Leitsatz (amtlich)
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob ein etwaiger Verstoß des § 23 ErbStG gegen den Gleichheitssatz von dem subjektiven Verhalten des Gesetzgebers oder davon abhängt, ob die objektiven Unterschiede des Besteuerungsmaßstabes die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz verletzen.
2. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob bei etwaiger Gleichheitswidrigkeit der Vorschriften des § 23 ErbStG dessen Absatz 1 anwendbar geblieben ist.
Normenkette
ErbStG § 23; GG Art. 3 Abs. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin hat im Mai 1971 ihrer Tochter einen Geschäftsanteil an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Übernahme der Schenkungsteuer geschenkt. Das FA hat gegen sie unter Ansatz eines angeblichen "Kurswerts" von 240 % Schenkungsteuer vorläufig festgesetzt. Die Antragstellerin hat dagegen Einspruch eingelegt; über diesen ist noch nicht entschieden. Das Niedersächsische FG hat den Antrag der Beschwerdeführerin, die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheides in Höhe eines Teilbetrags von 90 200 DM auszusetzen, aus den Gründen seines Urteils III 154/70 vom 15. Februar 1972 (EFG 1972, 289) zurückgewiesen. Mit der Beschwerde macht die Antragstellerin weiterhin geltend, § 23 ErbStG sei nichtig.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. An der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids bestehen ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO). Dessen Vollziehung war daher unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses in dem beantragten Umfang auszusetzen (§ 69 Abs. 3 Sätze 1 und 2 FGO).
Die in dem Beschluß des BFH II B 48/70 vom 24. Februar 1971 (BFH 101, 402, BStBl II 1971, 394) unter Hinweis auf die Beschlüsse II B 40-41/69 vom 9. Dezember 1969 (BFH 97, 315 [317 ff.], BStBl II 1970, 121) und II S 2-4/70 vom 27. Oktober 1970 (BFH 101, 289 [293 ff.], BStBl II 1971, 269) dargelegten ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) und Anwendbarkeit (Art. 1 Abs. 3 GG) des § 23 Abs. 1 ErbStG werden durch die Gründe des Urteils des Niedersächsischen FG III 154/70 vom 15. Februar 1972 (EFG 1972, 289) als ernstliche Zweifel (§ 69 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO) nicht ausgeräumt; eine abschließende Stellungnahme muß der Prüfung der Hauptsache überlassen bleiben (Beschluß III B 9/66 vom 10. Februar 1967, BFH 87, 447 [450f.], BStBl III 1967, 182).
Das Niedersächsische FG ist der Auffassung, daß bei einer etwa verfassungswidrigen Ungleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) zwischen den Ansätzen gemäß § 23 Abs. 1 ErbStG und den Ansätzen gemäß § 23 Abs. 2 ErbStG der gesamte § 23 ErbStG unanwendbar würde, damit die Möglichkeit einer Bewertung wegfiele und die Erbschaftbesteuerung insgesamt verfassungswidrig wäre. Es verwirft das Argument, die Besteuerung aus § 23 Abs. 1 ErbStG bleibe durch das vefassungsrechtliche Bedenken aus Art. 3 Abs. 1 GG deshalb unberührt, weil die Besteuerung aus dieser Vorschrift systemgerecht sei (vgl. zur Vermögensteuer Beschluß des BVerfG vom 7. Mai 1968 - 1 BvR 420/64 -, BVerfGE 23, 242; BStBl II 1968, 549); auch im Rechtsbehelfsverfahren eines Steuerpflichtigen, der systemgerecht bzw. nach dem Regelsteuersatz besteuert werde, sei zu beachten, ob in anderen Fällen wirtschaftlich gleichliegende Sachverhalte geringer besteuert werden und damit das Grundrecht der Gleichheit vor dem Gesetz verletzt werde (vgl. Beschluß des BVerfG vom 15. Januar 1969 - 1 BvR 723/65 -, BVerfGE 25, 101; BStBl II 1969, 253). Dieser Standpunkt entspricht dem des Beschlusses des BFH II B 48/70 