Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussetzung der Vollziehung; außerordentliche Beschwerde
Leitsatz (NV)
Zur Zulässigkeit einer "außerordentlichen Beschwerde".
Zur Gewährung rechtlichen Gehörs vor Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung; insbesondere kein Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 90 Abs. 1 S. 2, § 128 Abs. 3
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) war seit 1992 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der 1987 errichteten X-GmbH. Mit Beschluß vom 3. Mai 1993 wurde er als Geschäftsführer dieser Firma abberufen und statt dessen der im Ausland wohnhafte A zum Geschäftsführer der X-GmbH bestellt. Am 4. Mai 1993 veräußerte der Antragsteller seine sämtlichen Geschäftsanteile an die Firma B mit Sitz im Ausland. Der Kaufpreis betrug 1,00 DM. Rückfragen des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) beim Bundesamt für Finanzen ergaben, daß es sich bei B um eine Domizil-Gesellschaft handelt, bei der die dahinter stehenden Personen nicht zu ermitteln gewesen seien. Eine Person A bzw. ein Unternehmen A sei in dem betreffenden Staat unter der im Handelsregister angegebenen Anschrift nicht auffindbar.
Der Antragsteller betreibt seit Anfang Mai 1993 ein Einzelhandelsunternehmen. Mit Vertrag vom 3. Mai 1993 erwarb er von der X-GmbH die Produktgruppe ... Die X- GmbH wurde dabei von ihm als Geschäftsführer vertreten. Als Gegenleistung für den Erwerb des Kaufgegenstandes übernahm der Antragsteller Verbindlichkeiten der X- GmbH. In der auf den Antragsteller darüber ausgestellten Rechnung der X-GmbH ist Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen worden. Mit Vertrag vom 3. Mai bzw. 4. Mai 1993 (Datum unleserlich) erwarb der Antragsteller von der X-GmbH außerdem ein Warenlager sowie die Büroeinrichtungen. Auch in diesem Vertrag, bei dem die X-GmbH von dem Bevollmächtigten des neuen Geschäftsführers vertreten wurde, übernahm der Antragsteller Verbindlichkeiten der X-GmbH. In der betreffenden Rechnung der X-GmbH wurde die Umsatzsteuer ebenfalls gesondert ausgewiesen.
Von der X-GmbH wurden ab Mai 1993 keine Umsatzsteuervoranmeldungen mehr abgegeben. Im September 1993 wurden lediglich die Erklärungen zur Körperschaft-, Gewerbe- und Umsatzsteuer 1991 eingereicht, die vom Antragsteller unterschrieben waren. Mit Haftungsbescheid vom 28. September 1993 nahm das FA den Antragsteller als Geschäftsführer der X-GmbH wegen rückständiger Umsatzsteuer einschließlich darauf entfallender Verspätungs- und Säumniszuschläge für die Monate November und Dezember 1992 (Umsatzsteuervoranmeldungen) sowie die Sondervorauszahlung für 1993 in Anspruch. Der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der X-GmbH wurde im Oktober 1993 mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse abgelehnt. Daraufhin setzte das FA die Umsatzsteuervorauszahlung der X-GmbH für den Monat Mai 1993 aufgrund der zwischen der X-GmbH und dem Antragsteller getätigten Veräußerungs geschäfte fest. Das FA nahm den Antragsteller mit weiteren Haftungsbescheiden vom 10. November 1993 wegen rückständiger Lohnsteuer für 1992 und Mai 1993, Körperschaftsteuer 1990, Umsatzsteuer 1991 und Mai 1993 einschließlich Verspätungs- und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt ... DM als Verfügungsberechtigten nach § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. § 35 AO 1977 bzw. Betriebsübernehmer (nur für Lohn- und Umsatzsteuer) nach § 75 AO 1977 in Anspruch.Ü
ber die gegen die beiden Haftungsbescheide eingelegten Einsprüche ist noch nicht entschieden worden. Der Antrag auf Aus setzung der Vollziehung der Haftungs bescheide wurde vom FA abgelehnt. Der danach beim Finanzgericht (FG) gestellte Antrag auf Aussetzung der Vollziehung beider Haftungsbescheide wurde ebenfalls abgelehnt.
Das FG führte im Ergebnis u. a. aus, nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage bestünden an der Rechtmäßigkeit der beiden angefochtenen Haftungs bescheide keine ernstlichen Zweifel. Die summarische Prüfung habe keine Fehler bei der Handhabung des Ermessens er geben.
