Entscheidungsstichwort (Thema)
Formfreiheit eines Terminaufhebungs- beziehungsweise -verlegungsantrags
Leitsatz (NV)
Wird ein Terminaufhebungs- oder -verlegungsantrag schriftlich gestellt, ist er nicht formunwirksam, wenn er nicht über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach elektronisch beim Gericht eingereicht wird.
Normenkette
FGO § 155 S. 1, §§ 52d, 52a; ZPO § 227
Verfahrensgang
FG Baden-Württemberg (Urteil vom 16.02.2023; Aktenzeichen 7 K 1251/22) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 16.02.2023 - 7 K 1251/22 aufgehoben.
Die Sache wird an das Finanzgericht Baden-Württemberg zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.
Tatbestand
I.
Rz. 1
Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrten im finanzgerichtlichen Verfahren den Erlass von Säumniszuschlägen zur Einkommensteuer für mehrere Streitjahre. Der Kläger ist Steuerberater.
Rz. 2
Am 13.02.2023 beantragte er per Telefax, den vom Finanzgericht (FG) auf den 16.02.2023 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben beziehungsweise zu verlegen. Unter Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führte er aus, er sei alleiniger Sachbearbeiter bei der prozessbevollmächtigten Steuerberatungsgesellschaft und krankheitsbedingt verhindert.
Rz. 3
Nachdem das FG die Steuerberatungsgesellschaft unter Verweis auf § 52d i.V.m. § 52a der Finanzgerichtsordnung (FGO) darauf hingewiesen hatte, dass der Terminaufhebungs- beziehungsweise -verlegungsantrag per Telefax nicht formgerecht eingereicht worden sei, lehnte es den Antrag mit richterlicher Verfügung vom 15.02.2023 ab. Zur Begründung führte es aus, ungeachtet der Vorlage einer bloß formularmäßig unsubstantiierten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei der "Antrag" unwirksam und unbeachtlich, da er nicht über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) eingereicht worden sei.
Rz. 4
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.02.2023 erschien für die Klägerseite niemand. Das FG hat die Klage abgewiesen.
Rz. 5
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügen die Kläger die Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 6
Die Beschwerde ist begründet.
Rz. 7
1. Das FG hat den Anspruch der Kläger auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO und Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes) verletzt, indem es am 16.02.2023 in Abwesenheit der Kläger mündlich verhandelt und auf der Grundlage dieser mündlichen Verhandlung in der Sache entschieden hat, obwohl die Kläger gemäß § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 der Zivilprozessordnung (ZPO) am 13.02.2023 einen formwirksamen Terminänderungsantrag gestellt hatten, den das FG verfahrensfehlerhaft, nämlich ohne vorherige Nachfrage, abgelehnt hat.
Rz. 8
a) Das FG hat die Ablehnung des Antrags auf Terminverlegung kumulativ begründet mit der Formunwirksamkeit des "Antrags" einerseits und der fehlenden Glaubhaftmachung des Verhinderungsgrunds andererseits. Beide Begründungen sind verfahrensfehlerhaft und tragen die Ablehnung des Antrags nicht.
Rz. 9
b) Die Kläger haben den Antrag auf Terminänderung am 13.02.2023 per Telefax formwirksam gestellt. Die Einreichung als elektronisches Dokument über das beSt gemäß § 52d Satz 2 i.V.m. § 52a FGO war nicht erforderlich.
Rz. 10
Nach § 52d Satz 1 FGO sind vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt, durch eine Behörde oder durch eine juristische Person des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihr zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Gleiches gilt nach § 52d Satz 2 FGO für die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 zur Verfügung steht. Zum Personenkreis des § 52d Satz 2 FGO gehört auch die Prozessbevollmächtigte der Kläger.
Rz. 11
aa) Der Antrag auf Terminänderung ist kein vorbereitender Schriftsatz im Sinne von § 52d Satz 1 FGO, der als elektronisches Dokument zu übermitteln ist. Vorbereitende Schriftsätze dienen der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 FGO). Für deren möglichen und erforderlichen Inhalt können grundsätzlich (über § 155 Satz 1 FGO) die §§ 129, 130 ZPO herangezogen werden (vgl. Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 77 FGO Rz 34). Ein Terminänderungsantrag fällt nicht unter diese Regelungen, da er nicht der inhaltlichen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung dient. Er betrifft allein die Verfahrensfrage, ob und zu welchem Zeitpunkt die mündliche Verhandlung stattfindet.