vom 24. Februar 1971 (BFH 101, 402, BStBl II 1971, 394) und findet auch in anderen Entscheidungen des BVerfG eine Stütze (vgl. zur Beschwer des Nichtbegünstigten das Urteil des BVerfG vom 6. Mai 1964 - 1 BvR 320/57, 1 BvR 70/63 -, BVerfGE 18, 1 [12], und im Verhältnis zweier je für sich systemgerechter Regelungen den Beschluß des BVerfG vom 25. April 1972 - 1 BvL 38/69, 25/70, 20/71 -); er ist der weiteren Beurteilung zugrunde zu legen. Denn das Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ist materiellen Rechts, das Verhältnis von Regel und Ausnahme dagegen ein gesetzestechnisches Mittel des am Gleichheitssatz zu prüfenden Gesetzes. Es ist ein Grundrecht des Bürgers, nur auf Grund solcher Vorschriften zur Steuer herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind (Beschluß des BVerfG vom 28. Januar 1970 - 1 BvL 4/67 -, BVerfGE 27, 375 [384]).
Zur Frage, ob die unterschiedliche Bewertung des § 23 Abs. 1 ErbStG einerseits und des § 23 Abs. 2 ErbStG andererseits mit der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu vereinbaren ist, würdigt das Niedersächsische FG das Verhalten des Gesetzgebers und kommt zu dem Ergebnis, daß für die unterschiedliche Bewertung des § 23 ErbStG noch hinreichende sachlich einleuchtende Gründe bestünden, die ein willkürliches Handeln des Gesetzgebers ausschlössen; der Gesetzgeber dürfe nicht "unter einen unvertretbaren Druck gesetzt" werden (Urteil des FG Münster III 321/69 Erb vom 26. Juni 1970, EFG 1970, 505).
Daran ist richtig, daß die Rechtsprechung nicht befugt ist, den Gesetzgeber unter Druck zu setzen. Die Gerichte haben vielmehr allein der Rechtslage gemäß zu entscheiden. Wenn die Auffassung des Niedersächsischen FG zutrifft, daß § 23 ErbStG derzeit mit dem Grundgesetz vereinbar ist, steht der Gesetzgeber nicht "unter Druck"; trifft sie nicht zu, wird dieser Druck nicht von den Gerichten, sondern von der verfassungsrechtlichen Lage erzeugt.
Es ist zweifelhaft, ob die auf die subjektiven Verhältnisse der Staatsorgane abstellende Betrachtungsweise des Niedersächsischen FG richtig ist. Denn die Grundrechte binden die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG); etwa dem Gleichheitssatz widersprechende Vorschriften werden daher unmittelbar gebrochen (vgl. für das Verhältnis des Landesrechts zum Bundesrecht Art. 31 GG). Demnach könnte es nicht um die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers für die Zukunft gehen, sondern darum, ob unter den objektiv gegebenen Verhältnissen die unterschiedlichen Vorschriften der Absätze 1 und 2 des § 23 ErbStG im tatsächlichen Ergebnis (vgl. Urteil des BVerfG vom 24. Juni 1958 - 2 BvF 1/57 -, BVerfGE 8, 51 [64]; BStBl I 1958, 403) noch der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) entsprechen. Diese Frage könnte in objektiver Betrachtung gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nicht dahin zu stellen sein, ob den gesetzgebenden Körperschaften Willkür vorzuwerfen ist, sondern dahin, ob die objektive Aussage des Gesetzes - also des § 23 ErbStG - die unter den Wertentscheidungen des Grundgesetzes (vgl. Beschluß des BVerfG vom 15. Juli 1969 - 1 BvL 22/65 -, BVerfGE 26, 321 [325]; BStBl II 1969, 513) und vom Besteuerungszweck her (vgl. Beschluß des BVerfG vom 15. Dezember 1970 - 1 BvR 559, 571, 586/70 -, BVerfGE 29, 402 [411]; BStBl II 1971, 39) gleichen Sachverhalte in Ansehung aller Menschen gleich behandelt, und ob bei gegebenen Unterschieden die an diese Unterschiede geknüpften Rechtsfolgen der Art der Unterschiede gemäß sind (vgl. Beschluß des BVerfG vom 21. Mai 1968 - 1 BvR 610/60 -, BVerfGE 23, 327 [344f.] BStBl II 1968, 553).
