Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichterhebung von Gerichtskosten bei unverschuldeter Unkenntnis der prozessualen Rechtslage
Leitsatz (NV)
Nach § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG kann u. a. für abweisende Bescheide -- das sind auch Beschlüsse, durch die Beschwerden verworfen wurden -- von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht. Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich auch auf die prozessuale Rechtslage erstrecken.
Normenkette
GKG § 8 Abs. 1 Sätze 1, 3
Tatbestand
Der Erinnerungsführer hatte beim Finanzgericht (FG) beantragt, ihm für das Klageverfahren in Sachen Umsatzsteuer- und Gewerbesteuermeßbetrag 1985 und ihm und seiner Ehefrau für das Klageverfahren in Sachen Umsatzsteuer 1984 und Einkommensteuer 1982 bis 1984 Prozeßkostenhilfe (PKH) zu bewilligen. Das FG hatte die Anträge mit Beschlüssen vom 16. Juli 1993 abgelehnt. Gegen die am 29. Juli 1993 zugestellten Beschlüsse legte der Erinnerungsführer bzw. der Erinnerungsführer und seine Ehefrau von Malaga aus am 10. August 1993 per Telefax "vorsorglich zum Zweck der Rechtswahrung Widerspruch bzw. Einspruch ein". Er werde sich innerhalb von zwei Wochen nach Eingang der Schriftstüke in Spanien äußern. Das FG faßte die Widersprüche als Beschwerden auf. Diesen half es nicht ab (Beschlüsse vom 15. September 1993). Mit Schreiben vom 22. September 1993 unterrichtete die Geschäftsstelle des erkennenden Senats den Erinnerungsführer bzw. ihn und seine Ehefrau darüber, daß die Streitsachen dem Bundesfinanzhof (BFH) vorlägen und unter den Aktenzeichen ... geführt würden.
Mit Beschlüssen vom 26. Oktober 1993 verwarf der BFH die Beschwerden wegen Verstoßes gegen Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) als unzulässig.
Mit Kostenrechnungen vom 1. Dezember 1993 hat die Kostenstelle beim BFH die Gerichtskosten auf je 51 DM festgesetzt. Hiergegen wendet sich der Erinnerungsführer mit den Erinnerungen.
Er macht geltend, da er im Ausland lebe, habe er telefonisch von den Beschlüssen des FG im PKH-Verfahren erfahren und vorsorglich Rechtsmittel, nicht aber die zulässige Beschwerde eingelegt. Das FG habe die Sache dem BFH vorgelegt, bevor er die Entscheidungen in Händen gehabt habe. In Kenntnis der Rechtsmittelbelehrung hätte er die Beschwerden nicht eingelegt. Die BFH-Schreiben vom 22. September 1993 habe er fälschlicherweise so verstanden, daß die Sache nun doch angenommen werde, weil Aktenzeichen vergeben worden seien.
Entscheidungsgründe
Die vom Senat zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Erinnerungen (§ 73 der Finanzgerichtsordnung) sind zulässig. Für ihre Einlegung besteht nicht der Vertretungszwang des Art. 1 Nr. 1 BFHEntlG (BFH-Beschluß vom 29. Januar 1991 VII E 8/90, BFH/NV 1991, 701 m. w. N.).
Die Erinnerungen sind jedoch unbegründet.
Soweit sich der Erinnerungsführer dagegen wendet, daß seine vorsorglich eingelegten Einsprüche bzw. Widersprüche als Beschwerde behandelt und dem BFH vorgelegt wurden, macht er geltend, die dem Kostenansatz zugrundeliegenden rechtskräftigen Beschwerdeentscheidungen seien unrichtig. § 8 Abs. 1 Satz 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG), wonach Kosten nicht erhoben werden, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, bietet keine Handhabe, die Rechtmäßigkeit einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung nochmals zu überprüfen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. August 1988 VIII S 1/88, BFH/NV 1989, 316; in BFH/NV 1991, 701, und vom 30. November 1992 X B 54/92, BFH/NV 1993, 557).
Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 3 GKG liegen ebenfalls nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann u. a. für abweisende Bescheide -- das sind auch Beschlüsse, durch die Beschwerden verworfen wurden -- von der Erhebung der Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht. Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich auch auf die prozessuale Rechtslage erstrecken. Die Beschlüsse des FG enthielten -- zwischen Tenor und Gründen -- Rechtsmittelbelehrungen. Danach war die Beschwerde statthaft. Außerdem wurde auf den Vertretungszwang vor dem BFH auch für die Einlegung der Beschwerde hingewiesen. Der Erinnerungsführer hat ausgeführt, die Beschlüsse seien unanfechtbar gewesen und somit Beschwerden völlig sinnlos. Es ist unerheblich, ob der Erinnerungsführer die Rechtsmittelbelehrungen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder die Beschlüsse wegen des Vertretungszwangs als unanfechtbar gewertet hat. Die Unkenntnis der prozessualen Rechtslage bei Einlegung der Beschwerden war jedenfalls nicht unverschuldet. Insbesondere kann sich der Erinnerungsführer nicht damit entschuldigen, daß er die vollständigen Beschlüsse des FG erst nach Abgabe der Beschwerden an den BFH erhalten habe. Da er sich für längere Zeit im Ausland aufhielt, hätte er Sorge dafür tragen müssen, nicht nur über die Entscheidungen als solche, sondern auch über die in diesen Entscheidungen enthaltenen Rechtsmittelbelehrungen rechtzeitig in Kenntnis gesetzt zu werden.
Fundstellen
Haufe-Index 420038 |
BFH/NV 1995, 149 |