Rz. 12
bb) Bei dem Antrag auf Terminänderung handelt es sich auch nicht um einen schriftlich einzureichenden Antrag im Sinne von § 52d Satz 1 i.V.m. § 52a FGO. § 155 Satz 1 FGO i.V.m. § 227 ZPO normiert kein Schriftformerfordernis. Ein solcher Antrag muss daher nicht schriftlich eingereicht werden, sondern kann zum Beispiel auch telefonisch gestellt werden (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10.04.2007 - XI B 58/06, BFH/NV 2007, 1672, unter II.2.a [Rz 14]; vom 05.05.2020 - III B 158/19, BFH/NV 2020, 905, Rz 13 f.; zu § 227 ZPO Zöller/Feskorn, ZPO, 35. Aufl., § 227 Rz 24).
Rz. 13
cc) Die Frage, ob bestimmende Schriftsätze von der Pflicht zur elektronischen Übermittlung nach § 52d FGO erfasst sind (vgl. hierzu das beim BFH anhängige Revisionsverfahren VI R 13/23), ist im Streitfall nicht zu klären, da der Terminänderungsantrag kein bestimmender Schriftsatz ist. Durch einen bestimmenden Schriftsatz wird eine für das Verfahren wesentliche Prozesshandlung vollzogen (vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 30.04.1979 - GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, unter III.2.b [Rz 18]). Hierzu gehören insbesondere die das Verfahren einleitenden beziehungsweise beendenden Schriftsätze sowie alle Schriftsätze mit sonstigen Prozesserklärungen (zum Beispiel der Verzicht auf mündliche Verhandlung). Der Terminänderungsantrag fällt nicht hierunter.
Rz. 14
dd) Es kann offenbleiben, ob der Gesetzgeber in den sachlichen Anwendungsbereich von § 52d Satz 1 FGO auch Terminänderungsanträge fassen wollte. Denn die in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 17/12634, S. 27, zu § 130d ZPO) möglicherweise zum Ausdruck kommende Vorstellung, die Regelung gelte für alle Schriftsätze, Anträge und Erklärungen, findet sich im Gesetzeswortlaut so nicht hinreichend wieder (vgl. zur Parallelnorm § 65d Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes Beschluss des Bundessozialgerichts vom 27.09.2022 - B 7 AS 60/22 B, juris, Rz 9). Die ausdrückliche Aufzählung der "schriftlich einzureichenden" Erklärungen und Anträge in § 52d FGO verbietet jedenfalls ein Normverständnis, wonach ein Antrag wie der Terminänderungsantrag, der grundsätzlich auch telefonisch gestellt werden kann, § 52d Satz 1 FGO dann unterfällt, wenn er schriftlich gestellt wird. Eine Gleichsetzung von "schriftlich einzureichenden" Anträgen mit "schriftlich eingereichten" Anträgen ist im Wege der Auslegung nicht möglich.
Rz. 15
c) Das FG durfte den Antrag auch nicht ohne Weiteres ablehnen. Wenn es der Auffassung war, dass der Kläger einen Verhinderungsgrund mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Angaben zur Art der Erkrankung noch nicht ausreichend dargelegt beziehungsweise glaubhaft gemacht hatte, hätte es ihn im Zweifel zur Ergänzung seines Vortrags und gegebenenfalls zur weiteren Glaubhaftmachung der Erkrankung auffordern müssen (§ 227 Abs. 2 ZPO, vgl. BFH-Beschluss vom 21.04.2023 - VIII B 144/22, BFH/NV 2023, 859, Rz 7, für einen am Vortag gestellten Antrag). Das gilt jedenfalls wenn der Antrag auf Terminverlegung --wie hier-- mehrere Tage vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird. Erhöhte Anforderungen an die (sofortige) Darlegung und Glaubhaftmachung von Verhinderungsgründen gelten nach ständiger Rechtsprechung nur für Terminverlegungsanträge, die quasi "in letzter Minute" gestellt werden (vgl. BFH-Beschluss vom 22.03.2022 - VIII B 49/21, BFH/NV 2022, 608, Rz 5).
Rz. 16
2. Das FG-Urteil ist als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen (§ 119 Nr. 3 FGO). Hat das FG einen Terminverlegungsantrag verfahrensfehlerhaft abgelehnt und führt es gleichwohl die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Antragstellers durch, betrifft dieser Mangel das Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. BFH-Beschluss vom 21.04.2023 - VIII B 144/22, BFH/NV 2023, 859, Rz 7).
Rz. 17
3. Der Senat hält es für geboten, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO).
Rz. 18
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 2 FGO.
Fundstellen
Haufe-Index 16257211 |
BFH/NV 2024, 767 |
DStR 2024, 10 |