 696, 699).
Die Vorschrift des § 123 Abs. 1 Satz 2 FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze (2.FGOÄndG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1757) ermöglicht ab 1. Januar 2001 (vgl. Art. 6 Satz 1 2.FGOÄndG) eine notwendige Beiladung auch im Revisionsverfahren. Aus Gründen der Verfahrensökonomie und der Verfahrensbeschleunigung soll damit eine Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz vermieden werden (vgl. hierzu Spindler, Der Betrieb, 2000, 61, 62; BTDrucks 11/7030, S. 35 zur inhaltsgleichen Vorschrift des § 142 Abs. 1 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung).
3. Durch den vorliegenden Beiladungsbeschluss erhält Frau M als Beigeladene die Stellung eines Beteiligten (vgl. § 57 Nr. 3 FGO; zur Stellung des Beigeladenen: vgl. Gräber/Koch, a.a.O., § 60 Anm. 102 ff.). Eine Verpflichtung zur Mitwirkung an dem Verfahren besteht für die Beigeladene nur, sofern sie eine besondere Aufforderung durch den Senat erhält. Die Rechtskraft einer in dieser Sache ergehenden Entscheidung wirkt in jedem Fall für und gegen die Beigeladene (vgl. § 110 Abs. 1 FGO).
4. Der Senat weist darauf hin, dass die Beigeladene Verfahrensmängel nur innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Beschlusses rügen kann (§ 123 Abs. 2 Satz 1 FGO n.F.). Die Frist kann nach Maßgabe des § 123 Abs. 2 Satz 2 FGO n.F. verlängert werden. Der Senat verweist den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurück, wenn die Beigeladene ein berechtigtes Interesse daran hat (§ 126 Abs. 3 Satz 2 FGO n.F.).
Jeder Beteiligte, also auch die Beigeladene, muss sich vor dem BFH durch eine Person i.S. des § 3 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) vertreten lassen (§ 62a Abs. 1 FGO n.F.; vgl. auch Gräber/Koch, a.a.O., § 62 Anm. 90). Zur Vertretung der Beteiligten vor dem BFH berechtigt sind Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, niedergelassene europäische Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer; ferner Steuerberatungsgesellschaften, Rechtsanwaltsgesellschaften, Wirtschaftsprüfungsgesellschaften und Buchprüfungsgesellschaften sowie Partnerschaftsgesellschaften i.S. von § 3 Nr. 2 StBerG, die durch einen der in dem vorherigen Halbsatz aufgeführten Berufsangehörigen tätig werden.
Fundstellen
Haufe-Index 564963 |
BFH/NV 2001, 812 |