Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Kindergeld bei mehrjährigem Schulbesuch in der Türkei
Leitsatz (NV)
Die Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz beibehält, sind geklärt.
Normenkette
AO § 8; EStG §§ 62-63; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Der im August 1990 geborene Sohn (S) des Antragstellers besuchte nach Abschluss der sechsten Klasse in den Schuljahren 2003/2004 und 2004/2005 eine Volksschule in der Türkei und nach einem von Juli bis Dezember 2005 dauernden Volksschulbesuch in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ab dem 26. Dezember 2005 sowie im Schuljahr 2006/2007 ein Gymnasium in der Türkei. Gegen die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung in Höhe von 148,89 € ab September 2003 erhob der Antragsteller erfolglos Einspruch und Klage.
Das Finanzgericht (FG) führte im Wesentlichen aus: Der Antragsteller habe für den Streitzeitraum September 2003 bis September 2004 weder einen Wohnsitz (§ 8 der Abgabenordnung --AO--) noch einen gewöhnlichen Aufenthalt (§ 9 AO) des S im Inland nachgewiesen. S habe die elterliche Wohnung kurz nach Vollendung des 13. Lebensjahres für eine Schulausbildung in der Türkei verlassen. Dabei sprächen gewichtige Umstände dafür, dass diese Schulausbildung nicht von vornherein auf nur zwei Jahre mit anschließender endgültiger Rückkehr in die Bundesrepublik, sondern auf einen mehrjährigen Zeitraum angelegt gewesen sei, was im Übrigen auch durch die spätere Entwicklung bestätigt worden sei. Angesichts der Sprachschwerpunkte in der Schulausbildung in der Türkei (Türkisch und Englisch) erscheine sogar fraglich, ob von Anfang an die Aufnahme eines Hochschulstudiums in der Bundesrepublik nach Erlangung des türkischen Schulabschlusses geplant gewesen sei. Zudem habe sich S mit 13 Jahren noch in einem Alter befunden, in dem er der Betreuung und Fürsorge bedurft habe, die von seinem Onkel übernommen worden sei, der sich den Angaben des Antragstellers zufolge als Rentner um S habe kümmern können. Zudem habe sich S nur in den Schulferien in der Wohnung des Antragstellers aufgehalten, im Streitzeitraum lediglich in den Winterferien (zwei Wochen) und in den Sommerferien (drei Monate). Diese Inlandsaufenthalte hätten nur Besuchscharakter. Die Voraussetzungen eines gewöhnlichen Aufenthaltes seien ebenfalls nicht gegeben.
Mit seiner hiergegen gerichteten Beschwerde, die bei dem Senat unter dem Aktenzeichen III B 102/08 anhängig ist, begehrt der Antragsteller die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und des Vorliegens von Verfahrensfehlern:
Es liege eine Verletzung des materiellen Rechts, insbesondere der §§ 62, 63 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 8 AO vor. Bei richtiger Würdigung des Sachverhalts hätte das FG einen Kindergeldanspruch des Antragstellers bejahen müssen. Es werde eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung gerügt.
Zudem liege ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, da Eltern, die ihre Kinder auf eine Schule in ein europäisches Land i.S. des § 63 Abs. 1 Satz 3 EStG schickten, kindergeldberechtigt seien, nicht aber auch Eltern, die ihre Kinder in der Türkei eine Schule besuchen ließen. Insofern sei auch auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 4. Mai 1999 (C-292/96 --richtig: C-262/96--) hinzuweisen. Zu klären sei insbesondere die Frage, "ob eine analoge Anwendung der bestehenden Vorschriften der §§ 63 Abs. 1 Satz 3 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG auf Deutsche mit Bezug auf nicht EU-Länder in Betracht gezogen, bzw. bejaht werden darf". Der Antragsteller und S besäßen die deutsche Staatsangehörigkeit.
Auch fehle es an einem Hinweis des Gerichts, dass die Voraussetzungen für den Kindergeldanspruch nicht gegeben seien, da an den Begriffen "Wohnsitz" und "ständiger Aufenthalt" i.S. des § 8 AO festgehalten werde, obwohl es Ausnahmen gebe.
Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens wegen Nichtzulassung der Revision III B 102/08 begehrt der Antragsteller die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und die Beiordnung eines Rechtsvertreters.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag hat keinen Erfolg.
1. Die Gewährung von PKH setzt nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 Satz 1 der Zivilprozessordnung voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Handelt es sich bei der beabsichtigten Rechtsverfolgung um die Zulassung der Revision, so fehlt es an der erforderlichen Erfolgsaussicht, wenn weder der Antrag noch eine summarische (Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 142 FGO Rz 45, m.w.N.) Prüfung von Amts wegen Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Zulassungsgrundes i.S. des § 115 Abs. 2 FGO erkennen lassen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 13. März 2008 III S 13/07 (PKH), BFH/NV 2008, 1145).
Weder aus dem Vorbringen des Antragstellers noch aus den Akten ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordern (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder das Urteil des FG auf einem Verfahrensmangel beruhen könnte (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).
a) In der Rechtsprechung des BFH ist bereits geklärt, dass die Nichtberücksichtigung von Kindern, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder in einem Staat haben, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, bei der Festsetzung von Kindergeld nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verstößt, da die Abgrenzung des begünstigten Personenkreises danach, wo ein Kind seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat, angesichts des das Einkommensteuerrecht prägenden Territorialitätsprinzips nicht sachwidrig ist (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 165/99, BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, m.w.N.). Da die Staatsgewalt der Bundesrepublik im Verhältnis zu anderen Staaten auf das eigene Staatsgebiet begrenzt ist (sog. Territorialitätsprinzip), ist die Bundesrepublik grundsätzlich auch nur verpflichtet, für Kinder, die ihren Wohnsitz im Staatsgebiet der Bundesrepublik haben, Kindergeld zu gewähren. Etwas anderes gilt aufgrund anders lautender zwischenstaatlicher Abkommen lediglich für Kinder, die ihren Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum haben (Senatsbeschluss vom 27. Februar 2006 III B 170/05, BFH/NV 2006, 1090).
b) Die Rüge, das Urteil des FG weiche von dem Urteil des EuGH vom 4. Mai 1999 C-262/96 (Slg. 1999, I-2685) ab, genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Es fehlt bereits an der Gegenüberstellung tragender, abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits
und aus der behaupteten Divergenzentscheidung andererseits, um eine Abweichung erkennbar zu machen.
c) Soweit der Antragsteller eine Verletzung des materiellen Rechts rügt und vorträgt, dass bei richtiger Würdigung des Sachverhalts ein Kindergeldanspruch hätte bejaht werden müssen, wendet er sich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung des FG sowie gegen die vom FG gezogenen Schlussfolgerungen. Darin liegt jedoch nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern falscher materieller Rechtsanwendung, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt.
Die Grundsätze, nach denen zu beurteilen ist, ob ein Kind, das sich zum Zwecke des Schulbesuchs mehrere Jahre im Ausland aufhält, seinen inländischen Wohnsitz beibehält, hat der BFH mehrfach dargelegt (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 193, 569, BStBl II 2001, 279, und vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Das FG ist bei seiner Beurteilung von diesen Grundsätzen ausgegangen. Dass dem FG dabei Denkfehler oder Verstöße gegen Erfahrungssätze unterlaufen wären, ist nicht erkennbar. Die finanzgerichtliche Würdigung ist nachvollziehbar und möglich.
Fundstellen