Entscheidungsstichwort (Thema)
Gegenvorstellung
Leitsatz (NV)
Die Gegenvorstellung gegen einen nach übereinstimmender Erledigung der Hauptsache ergangenen Kostenbeschluß hat jedenfalls dann keinen Erfolg, wenn bei der Kostenentscheidung der Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verletzt worden ist.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Tatbestand
Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) stellte bei dem Finanzgericht (FG) den Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, dem Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) zu untersagen, die Zwangsvollstreckung in Höhe eines bestimmten Betrages an Umsatzsteuer zu betreiben. Das FG wies den Antrag als unzulässig mit der Begründung ab, mit Vollstreckungsmaßnahmen des FA sei nicht mehr zu rechnen, nachdem dieses durch Abrechnungsbescheid . . . die Restschuld für den streitigen Zeitraum mit null DM festgestellt habe; eine Umstellung des Antrags mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der bisherigen Vollstreckungsmaßnahmen sei weder vom Antragsteller vorgenommen worden noch im Verfahren nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig.
Gegen diesen Beschluß legte der Antragsteller Beschwerde ein mit dem Antrag, die Vorentscheidung aufzuheben. Zur Begründung trug er u. a. vor, das FG habe sein Recht auf Gehör dadurch verletzt, daß der Vorsitzende des Senats einen dann nicht durchgeführten Erörterungstermin in Aussicht gestellt habe, so daß für ihn, den Antragsteller, kein Anlaß zur Abgabe prozessualer Erklärungen bestanden habe. Das FG half der Beschwerde u. a. mit der Begründung nicht ab, dem Antragsteller sei nicht zugesagt worden, vor Erlaß des Beschlusses einen Erörterungstermin durchzuführen. Dem Antragsteller wurde auf seinen Antrag Akteneinsicht gewährt. Das FA beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
Mit Schriftsatz . . . erklärte der Antragsteller die Hauptsache für erledigt. Mit Schriftsatz . . . teilte das FA mit: ,,In dem oben genannten Rechtsstreit erkläre ich den Streit in der Hauptsache für erledigt. Es wird beantragt, dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Der Unterzeichner hat die Befähigung zum Richteramt." Dieses Schreiben des FA wurde dem Antragsteller zusammen mit dem Beschluß des Senats . . . zur Kenntnis übersandt.
Mit dem letztgenannten Beschluß erlegte der Senat die Kosten des in der Hauptsache erledigten gesamten Verfahrens dem Antragsteller auf. Zur Begründung führte er u. a. aus, dies entspreche billigem Ermessen (§ 138 Abs. 1 FGO), da der Antragsteller nach dem bisherigen Sach- und Streitstand vermutlich unterlegen wäre. Er habe das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i. S. des § 114 FGO nicht glaubhaft gemacht. Der Einwand, das FG habe die Pflicht verletzt, rechtliches Gehör zu gewähren, hätte der Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen können (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. September 1976 I B 113/75, BFHE 120, 134, BStBl II 1977, 83).
Mit Schreiben . . . erhob der Antragsteller ,,Gegenvorstellung" mit dem Antrag, den Beschluß dahingehend zu ändern, daß dem FA die Kosten des in der Hauptsache erledigten gesamten Verfahrens auferlegt werden, hilfsweise, ihn von sämtlichen Gerichtskosten freizustellen, die bei Rücknahme seiner Anträge nicht entstanden wären. Zur Begründung führt der Antragsteller im wesentlichen aus: Es werde die Verletzung u. a. der Art. 1, 2, 3, 14, 19 Abs. 4, 103 des Grundgesetzes (GG) gerügt. Dem Beschluß des BFH liege eine ihm, dem Antragsteller, erstmals mit diesem Beschluß zur Kenntnis gegebene Erledigungserklärung des FA zugrunde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gewährleiste die Gelegenheit, sich grundsätzlich zu jeder dem Gericht zur Entscheidung unterbreiteten Stellungnahme der Gegenseite zu äußern. Angesichts seiner Kenntnis von der einseitigen Erledigungserklärung und dem Abweisungsantrag des FA hätte es zu einer für ihn obsiegenden Entscheidung kommen müssen, ohne daß weiterer Vortrag zur Begründetheit erforderlich gewesen wäre. Ihm sei durch die verspätete Übersendung der Erledigungserklärung des FA jede Möglichkeit genommen worden, sich auf die veränderte prozessuale Situation einzustellen. Wäre ihm die Erledigungserklärung rechtzeitig zur Kenntnis gebracht worden, so hätte er die Beschwerde zurücknehmen können. Hierdurch wären weitere Kosten vermieden worden. Darüber hinaus stehe die Begründung des Beschlusses nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Das FG habe unter Verletzung des rechtlichen Gehörs den Antrag aus rein prozessualen Gründen abgewiesen. Die Sachverhaltsdarstellung im Beschluß . . . hinsichtlich der der Zwangsvollstreckung zugrunde liegenden angeblichen Forderungen des FA sei unrichtig. Auch insoweit sei sein Vortrag nicht zur Kenntnis genommen, nicht gewürdigt und nicht berücksichtigt und auch damit rechtliches Gehör verletzt worden. Insbesondere habe der Senat nicht zur Kenntnis genommen, daß das FA trotz geleisteter Zahlung vollstreckt habe.
Entscheidungsgründe
Die Gegenvorstellung des Antragstellers hat keinen Erfolg.
