Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei unzureichendem Tatsachenvortrag
Leitsatz (NV)
- Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfordert eine substantiierte, in sich schlüssige Darlegung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO.
- In den Fällen, in denen eine fristwahrende Übersendung eines Schriftstückes mit einfacher Briefpost nicht mehr gewährleistet werden konnte und deshalb eine Übermittlung per Telefax erfolgt ist, erfordert der Tatsachenvortrag, mit dem bei verspätetem Eingang des Telefaxes der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründet werden soll, eine Darstellung der wirksamen Ausgangskontrolle und der kanzleiinternen Anweisungen für die Austragung der Fristen in solchen Fällen. Um das Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen, ist der Vortrag, eine sonst zuverlässige Büroangestellte habe eine Einzelanweisung zur Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax nicht befolgt, nicht ausreichend.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 1-2, § 116 Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war Steuerberater einer in Konkurs gefallenen GmbH und wurde nach seiner Verurteilung wegen Beihilfe zur Umsatzsteuerhinterziehung vom Finanzamt (FA) als Haftungsschuldner für Umsatzsteuerschulden der GmbH in Anspruch genommen. Einspruch und Klage gegen den Haftungsbescheid hatten keinen Erfolg. Mit Schriftsatz vom 3. April 2003 legte der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein, ohne die Beschwerde zu begründen. Auf seinen Antrag hin wurde die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bis zum 6. Juni 2003 verlängert. Die Begründung ging am 10. Juni 2003 und damit erst nach Fristablauf beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Mit Schriftsatz vom 23. Juni 2003 beantragte der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der ihm gesetzten Begründungsfrist.
Seinen Wiedereinsetzungsantrag begründet der Kläger damit, dass sein Prozessbevollmächtigter ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Der Prozessbevollmächtigte habe einer von ihm beauftragten Rechtsanwältin H die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde mit der Bitte übersandt, den Schriftsatz spätestens am 6. Juni 2003 per Telefax an den BFH zu übermitteln. Diese habe per E-mail die sonst äußerst zuverlässige, gewissenhafte und fachlich kompetente Sekretärin F des Prozessbevollmächtigten angewiesen, die Nichtzulassungsbeschwerde vorab per Telefax an den BFH zu senden. Auf die Beachtung des Fristablaufs sei in der E-mail ausdrücklich hingewiesen worden. Entgegen dieser Anweisung habe die Sekretärin F den Schriftsatz nicht am selben Tag per Telefax an den BFH, sondern mit der Post versandt. Als Mittel der Glaubhaftmachung hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers eidesstattliche Versicherungen der Rechtsanwältin H und der Sekretärin F sowie die an die Sekretärin gerichtete E-mail vom 5. Juni 2003 vorgelegt. In ihrer eidesstattlichen Versicherung führt die Rechtsanwältin H aus, dass sie die Sekretärin F per E-mail beauftragt habe, den vorliegenden Schriftsatz vorab an den BFH zu faxen. Darüber hinaus habe sie die Sekretärin F nochmals telefonisch auf die Frist und die Möglichkeit eines verspäteten Eingangs beim BFH hingewiesen. Die Sekretärin F hat in ihrer eidesstattlichen Versicherung lediglich den Empfang der E-mail und deren Inhalt bestätigt. Sie habe übersehen, die Anweisung selbst auszuführen bzw. eine Mitarbeiterin hiermit zu beauftragen, da an diesem Tag viel Arbeit in der Kanzlei zu bewältigen gewesen sei.
