Entscheidungsstichwort (Thema)
Schriftformgebot für Beschwerdezulassung
Leitsatz (NV)
Die Zulassung einer Beschwerde durch das FG bedarf der Schriftform.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, 5, § 105 Abs. 1 S. 2, § 113 Abs. 1, § 128 Abs. 3
Tatbestand
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) streitet mit dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) darüber, ob er in den Streitjahren (1986 bis 1994) in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war. Das FA hat für alle Streitjahre Einkommensteuerbescheide erlassen, in denen es von einer unbeschränkten Steuerpflicht des Antragstellers ausgegangen ist. Die hiergegen gerichteten Klagen des Antragstellers hatten nur teilweise Erfolg: Das Finanzgericht (FG) hat die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1994 abgewiesen und die Einkommensteuerbescheide 1986 bis 1993 zwar zugunsten des Antragstellers abgeändert, bei der Neufestsetzung der Einkommensteuer für diese Jahre jedoch ebenfalls eine unbeschränkte Steuerpflicht des Antragstellers zugrunde gelegt. Der Antragsteller hat das Urteil des FG mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angefochten, die zur Zeit noch anhängig ist.
Im Verlauf des finanzgerichtlichen Klageverfahrens hatte der Antragsteller beim FG beantragt, die Vollziehung der angefochtenen Bescheide auszusetzen. Der zuständige Senat des FG übertrug den Rechtsstreit gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) dem Einzelrichter, der daraufhin die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1986 bis 1993 hinsichtlich eines Teilbetrags der dort jeweils festgesetzten Steuern gegen Sicherheitsleistung aussetzte und den weitergehenden Antrag ablehnte. Der dahingehende Beschluß datiert vom 24. Februar 1998 und enthält den Ausspruch, daß die Beschwerde nicht zugelassen werde.
Am 19. März 1998 erließ das FG ―ebenfalls durch den Einzelrichter― einen weiteren Beschluß, durch den der Beschluß vom 24. Februar 1998 gemäß § 107 FGO berichtigt wurde. Dieser Beschluß enthält keinen Ausspruch zur Zulassung der Beschwerde. In der Rechtsmittelbelehrung zu dem Berichtigungsbeschluß heißt es, daß gegen diesen Beschluß die Beschwerde nur bei Zulassung durch das FG gegeben sei.
Am 7. April 1998 legte der Antragsteller gegen den Beschluß vom 24. Februar 1998 Beschwerde und hilfsweise Nichtzulassungsbeschwerde ein. Zur Zulässigkeit der Beschwerde trug er vor, daß dieser Rechtsbehelf nachträglich zugelassen worden sei. Am 25. März 1998 habe nämlich der Einzelrichter des FG im Büro seines ―des Antragstellers― Prozeßbevollmächtigten angerufen und mitgeteilt, "daß der Beschluß doch mit der Beschwerde anfechtbar sei und daß für den Fall der Anfechtung des Beschlusses die Beschwerde ohne weiteres möglich sei". Diese Auskunft habe der Einzelrichter auf nochmalige Nachfrage des Bevollmächtigten bestätigt. Hierin liege eine wirksame Zulassung der Beschwerde, die deshalb statthaft sei.
Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. In seinem dahingehenden Beschluß ist u.a. ausgeführt, daß nach dem Wortlaut der §§ 107, 113, 128 Abs. 1 FGO gegen den Berichtigungsbeschluß die Beschwerde gegeben sei, ohne daß es deren Zulassung durch das FG bedürfe. Deshalb habe der Einzelrichter der Kanzlei des Prozeßbevollmächtigten mitgeteilt, daß die Rechtsmittelbelehrung zum Berichtigungsbeschluß unzutreffend sei und daß der Bevollmächtigte sich durch die Belehrung nicht von der Einlegung einer Beschwerde gegen diesen Beschluß abhalten lassen solle. Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Sowohl die Beschwerde als auch die hilfsweise eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß vom 24. Februar 1998 sind unzulässig und deshalb zu verwerfen:
1. Gemäß § 128 Abs. 3 FGO steht den Beteiligten die Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung (AdV) nach § 69 Abs. 3 und 5 FGO nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Hieraus folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), daß im AdV-Verfahren die Beschwerde nur bei Zulassung durch das FG statthaft ist (z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. August 1997 X B 108/97, BFH/NV 1998, 68; vom 21. Januar 1998 VII B 255/97, BFH/NV 1998, 818; vom 19. Februar 1998 III B 1/98, BFH/NV 1998, 1228). Diese Beschränkung der Rechtsbehelfsmöglichkeit besteht auch dann, wenn das FG ―wie im Streitfall― durch den Einzelrichter entschieden hat (Offerhaus in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 128 FGO Anm. 37; Ehlers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 128 FGO Rz. 99).
