Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsschutzinteresse für eine im Beschwerdeverfahren weiterverfolgte Richterablehnung
Leitsatz (NV)
Einer Beschwerde, mit der ein Richterablehnungsgesuch weiterverfolgt wird, fehlt das Rechtschutzbedürfnis, wenn im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde unter keinem Gesichtspunkt mehr die Möglichkeit besteht, daß die Entscheidung in der Hauptsache in einem Rechtsmittel- oder in einem Wiederaufnahmeverfahren abgeändert werden kann.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 128 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Mit Urteil vom 15. Juni 1993 wies der I. Senat des Finanzgerichts (FG) unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht A (Vorsitzender Richter) die Klage des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) wegen Vermögensteuer auf den 1. Januar 1982 ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Die Entscheidung wurde dem Kläger am 15. Juli 1993 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 15. Juli 1993 beantragte der Kläger sinngemäß, den Vorsitzenden Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Rechtsmittel hat der Kläger gegen das Urteil des FG nicht eingelegt.
Durch Beschluß des I. Senats des FG vom 29. Juli 1993, dem Kläger zugestellt am 14. September 1993, wurde das Ablehnungsgesuch des Klägers abgelehnt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers vom 28. September 1993, mit der er geltend macht, das Ablehnungsgesuch sei gestellt worden, um den Vorsitzenden Richter von einer Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde auszuschließen. Die Entscheidung über das Ab lehnungsgesuch sei für seinen weiteren Rechtsschutz (Nichtzulassungsbeschwerde, Revision, Geltendmachung der Nichtigkeit) entscheidend. An der fristgerechten Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde sei er gehindert gewesen. Denn der Beschluß des FG vom 29. Juli 1993 sei ihm erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde zugestellt worden.
Das FG hat der Beschwerde nicht abge holfen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig, denn die im Beschwerdeverfahren weiterverfolgte Richterablehnung kann nicht mehr in ein Rechtsmittelverfahren oder in ein Wiederaufnahmeverfahren gegen die Entscheidung in der Hauptsache eingebracht werden.
Der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) hat für das finanzgerichtliche Verfahren auch nach Beendigung der Instanz vor dem FG grundsätzlich zwar ein Rechtsschutzinteresse für die Weiterverfolgung des Ablehnungsbegehrens im Wege der Beschwerde bejaht (Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217), wenn das FG unter Mitwirkung des erfolglos abgelehnten Richters zur Hauptsache entschieden hat. Denn das Beschwerdeverfahren dient auch nach Beendigung der Instanz dazu, in einem selbständigen Zwischenverfahren zu klären, ob an der Entscheidung, welche die Instanz beendet hat, ein Richter mitgewirkt hat, der bereits vor dieser Entscheidung zu Recht abgelehnt worden ist. Bei einem erfolgreichen Ausgang des Zwischenverfahrens ist dann die Entscheidung des FG in der Hauptsache im Rahmen eines gegen sie gerichteten Rechtsmittelverfahrens (§ 116 Abs. 1 Nr. 2, § 119 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) oder eines Nichtigkeitsverfahrens aufzuheben (§ 134 FGO i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung -- ZPO --; vgl. auch BFH-Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 163/92, BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675).
Die vom Großen Senat aufgestellten Bedingungen sind im Streitfall jedoch nicht erfüllt, denn im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde bestand unter keinem Gesichtspunkt mehr die Möglichkeit, daß die Entscheidung des FG in der Hauptsache noch abgeändert werden könnte. Das Urteil des FG ist rechtskräftig geworden, weil der Kläger weder Nichtzulassungsbeschwerde noch eine zulassungsfreie Verfahrensrevision eingelegt hat. Entgegen seiner Auffassung war der Kläger auch nicht in rechtlich relevanter Weise an der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde deshalb gehindert, weil ihm der Beschluß über sein Ablehnungsgesuch erst nach Ablauf der Frist für die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zugestellt worden ist. Die Entscheidung über die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde ist vom Inhalt der Entscheidung über den Befangenheitsantrag nicht abhängig. Die Mitwirkung eines befangenen Richters kann nur im Rahmen der zulassungsfreien Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 2, 2. Alternative FGO, nicht im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde als Verfahrensmangel geltend gemacht werden. Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) wegen Versäumung der Revisionsfrist kommt nicht in Betracht, weil das FG, anders als in dem Fall, der dem BFH-Beschluß in BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217 zugrunde gelegen hat, nicht unter Beteiligung eines Richters zur Hauptsache entschieden hat, der im Zeitpunkt der Entscheidung von den Prozeßbeteiligten bereits als befangen abgelehnt war.
Der zuletzt genannte Grund steht auch einer Wiederaufnahme des Verfahrens vor dem FG durch Nichtigkeitsklage (§ 134 FGO i. V. m. §§ 578, 579 ZPO) entgegen. § 579 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfordert zwar nicht, daß der Richter bereits im Zeitpunkt der Entscheidung mit Erfolg abgelehnt sein mußte. Die Nichtigkeitsklage ist aber nur statthaft, wenn das Ablehnungsgesuch, was im Streitfall nicht geschehen ist, vor der Entscheidung, an der der betreffende Richter beteiligt war, angebracht war; die bloße Ablehnbarkeit des Richters reicht nicht aus (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Dezember 1980 V ZR 16/80, Neue Juristische Wochenschrift 1981, 1273, zu II. 2. der Gründe).
Fundstellen
Haufe-Index 420097 |
BFH/NV 1995, 232 |