Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Reisen aus den alten Bundesländern zum Beschäftigungsort im Beitrittsgebiet; Nichterhebung von Beweisen; Verletzung des rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
1. Die Verwaltungsanweisungen betreffend Dienstreisen aus den alten in die neuen Bundesländer sind nicht anwendbar bei Fahrten zwischen der Wohnung im alten Bundesgebiet und dem Beschäftigungsort im Beitrittsgebiet.
2. Die Nichterhebung eines angebotenen Beweises ist nur dann ein Verfahrensmangel, wenn das voraussichtliche Beweisergebnis nach der materiell-rechtlichen Rechtsansicht des FG entscheidungserheblich sein kann.
3. Zum Rügeverzicht hinsichtlich der Verletzung des rechtlichen Gehörs.
Normenkette
EStG § 9 Abs. 1 S. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 02.06.2004; Aktenzeichen 1 K 2641/01) |
Nachgehend
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat --im Hinblick auf die für das Streitjahr 1994 geltend gemachten Reisekosten und Verpflegungsmehraufwendungen-- keine grundsätzliche Bedeutung. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) bezeichnet insoweit die Rechtsfrage als maßgeblich, ob die Ausnahmeregelung in dem Rundschreiben des Bundesministers der Finanzen vom 21. Mai 1991 (BStBl I 1991, 536, mit Verlängerung der Geltungsdauer in BStBl I 1991, 1022 und BStBl I 1992, 627) auch dann Anwendung finden müsse, wenn sich der Arbeitgeber im Beitrittsgebiet befinde. Diese Rechtsfrage könnte in einem künftigen Revisionsverfahren nicht geklärt werden, da sie für die Entscheidung nicht rechtserheblich ist (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rz. 30). Denn die genannte Verwaltungsanweisung betrifft einen von dem Streitfall verschiedenen Sachverhalt, nämlich die Durchführung von Dienstreisen aus den alten Bundesländern in das Beitrittsgebiet. Auch der Kläger geht hiervon aus, wenn er zur Begründung seiner Rechtsansicht vorträgt, es könne keinen Unterschied machen, ob die Dienstreise vom Ort des Lebensmittelpunkts in das Beitrittsgebiet für einen Arbeitgeber aus den alten oder aus den neuen Bundesländern unternommen werde. Im Streitfall geht es indessen um die Fahrten des Klägers zwischen seiner Wohnung in A und seinem Beschäftigungsort in B. Diese könnten (unter der Voraussetzung, dass sich in A der Lebensmittelpunkt des Klägers befand) als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder als Familienheimfahrten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung, nicht jedoch als Dienstreisen einzuordnen sein. Auf den von dem Kläger herausgestellten Aspekt des Arbeitgeberstandorts (in den alten Bundesländern oder im Beitrittsgebiet) kann es daher nicht ankommen.
2. Die Zulassung der Revision wegen Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) kommt nicht in Betracht.
a) Soweit der Kläger rügt, das Finanzgericht (FG) habe den Beweisantrag übergangen, Zeugen darüber zu hören, dass wöchentliche Familienheimfahrten nach A stattgefunden hätten und die sozialen Kontakte dorthin aufrechterhalten worden seien, ist die gerügte Verletzung der Sachaufklärungspflicht jedenfalls nicht entscheidungserheblich. Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision wegen eines Verfahrensmangels nur zuzulassen, wenn die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Wird ein beantragter Beweis nicht erhoben, so liegt darin nur dann ein erheblicher Verfahrensmangel, wenn die erstrebten Beweisergebnisse für die Entscheidung des FG nach dessen maßgeblicher materiell-rechtlicher Rechtsauffassung entscheidungserhebliche Bedeutung haben könnten (vgl. Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 115 FGO Rz. 177, m.w.N.). Dies trifft vorliegend nicht zu. Das FG ist bei der Prüfung der doppelten Haushaltsführung von dem in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) entwickelten Grundsatz ausgegangen, dass die Bestimmung des Haupthausstandes nach den Gesamtumständen des Einzelfalles zu erfolgen habe, wobei die Anzahl der Familienheimfahrten lediglich ein Indiz darstelle (vgl. BFH-Urteil vom 27. April 2001 VI R 57/98, BFH/NV 2001, 1385, sowie zuletzt Urteil vom 14. Oktober 2004 VI R 82/02, BFH/NV 2005, 133, m.w.N.). Zu seiner Entscheidung, der Kläger habe in allen Streitjahren keinen doppelten Haushalt geführt, da sich sein Lebensmittelpunkt jeweils am Beschäftigungsort in B bzw. in C befunden habe, ist das FG im Wege einer Gesamtwürdigung aufgrund einer Reihe von Sachverhaltsumständen gelangt (Anmietung einer deutlich größeren Wohnung in B; aus der Änderung des Standardmietvertrags ersichtliche Absicht, hier mit einer Bezugsperson zusammenzuleben; Begründung der Lebensgemeinschaft; Anmietung der beiden 150 qm großen Wohnungen in C; dortiger Schulbesuch der beiden Kinder; Abgabe von Ermäßigungsanträgen und Steuererklärungen bei den Finanzämtern am Beschäftigungsort). Die Anzahl der Wochenendfahrten hat das FG (nach der Verneinung eines Hausstandes in A) erst im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Sachverhaltsdarstellung des Klägers erörtert. Das FG hat diesen Punkt somit nur als weitere Bestätigung des aus anderen Gründen bereits gefundenen Ergebnisses angesehen und zum Ausdruck gebracht, dass es auf die Anzahl der Wochenendfahrten nach seiner Auffassung nicht ankomme. Den angebotenen Beweis brauchte das Gericht deshalb nicht zu erheben.
b) Der Kläger rügt ferner eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die darin liege, dass das Gericht dem Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung ein Konvolut von Unterlagen übergeben habe, zu denen er sich kurzfristig nicht habe erklären können, die aber in die Entscheidung betreffend den Lebensmittelpunkt eingeflossen seien. Die Verfahrensrüge ist unzulässig. Da die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zu den sog. verzichtbaren Mängeln gehört (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 101, m.w.N.), kann der behauptete Verfahrensmangel nicht mehr geltend gemacht werden, wenn der Beteiligte auf dessen Beachtung verzichtet hat oder wenn der Verfahrensmangel bei der nächsten mündlichen Verhandlung nicht gerügt wird (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Das Rügerecht geht nicht nur durch eine ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge in der mündlichen Verhandlung, und zwar unabhängig von einem Verzichtswillen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 103). Die "nächste" mündliche Verhandlung kann auch die sich unmittelbar an den Verfahrensfehler anschließende Verhandlung sein (BFH-Urteil vom 15. Juli 1997 VIII R 56/93, BFHE 183, 518, BStBl II 1998, 152). Im Streitfall ist dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2. Juni 2004 nicht zu entnehmen, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bezüglich der vom Gericht überreichten Aufstellungen über Heimfahrten und Belege eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 1351814 |
BFH/NV 2005, 1296 |