Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensrecht/Abgabenordnung Berufsrecht Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Das Revisionsgericht ist zur Entscheidung über einen Antrag auf Nichterhebung von Gerichtskosten (§ 7 GKG) jedenfalls dann zuständig, wenn es noch mit der Hauptsache befaßt ist. Das ist auch der Fall, wenn die Revision zurückgenommen und im selben Schriftsatz der Antrag nach § 7 GKG gestellt wird.
Zur Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG genügt in der Regel nicht, daß eine materiellrechtliche oder verfahrensrechtliche Frage zweifelhaft ist.
Bei der nach § 7 GKG zu treffenden Ermessensentscheidung ist auch zu berücksichtigen, ob der Rechtsbehelfsführer durch Wahl einer rechtlich schwierig einzuordnenden Rechtsform (hier der GmbH & Co. KG) selbst zur Ungewißheit über einen zu ergreifenden Rechtsbehelf beigetragen hat.
Normenkette
FGO § 140; GKG §§ 4, 7
Tatbestand
Zu entscheiden ist über einen Antrag auf "Erlaß" von Rechtsmittelkosten.
Die Revisionsklägerin, eine GmbH & Co KG, legte Revision gegen das Urteil des FG ein. Streitig waren noch folgende Punkte.
Die Revisionsklägerin zahlte im Streitjahr 1962 an die GmbH, ihre Komplementärin und Geschäftsführerin, neben einem festen Geschäftsführergehalt eine nachträglich beschlossene Tantieme. Die GmbH gab diese - wie auch das Gehalt - an ihre beiden Gesellschafter, die auch die alleinigen Kommanditisten der Revisionsklägerin waren, weiter. FA und FG waren der Ansicht, es handle sich um eine unzulässige rückwirkende änderung der Gewinnverteilung, die den unter die Gesellschafter der KG zu verteilenden Gewinn nicht mindern dürfe.
Der nach Abzug der Geschäftsführervergütung und der Verzinsung der Kapitalkonten verbleibende Gewinn der KG sollte nach dem Gesellschaftsvertrag nach Köpfen aufgeteilt werden. Das FA erkannte nur eine Verteilung nach dem Verhältnis der festen Kapitalkonten an, das FG gab zum Teil der KG recht.
Die Revisionsklägerin nahm die Revision zurück. Sie beantragte gleichzeitig "den Erlaß der Rechtsbehelfskosten", da die Revision wegen der Unübersichtlichkeit des Verfahrensweges durch die Neuordnung der FGe vorsorglich eingelegt habe werden müssen. Sie hatte bereits vorher erklärt, es laufe gleichzeitig - noch beim FG - eine Körperschaftsteuersache der GmbH. Beide Sachen hingen zusammen. Die Entscheidung in der Körperschaftsteuersache verzögere sich, weil das FG Stuttgart funktionsunfähig sei. Später teilte sie mit, sie habe bei einer Rücksprache mit dem FA nicht klären können, ob in der Weise verfahren werden könne und müsse, daß bei der einheitlichen Feststellung des Gewinns die vom FG festgesetzten Gewinnanteile angesetzt würden, darüber hinaus aber weder bei der Körperschaftsteuerveranlagung der GmbH noch bei der Einkommensteuerveranlagung der Kommanditisten verdeckte Gewinnausschüttungen anzusetzen seien. Die Unklarheit rühre daher, daß ursprünglich nach der vor Inkrafttreten der FGO geltenden Geschäftsverteilung in zwei Verfahren, und zwar beim Einkommensteuersenat und beim Körperschaftsteuersenat, im vorliegenden Rechtsstreit habe entschieden werden sollen. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1966 habe jedoch der Körperschaftsteuersenat mitgeteilt, daß über Fragen der Gewinnverteilung zwischen der Komplementärin und den Kommanditisten sowie über Gewinnanteile in Form von Tätigkeitsvergütungen der Gesellschafter-Geschäftsführer abschließend und endgültig im Verfahren über die einheitliche Gewinnfeststellung der KG entschieden werde und sich diese Fragen bei der Körperschaftsteuerveranlagung der GmbH nicht mehr stellten. Wenn das zutreffe und also in den zu ändernden Einkommensteuer- und Körperschaftsteuerbescheiden keine verdeckten Gewinnausschüttungen anzusetzen seien, liege kein Grund mehr vor, die Revision in dieser Sache aufrechtzuerhalten.
Entscheidungsgründe
Da nach Inkrafttreten der FGO die Vorschrift des § 319 AO a. F. nicht mehr anwendbar ist (vgl. den Beschluß des BFH V 8/64 vom 7. Juli 1966, BFH 86, 502, BStBl III 1966, 565, und das BFH-Urteil I 116/65 vom 11. Januar 1967, BFH 88, 39, BStBl III 1967, 274), kommt für einen Erlaß der Gerichtskosten nur § 7 des Gerichtskostengesetzes (GKG) in Verbindung mit § 140 Abs. 1 FGO in Betracht.
Der Senat ist zur Entscheidung über den Antrag zuständig.
