Entscheidungsstichwort (Thema)
Scheinfirma; Aussetzung der Vollziehung
Leitsatz (NV)
- Die Vollziehung eines angefochtenen Umsatzsteuerbescheides, mit dem der Vorsteuerabzug versagt worden ist, weil es sich bei dem Aussteller der entsprechenden Rechnungen um eine sog. Scheinfirma gehandelt habe, kann auszusetzen sein, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt weitgehend ungeklärt ist.
- Es ist nicht Aufgabe des BFH, im auf vorläufigen Rechtsschutz angelegten Verfahren der Aussetzung der Vollziehung auf ungesicherter Tatsachengrundlage Rechtsfragen zu klären, die sich nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts möglicherweise nicht stellen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1, § 128 Abs. 3; UStG 1993 § 2 Abs. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) betrieb einen Kfz-Handel. Im Streitjahr (1996) erwarb sie acht PKW von X. Die in den entsprechenden Rechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 21 305,20 DM machte sie als Vorsteuerbeträge geltend.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) versagte im Umsatzsteuerbescheid 1996 den Vorsteuerabzug. Zur Begründung berief sich das FA im Anschluß an eine Umsatzsteuersonderprüfung auf Feststellungen einer Steuerfahndungsstelle. Es ist der Auffassung, daß es sich bei X lediglich um eine Scheinfirma (Deckadresse) des in Italien ansässigen Y gehandelt habe. Deshalb sei der wirklich leistende Unternehmer aus den acht Rechnungen nicht ohne weiteres identifizierbar. Ein Vorsteuerabzug scheide mithin mangels ordnungsgemäßer Rechnung aus.
Das FA hat über den Einspruch der Antragstellerin gegen diesen Bescheid noch nicht entschieden.
Das Finanzgericht (FG) wies ―wie zuvor das FA― den Antrag der Antragstellerin ab, die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheides 1996 auszusetzen, soweit er die bezeichneten Rechnungen betrifft. Es führte zur Begründung u.a. aus, bei der gebotenen summarischen Prüfung sei der Vorsteuerabzug aus den streitbefangenen Rechnungen nicht möglich, weil aus ihnen der notwendig kenntlich zu machende Auslandsbezug nicht ersichtlich sei, nämlich der Wohnsitz bzw. der erste und unzweifelhaft gegebene Geschäftssitz des liefernden Unternehmers in Italien.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der vorliegenden Beschwerde, die das FG zugelassen hat. Sie meint, die Rechnungen seien nicht zu beanstanden. Im übrigen sei X bei dem zuständigen FA umsatzsteuerrechtlich geführt worden und habe die geschuldeten Umsatzsteuern auch abgeführt.
Die Antragstellerin beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und aus dem angefochtenen Steuerbescheid einen Betrag von 21 304,30 DM von der Vollziehung auszusetzen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässige Beschwerde ist begründet. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, daß die Versagung des Vorsteuerabzugs rechtmäßig ist.
1. Die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes soll auf Antrag ganz oder teilweise ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides bestehen (§ 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO). Solche Zweifel sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182; vom 24. Mai 1993 V B 33/93, BFH/NV 1994, 133).
2. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
a) Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist weitgehend ungeklärt.
Zum einen weichen hinsichtlich der Abwicklung der in Rede stehenden Kfz-Lieferungen die Feststellungen der Steuerfahndung in dem ―dem FG aus einem Parallelverfahren bekannten― Bericht vom … 1998 von dem Sachverhalt ab, von dem die Beteiligten übereinstimmend ausgehen. Zum anderen ist unklar, aufgrund welcher Beweismittel die Steuerfahndungsstelle zu ihren Feststellungen gelangt ist. Aufgrund dessen kann nicht beurteilt werden, ob diese Feststellungen einer gerichtlichen Nachprüfung voraussichtlich Stand halten werden. Das Steuerstrafverfahren gegen X ist offenbar noch nicht abgeschlossen, wie sich aus der Einspruchsbegründung der Antragstellerin ergibt. Hinzu kommt, daß sich der Rechtsstreit um die Rechtmäßigkeit der Vorsteuerkürzung erst im Einspruchsverfahren befindet, in dessen Rahmen die Beteiligten im wesentlichen lediglich Rechtsansichten ausgetauscht, nicht aber den Sachverhalt ermittelt bzw. eindeutig dargestellt haben.
b) Es bestehen auch Unsicherheiten in rechtlicher Hinsicht.
Es bestehen ernstliche Bedenken, der Antragstellerin den begehrten Vorsteuerabzug wegen Schwierigkeiten bei der Identifikation des Rechnungsausstellers Y zu versagen, nachdem dieser die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer beim FA angemeldet und entrichtet hat und sowohl seine deutsche "Deckadresse" als auch der Firmensitz in Italien bekannt sind. Im übrigen ist unklar, welche Bedeutung FA und FG der "Begriffsbestimmung der Ansässigkeit (des Unternehmersitzes) in einem bestimmten Gemeinschaftsgebiet beim innergemeinschaftlichen Leistungsverkehr" beimessen und warum die "Firma Y als tatsächlich im Ausland ansässiger Unternehmer" nicht zum gesonderten Steuerausweis berechtigt gewesen sein soll.
Es ist nicht Aufgabe des BFH, im auf vorläufigen Rechtsschutz angelegten Verfahren der Aussetzung der Vollziehung auf ungesicherter Tatsachengrundlage Rechtsfragen zu klären, die sich nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts möglicherweise gar nicht stellen.
Fundstellen
Haufe-Index 302421 |
BFH/NV 1999, 1495 |