Der Haftungsbescheid vom 10. November 1993 habe, wenn nicht auf § 75 AO 1977, jedenfalls bezüglich der im Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des Antragstellers entstandenen steuerlichen Pflichten auf § 69 i. V. m. §§ 34, 36 AO 1977 gestützt werden dürfen. Für die Zeit nach seiner Abberufung als Geschäftsführer der X- GmbH ergebe sich die Haftung des Antragstellers aus § 69 i. V. m. §§ 34, 35 AO 1977, weil der Antragsteller noch nach seiner Abberufung als Geschäftsführer als Verfügungsberechtigter aufgetreten und rechtlich und tatsächlich in der Lage gewesen sei, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters zu erfüllen. In einer Gesellschaft komme als Verfügungsberechtigter auch der beherrschende bzw. Alleingesellschafter in Betracht. Im vorliegenden Fall müsse davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller diese Stellung im fraglichen Zeitraum noch innegehabt habe. Es habe nicht festgestellt werden können, wer hinter der Firma B stehe, die die Geschäftsanteile der X-GmbH vom Antragsteller gekauft habe; auch sei der anstelle des Antragstellers berufene Geschäftsführer A der X-GmbH unter der angegebenen Anschrift nicht auffindbar. Deshalb könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Gesellschaft mit Sitz im Ausland lediglich als Rechtsträger für den im Inland ansässigen Antragsteller fungiere. Die Einkünfte und Anteile der X-GmbH müßten aus diesen Gründen jedenfalls so lange dem Antragsteller zugerechnet werden, bis die Verhältnisse vom Antragsteller offengelegt und nachgewiesen würden. Der Antragsteller könne sich nicht darauf berufen, daß er dazu nicht in der Lage sei; durch entsprechende Vertragsgestaltung hätte er Vorsorge dafür treffen können und müssen, daß er die entsprechenden Beweismittel -- wenn nötig -- beschaffen könne. Da der Antragsteller den Sachverhalt bisher nicht aufgeklärt bzw. die hierzu erforderlichen Beweismittel nicht beschafft habe, sei davon auszugehen, daß der Antragsteller weiterhin Inhaber der Anteile bzw. Alleingesellschafter der X-GmbH und damit in der Lage gewesen sei, deren steuerliche Pflichten zu erfüllen. Inwieweit der haftungsbegrenzende Grundsatz der nur anteiligen Tilgung bezüglich der mit dem Haftungsbescheid vom 10. November 1993 geltend gemachten Steuern eingreife, habe ebenfalls wegen fehlender Angaben des Antragstellers nicht geprüft werden können.
Das FG hat die Beschwerde gegen den Beschluß nicht zugelassen. Der Antragsteller wendet sich mit der außerordentlichen Beschwerde gegen den Beschluß, soweit darin die Aussetzung der Vollziehung des Haftungsbescheides vom 10. November 1993 abgelehnt worden ist. Er stützt die Beschwerde auf eine greifbare Gesetz widrigkeit des angefochtenen Beschlusses insoweit und beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung bezüglich des Haftungs bescheides vom 10. November 1993 auf zuheben und die Vollziehung aus diesem Haftungsbescheid bis einen Monat nach Zustellung der Einspruchsentscheidung des FA auszusetzen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Gegen die Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) steht den Beteiligten die Beschwerde nur zu, wenn sie in der Entscheidung zugelassen worden ist. Im Streitfall ist die Beschwerde nicht zugelassen worden, deshalb ist sie nicht statthaft.
2. Auch eine außerordentliche Beschwerde ist im Streitfall nicht gegeben.
a) Eine solche Beschwerde ist in der FGO nicht vorgesehen. Ausnahmsweise wird zwar in Fällen, in denen ein Beschluß kraft Gesetzes unanfechtbar wird, die Beschwerde dann für zulässig gehalten, wenn der Beschluß unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensvorschriften zustandegekommen ist oder auf einer Gesetzesaus legung beruht, die offensichtlich dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (Bundesfinanzhof -- BFH --, Beschlüsse vom 25. Juli 1978 VII B 20/78, BFHE 125, 490, BStBl II 1978, 675 m. w. N.; vom 19. April 1989 II B 177/88, BFH/NV 1990, 576; Bundesgerichtshof, Beschluß vom 8. Oktober 1992 VII ZB 3/92, Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 1992, 2038 m. w. N.). Es kann dahinstehen, ob eine solche "außerordentliche" Beschwerde auch für Fälle in Betracht kommt, in denen die Voraussetzungen für eine Beschwerde nach § 128 Abs. 3 FGO nicht gegeben sind. Die Voraussetzungen, unter denen eine solche Beschwerde ausnahmsweise zulässig sein könnte, sind jedenfalls im Streitfall nicht schlüssig vorgetragen worden.
b) Der angefochtene Beschluß ist nicht unter schwerwiegender Verletzung von Verfahrensfehlern zustandegekommen. Insbesondere ergibt die Rüge des Antragstellers nicht schlüssig, daß im Streitfall dessen Recht auf Gehör verletzt worden ist.
