Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Nichtzulassungsbeschwerde im Billigkeitsverfahren
Leitsatz (NV)
1. Die Rechtsfrage, ob an die Beratungspflicht der Familienkasse (§ 89 AO) im Kindergeldrecht erhöhte Anforderungen zu stellen sind, zielt nicht auf die Unbilligkeit im konkreten Fall ab, sondern auf die Auslegung der materiellen Steuernormen. Diese Frage ist jedoch im Billigkeitsverfahren nicht klärbar.
2. Bestandskräftige Steuerfestsetzungen bzw. wie im Streitfall bestandskräftige Kindergeldablehnungsbescheide können wegen materiell-rechtlicher Fehler im Billigkeitswege nur korrigiert werden, wenn der Bescheid offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen bzw. Kindergeldberechtigten nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren.
Normenkette
AO §§ 5, 89; FGO § 102
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 08.11.2005; Aktenzeichen 8 K 654/04) |
Tatbestand
I. Streitig ist, ob die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) aus Billigkeitsgründen verpflichtet ist, dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Kindergeld für seine Kinder A und B für die Zeit ab Juli 1997 bis Januar 2001 zu gewähren.
Der Kläger ist bosnischer Staatsangehöriger. Seine Kinder, geboren 1981 und 1987, lebten im Haushalt des Klägers. In der Zeit vom 14. März 1996 bis 18. März 1998 sowie vom 7. April 1998 bis 9. November 2000 war der Kläger als … beschäftigt. In der Zeit vom 20. März 1998 bis 6. April 1998 bezog er Arbeitslosengeld. Ab dem 1. September 2000 war er berufsunfähig. Seit dem 13. Oktober 2000 bezieht er Krankengeld.
Am 13. Januar 2000 stellte der Kläger einen Antrag auf Kindergeld für die Söhne. Mit Bescheid vom 10. Februar 2000 lehnte die Familienkasse den Antrag ab und setzte das Kindergeld auf 0 DM fest. Zur Begründung führte sie aus, nach § 62 des Einkommensteuergesetzes (EStG) hätten ausländische Staatsangehörige nur dann einen Anspruch auf Kindergeld, wenn sie im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer Aufenthaltsberechtigung seien. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht.
Am 31. Oktober 2000 beantragte der Kläger erneut Kindergeld. Diesen Antrag lehnte die Familienkasse mit Bescheid vom 15. Januar 2001 ab und setzte auch hier das Kindergeld auf 0 DM fest. Mit Antrag vom 17. April 2001 begehrte der Kläger nochmals die Gewährung von Kindergeld. Nunmehr reichte er Bescheinigungen über seine Arbeitnehmertätigkeit sowie über den Bezug von Krankengeld und Arbeitslosengeld ein. Mit Bescheid vom 2. August 2001 setzte die Familienkasse Kindergeld ab Februar bis Juli 2001 für das Kind A und mit Bescheid vom 15. August 2001 für den Sohn B ab Februar 2001 fest, da nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 12. April 2000 B 14 KG 3/99 R (BSGE 86, 115) auch an Bosnier ohne Aufenthaltserlaubnis Kindergeld gezahlt werden könne, wenn sie eine Arbeitnehmertätigkeit oder den Bezug von Arbeitslosengeld oder Krankengeld nachweisen könnten. Im selben Bescheid wertete die Familienkasse den Antrag vom 26. April 2001 für das Kind B als Antrag auf Korrektur des Bescheides vom 15. Januar 2001. Diesen Antrag lehnte sie mit der Begründung ab, dass aufgrund des von dem Kläger in der Vergangenheit gestellten Antrags das Kindergeld mit Bescheid vom 15. Januar 2001 auf 0 DM festgesetzt worden sei. Eine erneute Festsetzung könne daher erst ab dem Folgemonat des Bescheides --also ab Februar 2001-- erfolgen. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Mit Schriftsatz vom 22. März 2004 beantragte der Kläger, ihm für die Zeit von März 2000 bis Januar 2001 aus Billigkeitsgründen gemäß § 163, § 155 Abs. 4 der Abgabenordnung (AO) Kindergeld für seine Kinder zu gewähren. Er machte geltend, er werde ungleich gegenüber denjenigen behandelt, die keinen Antrag auf Kindergeld gestellt hätten und denen nunmehr das Kindergeld nachträglich bewilligt werde. Mit Bescheid vom 7. Juni 2004 lehnte die Familienkasse den Antrag ab.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage als unbegründet ab. Die Familienkasse sei nicht verpflichtet, dem Kläger aus Billigkeitsgründen Kindergeld für die Zeit vor Februar 2001 zu gewähren. Mit Recht weise sie darauf hin, dass die Verwaltungsentscheidungen nur daraufhin überprüft werden könnten, ob ein Ermessensfehlgebrauch vorliege. Ermessensfehler seien vorliegend jedoch nicht gegeben, denn grundsätzlich rechtfertigten materiell-rechtliche falsche Entscheidungen allein noch keine Billigkeitsentscheidungen. Es sei auch nicht ersichtlich, dass es dem Kläger nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, rechtzeitig gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. Januar 2001 Einspruch einzulegen. Hätte er Einspruch erhoben, wäre voraussichtlich die fehlerhafte Entscheidung der Familienkasse korrigiert und dem Kläger auch für die Zeit vor Februar 2001 Kindergeld gewährt worden. Bei dieser Sachlage sei es nicht zu beanstanden, dass die Familienkasse sich auf die Bestandskraft des Bescheides berufe, denn die Familienkasse habe keine Beratungspflicht i.S. von § 89 AO verletzt. Ob dem Sachbearbeiter der Familienkasse das Urteil des BSG in BSGE 86, 115 bei dem Erlass des Ablehnungsbescheides vom 15. Januar 2001 bekannt gewesen sei, könne dahinstehen. Da das Urteil nicht im BStBl veröffentlicht und keine Dienstanweisung bezüglich seiner Anwendung ergangen sei, habe insoweit keine Beratungspflicht der Familienkasse bestanden.