Wäre diese Betrachtung zugrunde zu legen, käme es nur darauf an, ob der objektive Gehalt der Aussagen des § 23 Abs. 1 ErbStG und des § 23 Abs. 2 ErbStG mit dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vereinbar ist. Bei diesem Ausgangspunkt ist offenbar, daß die Bewertungsmaßstäbe beider Vorschriften unterschiedlich sind. Das gilt selbst dann, wenn man die Abweichungen der Besonderen Bewertungsvorschriften des Bewertungsgesetzes von dessen Allgemeinen Bewertungsvorschriften außer acht läßt. Denn jedenfalls ist im Bereiche des § 23 Abs. 1 ErbStG - mit einer nur geringfügigen Modifikation durch § 11 BewG 1965 - für die Wertermittlung der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld maßgebend (§ 22 ErbStG), während dieser Satz im Bereiche des § 23 Abs. 2 ErbStG nur für die tatsächlichen Verhältnisse gilt (§ 23 Abs. 4 ErbStG) und selbst die Stichtagsbewertung des § 23 Abs. 4 ErbStG gemäß § 3a Abs. 1 BewDV auf die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 zurückzubeziehen ist. Die dadurch eintretende Ungleichheit trifft Menschen unmittelbar, indem die Steuer verschieden ausfällt je nachdem, ob der Vermögensanfall (§ 24 Abs. 1 Satz 1 ErbStG) ganz oder teilweise land- oder forstwirtschaftliches Vermögen, Grundvermögen, Betriebsgrundstücke oder Gewerbeberechtigungen (§ 23 Abs. 2 ErbStG) enthält oder nicht (§ 23 Abs. 1 ErbStG). Die Frage ist in dieser Betrachtung demnach, ob die Rechtsfolgen dieser Unterscheidung unter Beachtung der Wertmaßstäbe des Grundgesetzes dem Unterscheidungsgrund adaequat sind.
Das will das Niedersächsische FG offenbar mit der Begründung bejahen, daß die in § 23 Abs. 2 BewG aufgeführten Gegenstände anderen Wirtschaftsgütern gegenüber Besonderheiten aufweisen, welche auch unter den Wertmaßstäben des Grundgesetzes eine besondere Behandlung zulassen. Ob das für den gesamten Bereich des § 23 Abs. 2 ErbStG zutrifft, kann dahingestellt bleiben; jedenfalls haben auch die eingangs erwähnten Beschlüsse des BFH anerkannt, daß zumindest bestimmtes Grundvermögen wegen seines dem Verkehrswert gegenüber geringeren Ertragswertes Besonderheiten aufweist, die auch für die Erbschaftsteuer zu zulässigen Unterscheidungen führen können. Damit ist aber noch nicht gesagt, daß Art und Ausmaß der an die Unterscheidung geknüpften Rechtsfolgen durch den Unterscheidungsgrund gerechtfertigt werden. Das ist um so zweifelhafter, als die Rückbeziehung auf den 1. Januar 1935 innerhalb des der Einheitsbewertung unterliegenden Vermögensanfalls (§ 23 Abs. 2 ErbStG) wiederum Unterscheidungen schafft, die ihrerseits unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 Abs. 1 GG problematisch erscheinen können. Denn "der Wertanstieg der Grundstücke" ist - wie das Niedersächsische FG selbst hervorhebt - z. B. "in Stadtnähe (Bauerwartungsland)" und "in anderen Gebieten (z. B. am Zonenrand)" ganz verschieden verlaufen. Es ist nicht ohne weiteres zu erkennen, weshalb zwei Grundstücke mit im gleichen Erwerbszeitpunkt (§ 22 ErbStG) gleichen Verkehrswerten und gleichen Ertragswerten unterschiedlich behandelt werden sollen allein deshalb, weil sie am 1. Januar 1935 unterschiedliche Werte hatten oder die Rückbeziehung der Werte auf den 1. Januar 1935 zu unterschiedlichen Ansätzen führt.