Beschlüsse können ohne mündliche Verhandlung ergehen (§ 90 Abs. 1 Satz 2 FGO). Dies ist auch dann der Fall, wenn der Antragsteller wie im Streitfall ausdrücklich um eine mündliche Verhandlung gebeten hat. Das Gericht ist an einen solchen Antrag nicht gebunden. Zwar kann unter besonderen Umständen, etwa zur Aufklärung des Sachverhalts, eine münd liche Verhandlung im Einzelfall auch in Beschlußsachen geboten sein. Solche Umstände sind aber im Streitfall nicht ersichtlich. Der Antragsteller hat auch nicht geltend gemacht, daß er im finanzgerichtlichen Verfahren irgend etwas vorgetragen hätte, aus dem sich die Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung für das FG hätte ergeben können. Im übrigen ist das Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung ein summarisches Verfahren, bei dem der Prozeßstoff auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen und präsenten Beweismittel beschränkt ist (Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl. § 69 Rz. 105).
Das Recht des Antragstellers auf Gehör ist auch nicht dadurch verletzt worden, daß das FG dem Antragsteller nicht die Möglichkeit gegeben hat, den Sachverhalt weiter aufzuklären. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ist beim FG am 29. Dezember 1993 eingegangen. Mit Schriftsatz vom 20. April 1994 hat der Antragsteller beantragt, ihm Gelegenheit zu geben, zur Sache weiter vorzutragen; hierfür hat er eine Frist von 14 Tagen erbeten. Der angekündigte weitere Vortrag ist weder innerhalb dieser Frist noch danach erfolgt. Wenn das FG lange nach Ablauf der vom Antragsteller erbetenen Frist, am 12. Juli 1994, nach Aktenlage entschieden hat, so liegt darin jedenfalls keine offensichtliche und greifbare Verletzung des Rechts des Antragstellers auf rechtliches Gehör.
c) Aus dem Vortrag des Antragstellers folgt auch kein greifbarer Gesetzesverstoß hinsichtlich des Inhalts der angefochtenen Entscheidung. Soweit sich der Antragsteller gegen die Annahme des FG wendet, er sei noch nach seiner Abberufung als Geschäftsführer der X-GmbH weiterhin für diese verfügungsberechtigt gewesen, richtet sich diese Rüge gegen die Würdigung bestimmter Tatsachen (Abgabe von Steuererklärungen durch den Antragsteller für die X-GmbH nach seiner Abberufung als deren Geschäftsführer und Zurechnung der Anteile der X-GmbH für den Antragsteller nach deren Verkauf an die Firma B) in dem angefochtenen Beschluß. Daß diese Würdigung offensichtlich gegen gesetzliche Vorschriften verstößt, läßt sich der Beschwerde aber nicht entnehmen. Der Antragsteller trägt zwar in seiner Beschwerde vor, daß er vom FA nach der Abberufung als Geschäftsführer der X-GmbH zur Abgabe von Steuererklärungen der X-GmbH für das Jahr 1991 unter Androhung von Zwangsgeld und Ersatzzwangshaft "genötigt" worden sei und deshalb aus der Abgabe der Steuererklärungen durch ihn nicht auf seine Verfügungsberechtigung i. S. des § 35 AO 1977 habe geschlossen werden dürfen. Das FG hatte jedoch keine Veranlassung, auf diesen Umstand einzugehen, weil der Antragsteller die angebliche Nötigung durch das FA erstmals mit der außerordentlichen Beschwerde vorgetragen hat. Dem Vortrag des Klägers läßt sich schließlich auch nicht entnehmen, daß das FG die gesetzlichen Vorschriften über die Haftung offensichtlich falsch angewendet hat. Insgesamt ergibt die Beschwerde somit nicht schlüssig, daß die Vorentscheidung die angeblichen schwerwiegenden Mängel aufweist.
Fundstellen
Haufe-Index 420395 |
BFH/NV 1995, 791 |