Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Beginn der Errichtung eines Gebäudes
Leitsatz (NV)
1. Die Frage, wann mit der Errichtung eines Gebäudes i.S. des § 27 Abs. 2 UStG 1993 begonnen worden ist, ist durch die Rechtsprechung des BFH geklärt.
2. Unter dem “Beginn der Errichtung eines Gebäudes” i.S. des § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung ist der tatsächliche Errichtungsbeginn zu verstehen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2; UStG 1993 § 27 Abs. 3
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 24.11.1998; Aktenzeichen 5083/97) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist mit Beschluss des Amtsgerichts A vom 7. Januar 1999 im Gesamtvollstreckungsverfahren zum Verwalter des Vermögens des M (Gemeinschuldner) bestellt worden.
Der Gemeinschuldner hatte ein Altenpflegeheim erworben. Auf dem Grundstück befanden sich ein Altenheim-Altbau (Haus 1), ein Altenheim-Erweiterungsbau (Haus 2) sowie ein Wohnhaus. Der Gemeinschuldner beabsichtigte den Abriss des Wohnhauses und die Errichtung eines Neubaus (Haus 3). Dafür mussten zunächst Sanierungs- und Renovierungsarbeiten in Haus 1 durchgeführt werden, damit die Bewohner des Wohnhauses in Haus 1 umziehen konnten.
Die Arbeiten in Haus 1 wurden im Oktober 1993 durchgeführt. Der Umzug der Bewohner erfolgte vor dem 11. November 1993. Die Baugenehmigung für die Errichtung des Neubaus wurde am 2. Dezember 1993 erteilt.
Nach Fertigstellung des Bauvorhabens sollte der Neubau an die B-GmbH (GmbH) vermietet werden.
Mit seinen Umsatzsteuer-Voranmeldungen für den Streitzeitraum (I. bis IV. Quartal 1995 und I. Quartal 1996) machte der Gemeinschuldner den Vorsteuerabzug aus den Baukosten in vollem Umfang geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) folgte dem zunächst.
Im Anschluss an eine beim Gemeinschuldner durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung versagte das FA den Vorsteuerabzug aus den Baukosten des Altenpflegeheims und setzte die Umsatzsteuer in geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheiden für das I. bis IV. Quartal 1995 sowie für das I. Quartal 1996 entsprechend fest.
Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Zur Begründung seines klageabweisenden Urteils hat das Finanzgericht (FG) im Wesentlichen ausgeführt, nach § 9 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG 1993) in der Fassung des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 1993, 2310, BStBl I 1994, 50) sei die Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG 1993) zu verzichten, nur noch zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwende oder zu verwenden beabsichtige, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Die mit dem Betrieb des Altenpflegeheims verbundenen Umsätze seien aber gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. d UStG 1993 steuerfrei. Ein Verzicht des Gemeinschuldners auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 2 UStG 1993 scheide daher aus.
Die ab 1. Januar 1994 geltende Fassung des § 9 Abs. 2 UStG 1993 sei auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Nach der neugefassten Vorschrift des § 27 Abs. 2 UStG 1993 bliebe es nur dann bei der ursprünglichen Rechtslage, wenn mit der Errichtung des Gebäudes (Haus 3) bzw. den Herstellungsarbeiten in den Häusern 1 und 2 vor dem 11. November 1993 begonnen worden sei. Das aber sei nicht der Fall gewesen; weder mit dem Umbau der Häuser 1 und 2 noch mit der Errichtung des Neubaus sei vor dem 11. November 1993 begonnen worden. Der Beginn der Errichtung in diesem Sinne setze
- den Beginn der Ausschachtungsarbeiten,
- die Erteilung eines spezifischen Bauauftrags an den Bauunternehmer oder
- die Anfuhr nicht unbedeutender Mengen von Baumaterial auf den Bauplatz
voraus. Zuvor im Zusammenhang mit der Errichtung eines Gebäudes durchgeführte Arbeiten oder die Stellung eines Bauantrags seien noch nicht als Beginn der Errichtung anzusehen. Das gelte auch für die Arbeiten zum Abbruch eines Gebäudes, es sei denn, dass unmittelbar nach dem Abbruch des Gebäudes mit der Errichtung eines neuen Gebäudes begonnen werde.
Mit der Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision und macht sämtliche Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend.
Grundsätzliche Bedeutung habe die Frage, ob der Steuerpflichtige das Recht zum Vorsteuerabzug verliere, wenn er mit der Errichtung des Gebäudes i.S. des Abschn. 148a Abs. 5 Sätze 2 bis 6 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR) zwar erst nach dem 11. November 1993 begonnen habe, er aber vor diesem Zeitpunkt nach außen in anderer Weise verbindlich dokumentiert habe, dass die Investition durchgeführt werde. Er, der Kläger, habe sowohl durch den vor dem 11. November 1993 gestellten Bauantrag als auch durch weitere Handlungen nach außen dokumentiert, dass die Baumaßnahme durchgeführt werden sollte. Als Vorbereitungsmaßnahme für den Abbruch des Gebäudes hätten dessen Bewohner umziehen müssen. Dem Umzug wiederum sei die Sanierung und Herstellung eines anderen Gebäudes auf demselben Grundstück zur Schaffung von Ersatzwohnungen unmittelbar vorangegangen.
