Leitsatz (amtlich)
Der im Urteil vom 29. Mai 1979 VI R 21/77 (BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650) aufgestellte Rechtsgrundsatz, daß ein berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des ursprünglich vom FA erlassenen Verwaltungsakts bestehen kann, wenn der Antrag auf Erhöhung eines im Lohnsteuerermäßigungsverfahren eingetragenen Freibetrags deshalb keinen Erfolg mehr haben kann, weil sich die begehrte Eintragung wegen Zeitablaufs im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann, gilt nicht für das Verfahren der einstweiligen Anordnung.
Normenkette
FGO § 100 Abs. 1 S. 4, § 114 Abs. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) bezog im Streitjahr 1981 als Oberarzt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Als Miterbe hatte er von seinen beiden Brüdern aus der ungeteilten Erbengemeinschaft zu seinem 1/3-Anteil die weiteren 2/3-Anteile an einem Zweifamilienhaus für je 140 000 DM erworben. Hierzu vertritt der Beschwerdeführer die Ansicht, daß es sich um einen entgeltlichen Erwerb gehandelt habe, für den er die erhöhten Absetzungen nach § 7b Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Anspruch nehmen könne.
Am 5. Juni 1981 stellte er den Antrag, auf seinen beiden Lohnsteuerkarten für 1981 jeweils die Hälfte eines Überschusses der Werbungskosten über die Einnahmen in Höhe von 72 410 DM entsprechend § 39 a Abs. 1 Nr. 6 EStG einzutragen. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) lehnte dies ab und wies auch den Einspruch zurück. Über die Klage ist noch nicht entschieden.
Gleichzeitig mit der Erhebung der Klage stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Antrag, das FA zu verpflichten, ihm auf seinen beiden Lohnsteuerkarten 1981 die Hälfte des Verlustes aus Vermietung und Verpachtung als Freibetrag einzutragen. Das Finanzgericht (FG) lehnte diesen Antrag in dem angefochtenen Beschluß als unbegründet ab. Es ist der Ansicht, der Beschwerdeführer habe einen Anordnungsgrund i. S. von § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht. Mit dem Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 13. Juni 1975 Vl B 22/75 (BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717) sei davon auszugehen, aus der Tatsache allein, daß ohne Ergehen einer einstweiligen Anordnung die Verluste nicht schon beim Lohnsteuerabzug, sondern erst bei einer späteren Veranlagung zur Einkommensteuer geltend gemacht werden könnten, könne ein wesentlicher Nachteil i. S. dieser Vorschrift nicht hergeleitet werden. Einen über den Zinsverlust hinausgehenden Nachteil habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht. Die Behauptung des Beschwerdeführers, er könne den laufenden Schuldendienst kaum aufbringen, reiche für sich allein nicht aus.
Gegen diese Entscheidung des FG vom 15. Januar 1982 legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 1. Februar 1982 Beschwerde ein, der das FG nicht abgeholfen hat. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 26. März 1982 beantragte der Beschwerdeführer hilfsweise, vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren. Im einzelnen macht der Beschwerdeführer geltend: Durch die überhöhten Lohnsteuerabzüge verblieben ihm für den Lebensunterhalt im engeren Sinn nur noch 820 DM im Monat. Würde man seinem Antrag entsprechen, wären es über 3 000 DM. Die einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO sei die einzige Möglichkeit, um eine vorläufige Regelung des streitigen Rechtsverhältnisses zu erreichen. Es wäre mit dem Gleichheitsgrundsatz nicht vereinbar, Lohnsteuerzahlern im Gegensatz zu Einkommensteuerpflichtigen vorläufigen Rechtsschutz zu versagen. Er habe seine Finanzierung auf die bisherige Rechtsprechung des BFH abgestellt und ebenso auf die Absprachen mit der Sachbearbeiterin des FA. Es würde gegen Treu und Glauben verstoßen, wenn man auf seinen Fall die geänderte Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 7. Oktober 1980 VIII R 111/78, BFHE 132, 32, BStBl II 1981, 157) oder die geänderte Verwaltungsauffassung (Abschn. 44 der Einkommensteuer-Richtlinien -- EStR -- 1981) anwenden würde.
Er teile nicht die Ansicht, daß die Dreimonatsfrist des § 42b Abs. 3 EStG nur für Lohnsteuerberichtigungen mit Erstattungsfolgen durch den Arbeitgeber und nicht für Lohnsteuererstattungen durch das FA gelte.
Der Beschwerdeführer beantragt, durch einstweilige Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO den im Lohnsteuerermäßigungsantrag 1981 begehrten Freibetrag nach § 7b EStG zu veranlassen, hilfsweise, vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung gemäß § 361 der Abgabenordnung (AO 1977) und § 69 Abs. 3 FGO zu gewähren und das FA zu verpflichten, bis zur Rechtskraft der Veranlagung zur Einkommensteuer 1981 die überzahlte Lohnsteuer zu erstatten.
