Anspruchsvorrang des am Monatsanfang Kindergeldberechtigten
Hintergrund: Gesetzliche Regelungen
Nach § 66 Abs. 2 EStG wird das Kindergeld monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen. Für jedes Kind wird Kindergeld nach § 64 Abs. 1 EStG nur einem Berechtigten gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Bei Bestehen eines gemeinsamen Haushalts können die Berechtigten untereinander den Berechtigten bestimmen, andernfalls kann auf Antrag die Bestimmung durch das Familiengericht erfolgen (§ 64 Abs. 2 Satz 2 und 3 EStG). Ist das Kind nicht in den Haushalt eines Berechtigten aufgenommen, kommt es für die Rangfolge der Berechtigten auf die Zahlung einer Unterhaltsrente an (vgl. im Einzelnen § 64 Abs. 3 EStG).
Sachverhalt: Aufnahme des Kindes im Haushalt von Pflegeeltern
Der Kläger und sein Lebenspartner sind die Pflegeeltern des am 26.11.2020 geborenen A, der als Frühgeburt zur Welt kam und danach zunächst in der Abteilung Neonatologie einer Klinik behandelt wurde. Ebenso wie bereits zuvor B nahmen der Kläger und sein Lebenspartner laut einer vom Jugendamt ausgestellten „Bescheinigung über die Aufnahme eines Pflegekindes“ am 7.12.2020 auch A in ihren Haushalt auf. Am 9.12.2020 erteilte das Jugendamt dem Kläger und seinem Lebenspartner eine „Vollmacht als Ergänzung zu § 1688 BGB“.
Mit Antrag vom 20.1.2021, dem auch sein Lebenspartner zustimmte, beantragte der Kläger Kindergeld für A. In der „Erklärung für ein Pflegekind“ gab er an, dass A sich seit dem 7.12.2020 auf unbestimmte Zeit in seinem Haushalt aufhalte, er das Kind ganztägig und durchgehend an allen Wochentagen versorge und die leiblichen Eltern es nicht besuchten.
Mit Bescheid vom 26.1.2021 setzte die Familienkasse das Kindergeld für A ab Januar 2021 fest. Mit weiterem Bescheid vom 8.2.2021 lehnte sie sowohl die Festsetzung des Kindergelds für November und Dezember 2020 als auch den Antrag auf den Kinderbonus mit der Begründung ab, dass A erst am 7.12.2020 in den Haushalt des Klägers aufgenommen worden sei und Änderungen der familiären Verhältnisse erst ab dem Folgemonat zu einem Anspruchsvorrang führten. Wegen des kindergeldrechtlichen Monatsprinzips erhalte derjenige Elternteil für den gesamten Monat ungeteilt das Kindergeld, der zu Beginn des Monats den vorrangigen Anspruch innegehabt habe.
Am 16.2.2012 beantragte der Kläger rückwirkend ab dem Tag der Geburt Kindergeld für A nebst dem Kinderbonus für das Jahr 2020, zugleich legte er Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 8.2.2021 ein. Bereits bei der Geburt habe seitens des Jugendamts die Inobhutnahme und Aufnahme im Haushalt des Klägers festgestanden.
Das Jugendamt führte in einem Schreiben vom 24.3.2021 aus, A erhalte seit 7.12.2020 Hilfe zur Erziehung und habe seinen Aufenthalt in der Pflegestelle beim Kläger und seinem Lebenspartner. Es bestehe eine Amtspflegschaft, A sei seit seiner Geburt vom Jugendamt in Obhut genommen worden. Sein vorläufiger Aufenthalt sei in der Kinderklinik festgelegt worden, da noch eine weitere medizinische Versorgung notwendig gewesen sei. Die Kindesmutter sei zum Zeitpunkt der Geburt obdachlos und ohne finanzielle Mittel zur Versorgung des Kindes gewesen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 2.11.2021 wies die Familienkasse den Einspruch hinsichtlich des Kindergelds für die Monate November und Dezember 2020 und des Kinderbonus als unbegründet zurück.
In dem vom Kläger angestrengten Klageverfahren teilte das Jugendamt auf die Frage des FG mit, dass weder der Landkreis noch die Mutter noch der Vater Kindergeld für November und Dezember 2020 beantragt oder bewilligt bekommen hätten. Für das Jugendamt habe am 27.11.2020 festgestanden, dass A in die Pflegestelle des Klägers und seines Lebenspartners gehen werde.
Das FG ging im angefochtenen Urteil von einem Pflegekindschaftsverhältnis i. S. d. § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG erst ab dem 7.12.2020 aus. Die den Monat November 2020 betreffende Klage wies es ab, im Hinblick auf das Kindergeld für den Monat Dezember 2020 und den Kinderbonus 2020 gab es der Klage statt.