In dem das FG der Verwaltungsauffassung in Gestalt des Abschn. 148a Abs. 5 UStR gefolgt sei, habe es sich in Widerspruch zu den Urteilen des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 28. September 1982 III R 12/80 (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 1983, 149) und vom 10. April 1992 III R 142/90 (DStR 1992, 1316) gesetzt. Der BFH stelle immer dann, wenn für die Errichtung eines Gebäudes eine Genehmigung erforderlich sei, auf den Zeitpunkt des Antrags auf Erlass einer Baugenehmigung als Beginn der Herstellung ab.
Auch wenn § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 auslaufendes Recht betreffe, seien die dargelegten Fragen klärungsbedürftig. Es bestehe ein Allgemeininteresse an ihrer Klärung, weil die Möglichkeit bestehe, dass diese Vorschrift im Rahmen laufender Konkurs- bzw. Gesamtvollstreckungsverfahren zur Anwendung komme.
Das Urteil des FG leide darüber hinaus an Verfahrensfehlern. Angesichts des Vorlagebeschlusses des BFH vom 27. August 1998 V R 77/96 (BFHE 186, 468, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1999, 30) sei das FG gehalten gewesen, das Verfahren gemäß § 74 FGO auszusetzen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
1. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Die Frage, wann mit der Errichtung eines Gebäudes i.S. des § 27 Abs. 2 UStG 1993 begonnen worden ist, hat keine grundsätzliche Bedeutung; sie ist durch die Rechtsprechung des BFH bereits geklärt und es sind keine neuen Gesichtspunkte erkennbar, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage erforderlich machen (vgl. hierzu BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 2005 V B 195/04, BFH/NV 2005, 2064; vom 11. August 2006 V B 23/04, BFH/NV 2007, 60). Unter dem "Beginn der Errichtung eines Gebäudes" i.S. des § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG 1993 in der ab dem 1. Januar 1994 geltenden Fassung ist der tatsächliche Errichtungsbeginn zu verstehen. Das ist der Zeitpunkt, in dem einer der folgenden Sachverhalte als erster verwirklicht worden ist: Beginn der Ausschachtungsarbeiten, Erteilung eines spezifizierenden Bauauftrags an den Bauunternehmer, Anfuhr nicht unbedeutender Mengen von Baumaterial auf dem Bauplatz (BFH-Urteil vom 22. Februar 2001 V R 77/96, BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426; Beschluss vom 13. Februar 1998 V B 69/97, BFH/NV 1998, 1005).
2. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist im vorliegenden Fall auch keine Entscheidung durch den BFH erforderlich. Der Kläger hat keine tragenden und abstrakten Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen des BFH andererseits herausgearbeitet und einander so gegenüber gestellt, dass die Abweichung erkennbar wird (vgl. zu diesem Erfordernis BFH-Beschlüsse vom 29. Mai 2006 V B 159/05, BFH/NV 2006, 1892; vom 4. August 2006 V B 163/04, nicht veröffentlicht, juris; vom 24. August 2006 V B 36/05, BFH/NV 2007, 69; vom 3. November 2005 V B 9/04, BFH/NV 2006, 248). Die zum Ertragsteuerrecht ergangenen Urteile des BFH vom 28. September 1982 III R 12/80 (BFHE 137, 134, BStBl II 1983, 146) und vom 10. April 1992 III R 142/90 (BFHE 167, 474, BStBl II 1992, 632) enthalten im Übrigen auch keine tragenden Rechtssätze zu der Frage, wann mit der Errichtung eines Gebäudes i.S. des § 27 Abs. 2 UStG 1993 begonnen worden ist. Es besteht im Übrigen auch keine Divergenz zum Urteil des Senats vom 26. Januar 2006 V R 74/03 (BFH/NV 2006, 1164), weil diese Entscheidung einen anderen Sachverhalt betroffen hat, nämlich die Renovierung eines Altbaus.
3. Der Kläger rügt auch das Vorliegen eines Verfahrensmangels ohne Erfolg. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen Vorschriften des Verfahrensrechts. Zwar liegt bei ermessenswidriger Unterlassung der Aussetzung des Verfahrens in der Regel ein Verfahrensfehler vor (Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 74 Rz 7, § 115 Rz 80) und die Aussetzung des Verfahrens ist im Allgemeinen auch geboten, wenn der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) mit Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts befasst ist, von deren Beantwortung die Entscheidung des Rechtsstreits abhängig ist (BFH-Beschluss vom 22. Januar 2003 V B 122/02, BFH/NV 2003, 645).
Von der Beantwortung der Fragen, die der BFH mit Beschluss in BFHE 186, 468, UR 1999, 30 dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hat, hing aber die Entscheidung über den vorliegenden Rechtsstreit nicht ab. Der BFH hat darin dem EuGH unter anderem die Frage vorgelegt, ob das Recht auf Vorsteuerabzug auch dann erhalten bleibt, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand oder die Dienstleistung zwar tatsächlich zur Ausführung von Vermietungsumsätzen verwendet, aber aufgrund einer Gesetzesänderung nach Bezug des Gegenstandes/der Dienstleistung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung der damit ausgeführten Umsätze berechtigt ist. Diese Leistungsbezüge vor einer Gesetzesänderung betreffende Frage ist im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich gewesen, weil die streitigen Vorsteuerbeträge auf Leistungsbezügen in den Jahren 1995 und 1996, also nach der Änderung des § 9 Abs. 2 UStG 1993, beruhen.
Fundstellen