Das FA tritt dem Antrag des Klägers entgegen. Es ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Streitfall nicht erfüllt sind. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe trotz des drohenden Fristablaufs keine Maßnahmen getroffen, eigenverantwortlich die fristgerechte Übersendung des Schriftstückes zu kontrollieren.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig, da der Kläger sie nicht innerhalb der vom BFH gesetzten Frist begründet hat (§ 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen Versäumung dieser Frist kann dem Kläger nicht gewährt werden, da sein Vorbringen nicht geeignet ist, ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das sich der Kläger zurechnen lassen muss (§ 56 Abs. 1, § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), auszuschließen. Aus dem Wiedereinsetzungsschreiben und den vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen geht nämlich nicht hervor, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten durch organisatorische Maßnahmen eine wirksame Ausgangskontrolle auch für den Fall sichergestellt war, dass ein Schriftsatz aufgrund einer erteilten Einzelanweisung fristwahrend vorab per Telefax übersandt werden sollte.
a) Nach dem Vorbringen des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten beruht die Fristversäumung im Streitfall darauf, dass es die sonst zuverlässige Anwaltssekretärin F entgegen einer ausdrücklich erteilten Einzelanweisung versäumt hat, den Schriftsatz per Telefax an den BFH zu übermitteln. Statt dessen wurde die Beschwerdebegründung einen Tag vor Ablauf der Frist mit der Post aufgegeben. Es ist anerkannt, dass ein Rechtsanwalt das Versehen bzw. die Versäumnis einer zuverlässigen Kanzleiangestellten, die er durch eine konkrete Einzelanweisung mit der Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes betraut, nicht als eigenes Verschulden zu vertreten hat, wenn diese über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden ist (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs ―BGH― vom 15. Mai 1985 IVb ZB 27/85, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ―HFR―1986, 319; BFH-Beschluss vom 9. Juli 1992 V R 62/91, BFH/NV 1993, 251). Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass eine konkrete Einzelanweisung von seinem sonst zuverlässigen Personal auch befolgt wird, ist er ohne besonderen Anlass zu Überwachungsmaßnahmen, wie z.B. Rückfragen oder Einsichtnahme in die Sendeberichte, nicht verpflichtet (BGH in HFR 1986, 319). Im Streitfall stünde demnach das Versehen der Sekretärin F einer Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht entgegen.
b) Ein Büroversehen begründet jedoch nur dann kein Vertreter-verschulden, wenn es allein für die Fristversäumung ursächlich war. Hat der Prozessbevollmächtigte nicht alle Vorkehrungen getroffen, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, so hat er das Büroversehen zu vertreten (BFH in BFH/NV 1993, 251). Das gilt insbesondere, wenn die Fristversäumung auf einen Organisationsmangel zurückzuführen ist. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Bevollmächtigter verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist es unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch geführt wird. Zur Organisationspflicht gehört es auch, eine Ausgangskontrolle zu schaffen, die ausreichende Gewähr dafür bietet, dass fristwahrende Schriftstücke nicht über den Fristablauf hinaus im Büro liegen bleiben. Zu der hiernach geforderten Endkontrolle gehört die Anweisung, Fristen erst dann zu löschen, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich gefertigt und abgesandt ist oder zumindest "postfertig" vorliegt (BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, 268). Soll der fristwahrende Schriftsatz per Telefax übermittelt werden, so erfordert eine wirksame Endkontrolle fristwahrender Maßnahmen, dass die jeweilige Frist erst gelöscht wird, wenn ein von dem Telefaxgerät des Absenders ausgedruckter Einzelnachweis vorliegt, der die ordnungsgemäße Übermittlung belegt (vgl. Senatsbeschluss vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BGH). Dies gilt auch dann, wenn ―wie im Streitfall― eine konkrete Einzelanweisung an das Büropersonal zur rechtzeitigen Übermittlung des Schriftsatzes per Telefax an das Gericht erteilt worden ist (Senatsbeschluss vom 5. August 1997 VII B 74/97, BFH/NV 1998, 192).