Dem hält das Niedersächsische FG entgegen, daß "die Bewertung des Grundbesitzes im Wege einer Hauptfeststellung der Einheitswerte ... schwer zu lösende wirtschafts- und sozialpolitische Fragen aufwirft und deshalb bereits im Gesetzgebungsverfahren eine lange Vorarbeit fordert". Das trifft zu, begründet aber für sich allein nicht, weshalb auch für die Erbschaftsteuer an starren Einheitswerten festgehalten werden muß. Denn § 23 Abs. 4 Satz 2 ErbStG selbst sieht für bestimmte Fälle vor, einen nur "für die Zwecke der Erbschaftsteuer" maßgebenden Wert "besonders festzustellen"; die Rückbeziehung eines solchen Wertes auf den 1. Januar 1935 vereinfacht die Ermittlung nicht durchweg. Dem lassen sich auch nicht ohne weiteres die - in § 23 Abs. 4 ErbStG in Kauf genommenen - Komplikationen einer selbständigen Wertermittlung entgegenhalten (vgl. zu den Grenzen des Gesichtspunktes der Praktikabilität den Beschluß des BVerfG vom 15. Januar 1969 - 1 BvR 723/65 -, BVerfGE 25, 101; BStBl II 1969, 253). Zum einen sehen auch andere Steuern - z. B. die Gesellschaftsteuer - selbständige, von der Einheitsbewertung unabhängige und von Fall zu Fall vorzunehmende Bewertungen vor, ohne wie die Ertragsteuern an Kaufpreis und Bilanzansätze anknüpfen zu können. Zum andern sind Erbanfälle nicht so häufig, daß dadurch eine unerträgliche Belastung der Finanzämter entstünde, und auch Grundstücksschenkungen sind - außer zwischen Ehegatten (hier aber § 16 ErbStG) - meist mit einem Generationenwechsel verbunden.
Allerdings ist nicht zu verkennen, daß sich zusätzliche Vorschriften - mit der vorerwähnten Problematik - allenfalls dann erübrigen würden, wenn bei der Erbschaftbesteuerung durchweg und vorbehaltlos die gemeinen Werte zugrunde zu legen wären, und daß diese Grundlage möglicherweise wirtschaftlich untragbar, unbillig oder gar ungerecht wäre. Indessen könnten die vom Niedersächsischen FG hervorgehobenen allgemeinpolitischen, rechtspolitischen und gesetzestechnischen Schwierigkeiten im Verhältnis zu dem Ausmaß etwaiger Ungleichheiten gesehen werden müssen. Dies vorausgesetzt wäre eine rechtstechnisch einfache Zwischenlösung denkbar, welche zwar nicht dem gesetzlichen Idealzustand entspräche, aber doch das Ausmaß etwa verfassungswidriger Ungleichheiten auf ein unvermeidbares und deshalb übergangsweise verfassungsrechtlich zulässiges Maß beschränken würde.