2. Im Streitfall hat das FG die Beschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. In dem angefochtenen Beschluß ist eine Beschwerdezulassung ausdrücklich abgelehnt worden, und der nachfolgende Berichtigungsbeschluß enthält keinen gegenteiligen Ausspruch zu dieser Frage. Die in diesem Zusammenhang vom Antragsteller in Anspruch genommene fernmündliche Erklärung des Einzelrichters hat schließlich ebenfalls nicht zu einer wirksamen Zulassung der Beschwerde geführt.
Der Antragsteller weist zwar zu Recht darauf hin, daß nach der Rechtsprechung des BFH ―entgegen dem Wortlaut des § 128 Abs. 3 FGO― die Zulassung der Beschwerde gegen einen AdV-Beschluß auch außerhalb jenes Beschlusses und insbesondere nachträglich erfolgen kann (BFH-Beschluß vom 10. Oktober 1991 XI B 18/90, BFHE 165, 565, BStBl II 1992, 301). Hierfür ist jedoch ein schriftlicher Beschluß des FG erforderlich, an dem es im Streitfall fehlt:
a) Die Zulassung einer Beschwerde gemäß § 128 Abs. 3 FGO erfolgt durch einen Beschluß des FG. Für Beschlüsse gelten gemäß § 113 Abs. 1 FGO verschiedene für Urteile geltende Vorschriften der FGO sinngemäß. Zu den hiermit ausdrücklich in Bezug genommenen Vorschriften zählt zwar nicht § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO, der bestimmt, daß Urteile schriftlich abzufassen und von den beteiligten Richtern zu unterschreiben sind. Es ist jedoch in der Rechtsprechung des BFH anerkannt, daß die Verweisung in § 113 Abs. 1 FGO nicht abschließend ist und daß weitere das Urteilsverfahren betreffende Regelungen auf das Beschlußverfahren übertragen werden können (vgl. hierzu z.B. Lange in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 113 FGO Anm. 18 ff., m.w.N.).
In diesem Sinne hat der BFH insbesondere entschieden, daß ein Nichtabhilfebeschluß des FG im Beschwerdeverfahren der in § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO statuierten Schriftform bedürfe (BFH-Beschluß vom 25. September 1967 IV B 33/66, BFHE 90, 103, BStBl III 1967, 788). Diese Entscheidung ist im Schrifttum auf allgemeine Zustimmung gestoßen (z.B. Lange, a.a.O., Anm. 28; Brandt in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 113 FGO Rz. 56; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 113 FGO Tz. 1); der Senat hält sie ebenfalls für zutreffend. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Erwägung, daß nur ein schriftlich abgefaßter Beschluß sowohl den Beteiligten als auch dem Beschwerdegericht eine zuverlässige Kenntnis über den konkreten Inhalt des Nichtabhilfebeschlusses vermitteln kann.
b) In bezug auf den Beschluß des FG, eine Beschwerde nachträglich zuzulassen, kann nichts anderes gelten. Denn in diesem Fall geht es ebenfalls ―und sogar erst recht― um eine Entscheidung, die für das weitere (Beschwerde-)Verfahren konstitutiv ist und deren Inhalt deshalb eindeutig feststehen muß. Diese Notwendigkeit zeigt sich gerade im Streitfall, in dem der Antragsteller die Zulassung der Beschwerde aus einer fernmündlichen Äußerung des zuständigen Richters ableitet, die exakte Formulierung dieser Äußerung aber von dem erklärenden Richter einerseits und dem Erklärungsempfänger andererseits unterschiedlich dargestellt wird und mangels schriftlicher Fixierung nicht mehr zweifelsfrei festgestellt werden kann. Das Schriftformgebot für gerichtliche Entscheidungen dient gerade der Vermeidung derartiger Situationen, weshalb es sachgerecht ist, es auf Abhilfe- ebenso wie auf Nichtabhilfebeschlüsse anzuwenden. Eine andere Beurteilung mag allenfalls dort geboten sein, wo ein Beschluß im Zusammenhang mit einer mündlichen Verhandlung verkündet wird; um eine solche Gestaltung geht es aber im Streitfall nicht.
c) Der hiernach erforderliche schriftliche FG-Beschluß ist im Streitfall nicht ergangen. Es fehlt mithin an einer wirksamen Zulassung der Beschwerde durch das FG. Diese kann auch nicht durch den BFH nachgeholt werden (BFH-Beschluß in BFH/NV 1998, 1228, m.w.N.). Demgemäß muß die Beschwerde des Antragstellers als unzulässig verworfen werden.
3. Im Ergebnis dasselbe gilt in bezug auf die vom Antragsteller eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde. Denn eine solche ist im Verfahren wegen AdV nicht statthaft (Senatsbeschluß vom 10. Dezember 1997 I B 107, 124/97, BFH/NV 1998, 716; BFH-Beschlüsse vom 13. Mai 1998 V B 42/98, BFH/NV 1998, 1502; vom 22. Oktober 1998 X B 163/98, BFH/NV 1999, 504; Ehlers, a.a.O., Rz. 102, m.w.N.), weshalb dieser Rechtsbehelf ebenfalls keinen Erfolg haben kann.
Fundstellen
Haufe-Index 302251 |
BFH/NV 1999, 1606 |