Das FA beantragt, den Haupt- und Hilfsantrag abzulehnen. Es ist der Ansicht, daß durch Zeitablauf der Antrag des Beschwerdeführers keinen Erfolg haben könne, weil die jetzige Eintragung keine Auswirkungen mehr auf das Lohnsteuerabzugsverfahren habe (§§ 39a Abs. 2 Satz 3, 41 c Abs. 3 Satz 3 i. V. m. § 42b Abs. 3 EStG). Im übrigen sei der Antrag auch sachlich nicht begründet.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Es besteht kein Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers, im Wege einer einstweiligen Anordnung den begehrten Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte für 1981 einzutragen.
Nach § 42b Abs. 3 Satz 1 EStG (früher § 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über den Lohnsteuer-Jahresausgleich) kann der Arbeitgeber des Beschwerdeführers einen Lohnsteuer-Jahresausgleich für 1981 nur bis spätestens im Monat März 1982 (bei der Lohnzahlung für den letzten Lohnzahlungszeitraum, der im Monat März 1982 endete) vornehmen. Nur bis zu diesem Zeitpunkt kann sich mithin ein auf die Lohnsteuerkarte des Beschwerdeführers für 1981 eingetragener Freibetrag auswirken. Mit Ablauf des Monats März des Jahres 1982 besteht hiernach kein Rechtsschutzinteresse mehr auf Eintragung des Freibetrags (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 13. Juni 1975 Vl B 22/75, BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717; vom 2. Dezember 1977 VI R 180/76, BFHE 124, 64, BStBl II 1978, 159, und BFH-Urteil vom 29. Mai 1979 VI R 21/77, BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650, in welchem im Hauptverfahren allerdings die Möglichkeit eines Feststellungsinteresses nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO bejaht wird). Mit Wegfall des Rechtsschutzinteresses ist der Antrag des Beschwerdeführers unzulässig geworden, so daß es eines Eingehens darauf, ob der Antrag auch aus anderen Gründen unzulässig war bzw. ist, nicht bedarf. Eine nachträglich eingetretene Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs ist in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen und zu beachten (vgl. BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 3/78, BFHE 127, 155, BStBl II 1979, 378 unter B II 5a).
Die vom VI. Senat des BFH im Urteil in BFHE 128, 148, BStBl II 1979, 650 aufgestellten Rechtsgrundsätze, daß ein berechtigtes Interesse i. S. des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des ursprünglich vom FA erlassenen Verwaltungsakts bestehen kann, wenn der Antrag auf Erhöhung eines im Lohnsteuerermäßigungsverfahren eingetragenen Freibetrags deshalb keinen Erfolg mehr haben kann, weil sich die begehrte Eintragung wegen Zeitablaufs im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht mehr auswirken kann, sind auf Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 1 FGO nicht übertragbar. Der VI. Senat hat seine Ansicht damit begründet, daß zwar eine rechtliche Bindung von Entscheidungen im Lohnsteuerermäßigungsverfahren für den Lohnsteuer-Jahresausgleich oder das Veranlagungsverfahren nicht gegeben sei, gleichwohl aber die Sachentscheidung eine "natürliche Autorität" habe, die auch bei gleichen Voraussetzungen aus prozeßökonomischen Gründen beachtlich sei. Diese Voraussetzungen treffen auf nach § 114 FGO ergangene Entscheidungen schon deshalb nicht zu, weil der Streitgegenstand beider Verfahren nicht identisch ist. Im Hauptverfahren wird eine bindende Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des begehrten und abgelehnten Verwaltungsakts getroffen, während das Verfahren der einstweiligen Anordnung nur eine vorläufige Sicherung bzw. Regelung betrifft (vgl. Baur, Festschrift Schiedermair, München 1976, S. 19 f.). Die sich aus der Eilbedürftigkeit des Verfahrens ergebende Notwendigkeit der summarischen Prüfung steht der Übertragung der hier gewonnenen Rechtserkenntnisse in verbindlicher Form für das Hauptverfahren entgegen.
Der hilfsweise gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 361 AO 1977 und § 69 Abs. 3 FGO ist ebenfalls unzulässig. Der VI. Senat des BFH geht zutreffend davon aus, daß in Fällen der vorliegenden Art vorläufiger Rechtsschutz durch den Erlaß einer einstweiligen Anordnung bei Vorliegen der Voraussetzungen im übrigen gewährt werden kann (BFHE 116, 106, BStBl II 1975, 717). Nach § 114 Abs. 5 FGO ist dann aber die Anwendung des § 69 FGO ausgeschlossen (vgl. hierzu auch BFH-Beschluß vom 10. Juli 1979 VIII B 84/78, BFHE 128, 164, BStBl II 1979, 567).
Fundstellen
Haufe-Index 74414 |
BStBl II 1983, 232 |
BFHE 1982, 232 |