Die FGO sieht - wie auch die anderen Verfahrensgesetze - den Rechtsbehelf der Gegenvorstellung nicht vor. Gleichwohl ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, daß eine Gegenvorstellung in bestimmten Ausnahmefällen zu einer Änderung formell rechtskräftiger gerichtlicher Entscheidungen führen kann (vgl. z. B. Thomas / Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 15. Aufl., Vorm. III. 2. vor § 567 ZPO, m. w. N.). Voraussetzung hierfür ist stets, daß das Gericht rechtlich zur Abänderung seiner Entscheidung befugt ist (BFH-Beschlüsse vom 19. Juni 1979 VII R 79-80/78, BFHE 128, 32, BStBl II 1979, 574; vom 18. März 1988 V K 1/88, BFHE 152, 426, 428, BStBl II 1988, 586). Diese Befugnis besteht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, wenn die Entscheidung auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht (vgl. Beschluß des BVerfG vom 8. Juli 1986 2 BvR 152/83, BVerfGE 73, 322, 326 ff., mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts). Der BFH hat sich bisher dieser Rechtsprechung nicht ausdrücklich angeschlossen (vgl. Beschlüsse vom 27. März 1986 I E 1/86, BFH/NV 1986, 483; vom 22. Oktober 1986 II B 144/86, BFH/NV 1987, 378; vom 1. Juli 1987 II B 30/87, BFH/NV 1988, 42; vom 30. Januar 1990 VIII S 15/89, BFH/NV 1990, 719, und vom 10. April 1990 IV S 4/89, IV B 88/89, BFH/NV 1990, 724). Auch die vorliegende Gegenvorstellung gibt keinen Anlaß, diese Frage grundsätzlich zu entscheiden. Denn eine Verletzung des Rechts des Antragstellers auf Gehör, die zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung des Senats führen müßte, liegt nicht vor.
Der Senat läßt unerörtert, ob die Gegenvorstellung schon deswegen unstatthaft ist, weil die erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht den an sie zu stellenden formellen Anforderungen entspricht (zu diesen Anforderungen vgl. Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rdnr. 13). Denn nach allgemeiner Meinung muß nicht in jedem Fall der Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs die betroffene Entscheidung aufgehoben werden. Handelt es sich um einen einzelnen Gesichtspunkt, auf den es unter keinen Umständen ankommen kann, so bedeutete die Aufhebung nur eine nicht vertretbare Förmelei (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 119 Rdnr. 14, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung). So aber liegt es hier.
Die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten sind prozessuale Wirkungshandlungen, die den Prozeß in der Hauptsache beenden; nach Eingang beider Erledigungserklärungen ist daher ein Widerruf der Erklärungen nicht mehr statthaft (vgl. BFH-Urteil vom 9. März 1972 IV R 170/71, BFHE 105, 3, BStBl II 1972, 466). Ist eine Erledigungserklärung nicht mehr widerrufbar, so kann auch die Klage nicht mehr zurückgenommen werden (vgl. Gräber / Ruban, a. a. O., § 138 Rdnr. 16, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung und Literatur). Der Hinweis des Antragstellers, daß er seine Beschwerde hätte zurücknehmen können, wenn er vor der Entscheidung des Senats von der Erledigungserklärung des FA erfahren hätte, geht also fehl. Auch sonst ist kein durch die Kenntnisnahme von der schlichten Erledigungserklärung des FA veranlaßtes mögliches Vorbringen des Antragstellers ersichtlich, das zu einer anderen Entscheidung des Senats hätte führen können. In dieser hat der Senat nach § 138 Abs. 1 FGO nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens entschieden und diese Kosten dem Antragsteller mit der Begründung auferlegt, dieser habe das Vorliegen eines Anordnungsgrundes i. S. des § 114 FGO nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Auf diesen Mangel hatte das FA bereits hingewiesen, und der Antragsteller hatte dazu vor Erlaß der Beschwerdeentscheidung Stellung genommen. Auch in der Begründung seiner Gegenvorstellung hat der Antragsteller nicht vorgetragen, er sei wegen der Nichtbekanntgabe der Erledigungserklärung des FA gehindert gewesen, zu dieser Frage ausreichend Stellung zu nehmen. Soweit er geltend macht, er hätte Gelegenheit genommen, den Senat noch einmal auf den vorgebrachten und glaubhaft gemachten Grund der ,,drohenden Gewalt" hinzweisen, hätte dies nicht zu einer anderen Kostenentscheidung führen können. Denn das bisherige Vorbringen des Antragstellers hat der Senat bereits in der Kostenentscheidung berücksichtigt. Die Rüge des Antragstellers, der Senat habe seine Ausführungen im Beschwerdeverfahren nicht zur Kenntnis genommen und nicht ausreichend erwogen, entspricht nicht den Tatsachen. Die weiteren Rügen des Antragstellers sind keine solchen, die eine statthafte Gegenvorstellung begründen könnten. Das gilt auch für die Rüge, das FG habe das Recht des Antragstellers auf Gehör verletzt, die überdies, wie im Senatsbeschluß dargelegt, keinen Erfolg haben konnte.
Der Antragsteller hat mit der Gegenvorstellung einen Antrag auf Gewährung von Akteneinsicht mit der Begründung gestellt, es solle dadurch geklärt werden, was das FA dazu bewogen habe, seinerseits eine Erledigungserklärung abzugeben. Diese Klärung kann unter keinem Gesichtspunkt für den Erfolg der Gegenvorstellung von Bedeutung sein. Der Senat hielt es daher für zweckmäßig, unabhängig von der Frage der Akteneinsicht über die Gegenvorstellung zu entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 417767 |
BFH/NV 1992, 392 |