Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine schlüssige Anhörungsrüge
Leitsatz (NV)
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Auch wenn die Rechtslage umstritten und problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten. Dies gilt zumal, wenn er fachkundig vertreten war.
2. Für eine erfolgreiche Gehörsrüge muss der Rügeführer, wenn sich die vorgebliche Gerhörsverletzung nur auf einzelne Feststellungen und rechtliche Gesichtspunkte bezieht, u.a. substantiiert darlegen können, dass die angefochtene Entscheidung bei gehöriger Gewährung des rechtlichen Gehörs - auf der Basis des in der angefochtenen Entscheidung vertretenen materiell-rechtlichen Standpunkts - möglicherweise anders ausgefallen wäre.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2, § 119 Nr. 3, § 133a; GG Art. 103 Abs. 1
Gründe
1. Der beschließende Senat ist infolge Änderung der Geschäftsverteilung beim Bundesfinanzhof (BFH) mit Wirkung ab 1. Januar 2008 zur Entscheidung über die hier erhobene Anhörungsrüge berufen (Teil A, X. Senat, Nr. 5 i.V.m. Nr. 1 des Geschäftsverteilungsplans des BFH 2008).
2. Die auf die Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gestützte Anhörungsrüge ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht den Anforderungen des § 133a Abs. 2 Satz 6 FGO entspricht.
a) Der Rügeführer beanstandet, der XI. Senat des BFH habe es versäumt, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses, mit dem die Nichtzulassungsbeschwerde des Rügeführers als unbegründet zurückgewiesen wurde, dem Rügeführer "einen rechtlichen Hinweis auf die Erwägungen zu geben, unter denen voraussichtlich die Nichtzulassungsbeschwerde entschieden (werde) und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu zu geben. Ein solcher Hinweis (sei) erforderlich (gewesen), da von den gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen die Nichtzulassungsbeschwerde als begründet anzusehen (sei), erheblich abgewichen (worden sei)". Hätte das Gericht den Rügeführer auf diese Erwägungen hingewiesen, hätte dieser die in der Rügebegründungsschrift vom 4. Januar 2008 enthaltenen rechtlichen Erwägungen vorgetragen. Die Möglichkeit einer anderen Entscheidung über seine Nichtzulassungsbeschwerde wäre damit gegeben gewesen.
b) Diese Ausführungen genügen nicht den Erfordernissen einer schlüssigen Gehörsrüge.
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH liegt eine Überraschungsentscheidung und damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen mussten (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 3. März 1998 VIII R 66/96, BFHE 185, 422, BStBl II 1998, 383, unter I.2., m.w.N.). Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539). Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss daher ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtpunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag hierauf einrichten (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Oktober 1994 2 BvR 126/94, Deutsches Verwaltungsblatt 1995, 34). Dies gilt zumal, wenn --wie hier der Rügeführer-- fachkundig vertreten war.
bb) Nach diesen Maßstäben war der XI. Senat des BFH nicht gehalten, vor Erlass des angefochtenen Beschlusses auf die rechtlichen Gesichtspunkte hinzuweisen, mit denen er die Nichtzulassung der Revision begründet hat.
Vor allem aber hat der Rügeführer nicht --wie es jedoch geboten gewesen wäre (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 133a Rz 12, m.w.N.)-- schlüssig und substantiiert darlegen können, dass die Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde des Rügeführers im Fall des von ihm als unterlassen gerügten Hinweises --auf der Basis des in der angefochtenen Entscheidung eingenommenen materiell-rechtlichen Standpunkts (vgl. hierzu z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 14, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH)-- möglicherweise anders ausgefallen wäre. Denn in dem angefochtenen Beschluss heißt es, dass die vom Rügeführer aufgeworfene Rechtsfrage "nicht klärungsbedürftig (sei), da sich ihre Antwort entgegen der Rechtsauffassung des Klägers bereits aus dem Gesetz und der vorhandenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des BFH entnehmen (lasse)". Ferner wird dort ausgeführt, der "BFH (habe) schon mehrfach entschieden, dass anhand der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall festzustellen (sei), ob die Voraussetzungen der personellen Verflechtung einer Betriebsaufspaltung (vorlägen)… In diesem Zusammenhang (habe) sich der BFH auch mit der Frage des Einstimmigkeitserfordernisses bei Beschlüssen der Betriebs-GmbH befasst (…). Da die Beantwortung der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage hiernach von der Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall (abhänge, könne) ihr keine grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden …".
3. Im Kern richten sich die Ausführungen des Rügeführers gegen die dem angefochtenen Beschluss zugrunde liegende Rechtsauffassung. Sie enthalten den Vorwurf, der XI. Senat des BFH habe in der Sache fehlerhaft entschieden. Mit diesem Vorbringen kann der Rügeführer aber im Rahmen des § 133a FGO nicht gehört werden (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 17. Juni 2005 VI S 3/05, BFHE 209, 419, BStBl II 2005, 614).
4. Die Kostenpflicht ergibt sich aus Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz --GKG-- (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG i.d.F. des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I 2004, 3220). Es fällt eine Festgebühr von 50 € an.
Fundstellen