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde, mit der er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrt (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Nach der Rechtsprechung könne nach einer bestandskräftigen Ablehnungsentscheidung Kindergeld rückwirkend nur ab dem Folgemonat gewährt werden. Ob dies auch dann zu gelten habe, wenn eine Korrektur des Ablehnungsbescheides mit Rechtsbehelfen nicht möglich gewesen wäre, sei eine vom Bundesfinanzhof (BFH) bislang noch nicht entschiedene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung. Er, der Kläger, werde gegenüber Personen, die ebenfalls nach dem Wortlaut des deutsch-jugoslawischen Abkommens von 1968 i.d.F von 1974 (BGBl II 1969, 1438, BGBl II 1975, 390) kindergeldberechtigt gewesen seien und die niemals einen Antrag auf Kindergeld gestellt hätten, ungleich behandelt, weil diese, so sie einen Antrag nach dem 19. Februar 2001 gestellt hätten, rückwirkend bis zur Festsetzungsverjährung Kindergeld erhielten, während er, der mehrmals versucht habe, sein Recht auf Bezug von Kindergeld durchzusetzen, mit rückwirkenden Ansprüchen über den letzten bestandskräftigen Bescheid hinaus ausgeschlossen sei.
Schließlich sei die Revision auch deshalb zuzulassen, weil das FG die an ein Beratungsverschulden in kindergeldrechtlichen Angelegenheiten zu stellenden Anforderungen verkenne (§ 89 AO). Von grundsätzlicher Bedeutung sei, ob in kindergeldrechtlichen Angelegenheiten gegenüber dem sonstigen Steuerrecht erhöhte Anforderungen an die Beratungs- und Auskunftspflicht der Behörden zu stellen seien. Aufgrund des Charakters des Kindergeldes, das weiterhin einer Sozialleistung gleichkomme und mangels einer § 44 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) vergleichbaren Regelung im Steuerrecht seien Kindergeldberechtigte umfassender zu beraten, als dies im sonstigen Steuerrecht der Fall sei.
Die Revision sei zudem zuzulassen, da die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordere. Der vorliegende Rechtsstreit gebe dem BFH die Möglichkeit, Leitsätze für die Auslegung des § 89 AO im Hinblick auf diese kindergeldrechtliche Fragestellung zu entwickeln. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sei geboten, weil in einem mit dem vorliegenden Sachverhalt identischen Verfahren der 12. Senat des Niedersächsischen FG mit Beschluss vom 1. April 2004 12 S 8/03 Prozesskostenhilfe gewährt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Die vom Kläger behauptete grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor. Die vom Kläger insoweit aufgeworfenen Rechtsfragen betreffen nicht den Gegenstand des vorliegenden Finanzrechtsstreits. In dem Verfahren vor dem FG war gemäß § 102 FGO zu prüfen, ob die Familienkasse ihr Ermessen dem Zweck des § 163 AO entsprechend ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat (§ 5 AO; vgl. BFH-Beschluss vom 17. Juli 2006 II B 118/05, BFH/NV 2006, 1875). Die vom Kläger angesprochene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zielt aber nicht auf die Unbilligkeit im konkreten Fall ab, sondern auf die Auslegung der materiellen Steuernormen, indem geltend gemacht wird, die Familienkasse habe ihre Beratungspflicht nach § 89 AO verletzt, an die im Kindergeldrecht erhöhte Anforderungen zu stellen sei. Diese Frage ist im Billigkeitsverfahren jedoch nicht klärbar. Der Senat weist darauf hin, dass er mit Beschluss vom 19. Februar 2007 III B 195/05 die Zulassung der Revision im Verfahren über die Kindergeldberechtigung abgelehnt hat.
Im Übrigen rechtfertigt nach ständiger Rechtsprechung allein die Einwendung, die bestandskräftige Steuerfestsetzung (hier: die bestandskräftige Kindergeldablehnung) sei materiell-rechtlich falsch, noch nicht die Annahme einer sachlichen Härte (s. BFH-Urteil vom 9. Juli 2003 V R 57/02, BFHE 203, 8, BStBl II 2003, 901). Bestandskräftige Steuerfestsetzungen bzw. wie im Streitfall bestandskräftige Kindergeldablehnungsbescheide können im Billigkeitswege nur korrigiert werden, wenn der Bescheid offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Steuerpflichtigen bzw. Kindergeldberechtigten nicht möglich und nicht zumutbar war, sich rechtzeitig gegen die Fehlerhaftigkeit zu wehren (z.B. BFH-Beschluss vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor. Letztlich richten sich die Einwendungen gegen die inhaltliche Richtigkeit des Urteils. Ein derartiges Vorbringen ist jedoch nicht geeignet, in einem Rechtsstreit wegen eines Erlasses Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 FGO darzutun (vgl. BFH-Beschluss vom 18. Mai 2006 II B 41/04, BFH/NV 2006, 1679).
Soweit der Kläger die Zulassung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrt, ist die Beschwerde bereits unzulässig, da eine Divergenz nicht ausreichend dargelegt ist (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 1718307 |
BFH/NV 2007, 1072 |