Im Streitfall ist das Vorbringen des Klägers deshalb nicht geeignet, ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen, weil weder aus dem Wiederein-setzungsschreiben noch aus den beiden eidesstattlichen Versicherungen hervorgeht, dass in der Kanzlei die Einhaltung von Ausschlussfristen durch eine wirksame Ausgangskontrolle auch für den Fall sichergestellt war, dass ein fristwahrender Schriftsatz per Telefax an das Gericht übermittelt werden sollte. Die im Streitfall erfolgte Aufgabe des Schriftstückes zur Post konnte entsprechende Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen schon deshalb nicht entbehrlich machen, weil die Absendung nur einen Tag vor Fristablauf erfolgte und somit eine fristgerechte Zustellung spätestens am 6. Juni 2003 nicht mit Sicherheit gewährleistet werden konnte. Denn eine überlange Postlaufzeit vermag nur dann ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auszuschließen, wenn das Schriftstück unter Berücksichtigung der normalen Postlaufzeit aufgegeben worden ist. Dabei kann als gerichtsbekannt unterstellt werden, dass ein Schriftstück spätestens innerhalb von drei Tagen nach der Aufgabe zur Post beim Empfänger eingeht (vgl. BFH-Entscheidung vom 24. Januar 2002 III R 5/01, BFH/NV 2002, 778). Nach der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwältin H wurde ihr der Schriftsatz bereits am 30. Mai 2003 vom Prozessbevollmächtigten zur Weiterleitung an den BFH übermittelt. Auch die Sekretärin F hat versichert, dass ihr der Schriftsatz am 30. Mai 2003 übergeben worden ist und dass sie den Fristablauf im Fristenkalender eingetragen habe. Bei diesem Sachverhalt hätte eine Aufgabe zur Post mindestens zwei Tage vor Ablauf der Frist erfolgen können und auch müssen, um die Fristwahrung zu gewährleisten. Dies ist jedoch nicht geschehen, so dass der Schriftsatz tatsächlich erst am 10. Juni 2003 und damit nach Fristablauf beim BFH einging.
Als zuverlässige, weil fristwahrende Möglichkeit der Beschwerdeeinreichung verblieb die Übermittlung per Telefax. Auch diese ist im Streitfall unterblieben. Trotz Eintragung des Vorganges in das Fristenbuch bei Übergabe der Beschwerdeschrift an die Sekretärin F am 30. Mai 2003 und der damit verbundenen Möglichkeit einer weiteren Fristenkontrolle blieb das Versehen unentdeckt. Das Vorbringen des Klägers enthält keinerlei Ausführungen über die Art und den Umfang der Endkontrolle und über die Anweisungen für die Austragung der Fristen in den Fällen, in denen eine fristwahrende Übersendung eines Schriftstückes mit einfacher Briefpost nicht mehr gewährleistet werden konnte und deshalb eine Telefaxübermittlung erfolgen sollte. Eines solchen Tatsachenvortrages hätte es jedoch innerhalb der nach § 56 Abs. 2 FGO zu beachtenden Frist bedurft, denn die Darstellung einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört zur Schilderung des entscheidungserheblichen Sachverhalts, der zur Beurteilung eines evtl. Organisationsverschuldens des Prozessbevollmächtigten unverzichtbar ist. Bei einer effektiven Endkontrolle hätte aufgrund der nicht fristgerechten Aufgabe des Schriftstückes zur Post und aufgrund des fehlenden Sendeberichts ein Unterlassen der Absendung nicht unentdeckt bleiben und die Übermittlung des Schriftstückes noch vor Ablauf der Frist nachgeholt werden können. Bei dieser Sachlage ist der Vortrag, eine sonst zuverlässige Büroangestellte habe eine Einzelanweisung zur Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax nicht befolgt, nicht ausreichend, um ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung auszuschließen. Denn nach der Rechtsprechung des BFH erfordert der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eine substantiierte, in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen innerhalb der Zweiwochenfrist des § 56 Abs. 2 FGO (vgl. BFH-Entscheidungen vom 20. Juni 1996 X R 95/93, BFH/NV 1997, 40, und vom 26. Februar 1998 III R 66/97, BFH/NV 1998, 1231).
Fundstellen
Haufe-Index 1178747 |
BFH/NV 2004, 1285 |