Entscheidung: Revision der Familienkasse begründet
Der BFH hat entschieden, dass die Revision der Familienkasse sowohl hinsichtlich des Kindergelds für den Monat Dezember 2020 als auch hinsichtlich des Kinderbonus für das Jahr 2020 begründet ist, so dass die Vorentscheidung in dem von der Familienkasse beantragten Umfang aufzuheben sei.
Vorrangiger Kindergeldanspruch der Eltern
Der Kläger habe aufgrund der vorrangigen Anspruchsberechtigung der leiblichen Eltern für den Monat Dezember 2020 keinen Kindergeldanspruch für A. Das FG sei zwar zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger seit dem Monat Dezember 2020 insofern anspruchsberechtigt gewesen sei, als A ab dem 7.12.2020 alle begrifflichen Merkmale eines Pflegekindes erfüllt habe. Die Konkurrenz zwischen dem Kindergeldanspruch des Klägers und jenem der leiblichen Mutter bzw. des leiblichen Vaters hat das FG jedoch zu Unrecht zugunsten des Klägers aufgelöst. Die vorrangige Kindergeldberechtigung des Klägers folge insbesondere nicht aus § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG und daraus, dass A im Dezember 2020 zwar in den Haushalt des Klägers, nicht aber in den Haushalt seiner Mutter oder seines Vaters aufgenommen gewesen sei.
Für das im Streit stehende Kindergeld für A habe im Dezember 2020 eine Anspruchsberechtigung mehrerer Personen. Zum einen habe A als Kind seiner Eltern und zum anderen ab dem 7.12.2020 als Pflegekind des Klägers und seines Lebenspartners berücksichtigt werden können. Die Berechtigung der leiblichen Eltern habe schon ab der Geburt des A bestanden und damit auch am Beginn des Monats Dezember 2020, wohingegen die der Pflegeeltern respektive des Klägers erst am 7.12.2020 hinzugekommen sei.
Weil für einen Monat nur einem Berechtigten das volle Kindergeld gezahlt werde, komme es im Streitfall darauf an, welcher Anspruch in Anbetracht des Zusammentreffens der verschiedenartigen Ansprüche im Dezember 2020 vorrangig sei. Primär in den Blick zu nehmen seien hier die Verhältnisse am Monatsanfang. Dies gelte nicht nur in den Fällen der Änderung der Berechtigtenbestimmung und des Wechsels der Haushaltszugehörigkeit, sondern auch in der hier vorliegenden Fallkonstellation eines Wechsels von einer vorrangigen Berechtigung zu einer vorrangigen Berechtigung. Dass unmittelbar nach der Geburt aufgrund der besonderen Umstände des Streitfalls (Obdachlosigkeit der Mutter, wohl kein Kontakt zum Vater, Inobhutnahme durch das Jugendamt) zunächst noch keine Zugehörigkeit des A zum Haushalt eines Berechtigten bestanden habe, ändere nichts an der Kindergeldberechtigung der leiblichen Eltern. Erfülle nämlich eine Person am Monatsersten alle Voraussetzungen des Kindergeldanspruchs, habe sie diesen für den gesamten Monat, sofern nicht ein anderer Berechtigter ebenfalls am Monatsersten bereits alle Anspruchsvoraussetzungen erfülle und vorrangig sei.
Kindergeld teilt Schicksal der Kindergeldberechtigung
Mangels Kindergeldberechtigung für mindestens einen Monat des Jahres 2020 habe der Kläger keinen Anspruch auf den akzessorischen Kinderbonus für dieses Jahr.
Grundsätzlich werde für jedes Kind, für das für den Monat September 2020 ein Anspruch auf Kindergeld bestehe, für den Monat September 2020 ein Einmalbetrag von 200 EUR und für den Monat Oktober 2020 ein Einmalbetrag von 100 EUR gezahlt. Ein Anspruch in Höhe der Einmalbeträge von insgesamt 300 EUR für das Kalenderjahr 2020 bestehe auch für ein Kind, für das zwar nicht für den Monat September 2020, jedoch für mindestens einen anderen Kalendermonat im Kalenderjahr 2020 ein Anspruch auf Kindergeld bestehe.
Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger insofern nicht, als er weder für den November 2020 noch für den Dezember 2020 einen Anspruch auf Kindergeld für den am 26.11.2020 geborenen A habe. Eine Konkurrenz der Bonusansprüche mehrerer potenzieller Berechtigter bestehe in der Person des Klägers daher nicht.
BFH, Urteil v. 18.1.2024, III R 5/23; veröffentlicht am 7.3.2024
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