Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge eines wesentlichen Verfahrensmangels
Leitsatz (NV)
1. Die in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten Mängel werden im Revisionsverfahren nur berücksichtigt, wenn sie wirksam gerügt worden sind. Das setzt voraus, daß die Rüge schlüssig begründet ist.
2. Zum Streitwert bei Streitigkeiten über eine Fristverlängerung.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 1, § 116 Abs. 1 Nr. 1, § 119; ZPO § 3; GKG § 13 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die zur Einkommensteuer zusammen veranlagt werden.
Für die Abgabe der Einkommensteuererklärung 1982 wurde den Klägern wegen Arbeitsüberlastung ihres Steuerberaters vom FA antragsgemäß Fristverlängerung bis zum 30. April 1984 gewährt. Mit Schreiben vom 30. April 1984 beantragten die Kläger durch ihren Steuerberater weitere Fristverlängerung bis zum 30. Juni 1984. Das FA gewährte eine Fristverlängerung bis zum 31. Mai 1984 und lehnte gleichzeitig eine weitere Fristverlängerung ab.
Die Einkommensteuererklärung der Kläger ist beim FA am 3. Juli 1984 eingereicht worden. Die Steuerveranlagung führte zu einer Erstattung von 7 342 DM an die Kläger.
Gegen den teilweise ablehnenden Bescheid des FA bezüglich der Fristverlängerung legten die Kläger erfolglos Beschwerde ein. Die Klage gegen die Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion (OFD) wies das Finanzgericht (FG) ab. Das FG führt aus, die Klage sei zwar zulässig, aber nicht begründet. Der Streitwert wurde vom FG gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) auf 4 000 DM festgesetzt.
Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Für die Bemessung des Streitwerts sei § 13 Abs. 2 GKG maßgebend, nicht § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG, der nur anzuwenden sei, wenn der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte über die Höhe der Bedeutung der Sache biete.
Unmittelbar vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem FG habe ein Wechsel in der richterlichen Besetzung des erkennenden Senats des FG stattgefunden, so daß der Senat nicht mehr vorschriftsmäßig gemäß Aushang besetzt gewesen sei. Da der Vortrag des Berichterstatters nach rein subjektiven Gesichtspunkten für den Fiskus aufgebaut gewesen sei, sei eine objektive Meinungsbildung bei dem neu hinzugekommenen Richter nicht mehr möglich gewesen.
Die beantragte Fristverlängerung sei zu Unrecht verkürzt worden. Das FA habe als Grund für die Ablehnung angegeben, die rechtzeitige Durchführung der Veranlagungen beim FA sei sonst gefährdet. Tatsächlich sei die Veranlagung der Kläger erst etwa zehn Wochen nach Einreichung der Steuererklärung erfolgt.
Die Kläger beantragen sinngemäß, die Entscheidung des FG aufzuheben und festzustellen, daß der teilweise ablehnende Bescheid des FA rechtswidrig gewesen ist.
Das FA hält die Revision für unzulässig, weil der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM nicht übersteigt und die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie Revision nicht gegeben seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig.
1. Nach § 115 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) in der zur Zeit der Revisionseinlegung geltenden Fassung gehört zur Zulässigkeit einer Revision, die nicht zugelassen oder zulassungsfrei ist, daß der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt.
Der Wert des Streitgegenstandes ist nach § 155 FGO i. V. m. § 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) nach freiem Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, so ist deren Höhe für den Streitwert maßgebend. Fehlen geeignete Schätzungsgrundlagen und bietet der bisherige Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte dafür, welche Bedeutung die Sache nach dem gestellten Antrag hat, so ist der Streitwert in Anlehnung an § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG auf 4 000 DM zu bestimmen (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Oktober 1984 VIII R 111/84, BFHE 142, 542, BStBl II 1985, 257).
Zur Höhe des Streitwerts bei Streitigkeiten über eine Fristverlängerung werden unterschiedliche Auffassungen vertreten. So ist als Streitwert der Betrag angesetzt worden, der als Erzwingungsgeld wegen Nichtabgabe der Steuererklärung äußerstenfalls aufzuerlegen wäre (BFH-Urteil vom 21. Juli 1959 I 57/58, Betriebs-Berater - BB -, Beilage 8/1961, 5; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., Anhang A, Tz. 23, Stichwort Fristverlängerung), der Betrag, der bei Nichtabgabe der Erklärung als Verspätungszuschlag bzw. als Erzwingungsgeld festzusetzen wäre (Eckert/Böttcher, Steuerberatergebührenverordnung, K 4.10, Stichwort Fristverlängerung), und der, der sich in Anlehnung an § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG mit 4 000 DM ergibt.
Der Senat kann für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Revision dahinstehen lassen, welcher Meinung er sich anschließt, denn jede der verschiedenen Formen der Streitwertbemessung bei Streitigkeiten über eine Fristverlängerung ergibt einen Wert, der weit unter 10 000 DM liegt.
2. Die Zulässigkeit der Revision folgt auch nicht aus § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO. Nach dieser Vorschrift bedarf es einer Zulassung zur Einlegung der Revision nicht, wenn als wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt worden ist, daß das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war. Ist das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, ist ein Urteil nach § 119 FGO stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen.
Die in § 116 Abs. 1 FGO aufgeführten Mängel werden im Revisionsverfahren nur berücksichtigt, wenn sie wirksam gerügt worden sind. Das setzt voraus, daß die Rüge schlüssig begründet ist, d. h. daß die zu ihrer Begründung vorgetragenen Tatsachen schon als solche ausreichend und geeignet sind, den behaupteten Verfahrensmangel darzutun. Allgemeine Behauptungen genügen nicht (Tipke/Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 11. Aufl., § 116 FGO Tz. 23).
Die Ausführungen in der Revisionsbegründung genügen diesen Anforderungen nicht. Die Kläger hätten näher darlegen müssen, worin sie den Verstoß gegen die vorschriftsmäßige Besetzung des FG sehen. Der Vortrag, an der eigenen Sache hätte ein anderer Richter mitgewirkt als an der zuvor verhandelten Sache, reicht nicht aus.
Es ist nicht ungewöhnlich, daß an einem Sitzungstag eines Spruchkörpers Sachen mit unterschiedlicher Besetzung verhandelt werden. Die Senate der FG, aber auch die Senate des BFH haben häufig einen zusätzlichen Richter, weil dies für die Tätigkeit der Gerichte förderlich ist. Ein Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters liegt hierin nicht, denn durch den Geschäftsverteilungsplan ist im voraus im einzelnen festgelegt, welcher Richter jeweils an der Entscheidung eines bestimmten Rechtsstreits mitwirkt.
Fundstellen
Haufe-Index 414333 |
BFH/NV 1986, 298 |