Mit Recht weist allerdings das Niedersächsische FG darauf hin, daß die - auch von ihm erkannten und vom Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung zugestandenen - Wertabweichungen sich erst allmählich herausgebildet haben, so daß sich ein bestimmter Zeitpunkt, von dem an der Unterschied so groß geworden ist, daß eine verfassungswidrige Ungleichheit einträte, kaum feststellen lasse. Daraus ist aber nicht zu folgern, daß eine verfassungswidrige Ungleichheit nicht bestünde. Zwar bedarf nicht die Verfassungsmäßigkeit, sondern die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes des Belegs; sofern die Verfassungswidrigkeit für die Gegenwart belegbar wäre, ließe sie sich aber nicht dadurch ausräumen, daß sich für die Vergangenheit ein bestimmter Stichtag nur schwer feststellen ließe. Andernfalls wäre eine Verfassungswidrigkeit des § 23 ErbStG schlechthin ausgeschlossen, und der Gesetzgeber hätte keinen verfassungsrechtlich zwingenden Anlaß, für die Zukunft etwas zu ändern.
Geht man mit dem Niedersächsischen FG davon aus, daß es in erster Linie Sache des Gesetzgebers ist, die vorhandenen Unstimmigkeiten zu bereinigen, und daß die Rechtsprechung das nicht kann, weil im Bereiche des § 23 Abs. 2 ErbStG der vorbehaltlose Ansatz der Verkehrswerte dem Gesetz widerspricht und nach den allgemeinen Wertungen der Gesetzgebung nicht angebracht wäre, so würde der Gesetzgeber auch über den Zeitpunkt befinden müssen, zu dem die unterschiedliche Bewertung gegebenenfalls die Grenze des Art. 3 Abs. 1 GG überschritten hätte. Dabei wird zwar der Gesetzgeber auf die verfassungrechtlichen Grenzen rückwirkender Gesetze stoßen und mag auch aus anderen Gründen gehindert sein, einen etwa gleichheitswidrigen Zustand der Vergangenheit voll zu beseitigen. Die Frage, welche gesetzgeberische Maßnahme zur Bereinigung etwaiger Ungleichheiten erforderlich und ausreichend ist, stellt sich aber für die Rechtsprechung vorläufig nicht. Die Gerichte müssen das geltende Recht anwenden und deshalb nach Maßgabe des Art. 100 Abs. 1 GG den Grundrechten, welche die Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht binden (Art. 1 Abs. 3 GG), widersprechende Vorschriften unangewendet lassen (Art. 20 Abs. 3 GG). Die Gerichte können demnach eine ihrer Rechtsauffassung nach nichtige Vorschrift nicht anwenden, soweit sie nicht durch eine gesetzeskräftige Entscheidung des BVerfG (Art. 94 Abs. 2 Satz 1 GG), welche die Vereinbarkeit dieser Vorschrift mit dem Grundgesetz bejaht hat, gebunden werden (Art. 97 Abs. 1 GG). Unter dieser Betrachtung haben sich gegenüber dem Beschluß des BFH II B 48/70 vom 24. Februar 1971 (BFH 101, 402, BStBl II 1971, 394) keine neuen Gesichtspunkte ergeben.
Demnach bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids (§ 69 Abs. 2 Satz 2 FGO), wenn ernstlich zweifelhaft ist, ob die unterschiedliche Bewertung gemäß § 23 Abs. 1 ErbStG und gemäß § 23 Abs. 2 ErbStG mit der Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 Abs. 1 GG) zu vereinbaren ist, und ob § 23 Abs. 1 ErbStG auch dann anwendbar bleibt, wenn das Verhältnis zwischen § 23 Abs. 1 ErbStG und § 23 Abs. 2 ErbStG eine verfassungswidrige Ungleichheit enthielte. Die zweitgenannte Frage hat bereits das Niedersächsische FG verneint. Auch hinsichtlich der erstgenannten ist indessen aus den vorerwähnten Gründen und den Gründen des Beschlusses II B 48/70 vom 24. Februar 1971 (BFH 101, 402, BStBl II 1971, 394) ein ernstlicher Zweifel zu bejahen.
Fundstellen
Haufe-Index 69671 |
BStBl II 1972, 767 |
BFHE 1972, 345 |