Bei der Frage der Nichterhebung von Gerichtskosten im Sinne des § 7 GKG handelt es sich um eine in das Kostenansatzverfahren gehörende Frage (vgl. hierzu den BFH-Beschluß III B 8/66 vom 24. Februar 1967, BFH 88, 276, BStBl III 1967, 369, mit weiteren Nachweisen). Zuständig ist für die Entscheidung "das Gericht" (§ 7 Abs. 2 Satz 1 GKG). Nach allgemeiner Ansicht ist damit das Gericht gemeint, das in dem das Kostenansatzverfahren betreffenden § 4 GKG näher bezeichnet ist (Baumbach-Lauterbach, Kostengesetze, § 7 GKG, Anm. 5 a, § 4 GKG, Anm. 3 A; Drischler, Gerichtskostengesetz, § 7, Anm. 8, § 4, Anm. 12; Mielke, Gerichtskostengesetz, § 7, Anm. 7; Markl, Gerichtskostengesetz, § 7 Anm. 10). Nach Abs. 1 Satz 1 dieser Vorschrift entscheidet über Erinnerungen gegen den Kostenansatz "das Gericht der Instanz". Dieses kann seine Entscheidung jederzeit von Amts wegen ändern (§ 4 Abs. 1 Satz 3 GKG). Schwebt das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz, so steht die änderungsbefugnis auch dem Rechtsmittelgericht zu (§ 4 Abs. 1 Satz 4 GKG).
Im einzelnen ergeben sich aus dieser Regelung viele Streitfragen. Sie ist fraglich, was als "Gericht der Instanz" anzusehen ist, ob es sich dabei um das Gericht handelt, durch dessen Kostenbeamten die Kosten anzusetzen sind, oder das Gericht, um dessen Kosten es geht, ferner ob ein Gericht der oberen Instanz auch bestimmen kann, daß Kosten der unteren Instanz nicht erhoben werden. Der Senat braucht hierauf im Rahmen dieser Entscheidung nicht einzugehen. Einhelligkeit besteht darüber, daß, falls schon ein Kostenansatz erfolgt ist, der Antrag nach § 7 GKG als Erinnerung im Sinne des § 4 GKG zu behandeln ist, und daß, falls noch kein Kostenansatz erfolgt ist, der Antrag nach § 7 GKG entsprechend den Vorschriften des § 4 GKG zu behandeln ist (siehe z. B. Markl, § 7, Anm. 10). Aus der Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 4 GKG (früher § 4 Abs. 1 Satz 2 GKG) schloß der BGH in den Urteilen, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 27 S. 163 - BGHZ 27, 163 - und Lindenmaier-Möhring, Nachschlagewerk des BGH, § 7 GKG Nr. 2, daß in einem über eine Revision befindenden Urteil gleichzeitig über die Nichterhebung von Kosten mit entschieden werden könne. Das geschah auch in den BFH-Urteilen II 177/62 vom 26. Januar 1966, BFH 85, 196, BStBl III 1966, 282, und I 116/65. Auch für den Fall, daß während des Revisionsverfahrens die Klage oder die Revision zurückgenommen wurde und gleichzeitig ein Antrag auf Nichterhebung von Anwaltskosten gestellt war, bejahte der BFH seine Zuständigkeit in den unveröffentlichten Beschlüssen IV R 208/66 vom 20. Dezember 1966 und VII 126/65 vom 17. Februar 1967.
Die Bejahung der Zuständigkeit des Senats ist sachgerecht. Das gerade mit der Sache befaßte Gericht vermag am besten zu beurteilen, ob - jedenfalls soweit es sich um die Kosten seiner Instanz handelt - die Voraussetzungen des § 7 GKG (unrichtige Sachbehandlung, Terminverlegung, Vertagung, unverschuldete Unkenntnis) vorliegen. § 4 Abs. 1 Satz 4 GKG räumt dem gerade (mit den dort aufgezählten Fragen) befaßten Gericht sogar die Befugnis ein, von Amts wegen frühere Entscheidungen im Kostenansatzverfahren zu ändern.
Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob angenommen werden kann, daß ein Verfahren im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 4 GKG noch "schwebt", wenn der Antrag nach § 7 GKG erst gestellt wird, nachdem die Revision oder die Klage bereits zurückgenommen oder das Revisionsurteil ergangen ist, oder ob man, falls man in diesen Fällen eine Zuständigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 4 GKG verneinte, schon zu einer Zuständigkeit nach § 4 Abs. 1 Satz 1 GKG ("Gericht der Instanz") käme. (Der erkennende Senat bejahte in dem unveröffentlichten Beschluß IV 315/64 vom 24. Januar 1967 ebenso wie der V. Senat in dem Beschluß V 8/64 und den unveröffentlichten Beschlüssen V R 112/66 vom 13. Dezember 1966 und V 200/64 vom 2. Februar 1967 und ebenso wie das Kammergericht, Juristische Wochenschrift 1937, 1670, ohne nähere Begründung seine Zuständigkeit auch für diese Fälle.) Jedenfalls schwebt in dem Augenblick, in dem der die Revisionsrücknahme und den gleichzeitigen Antrag nach § 7 GKG enthaltende Schriftsatz eingeht, noch die Revision. Bei der Klagerücknahme ergibt sich das schon aus dem Umstand, daß das Verfahren eines besonderen Abschlusses durch einen Einstellungsbeschluß bedarf (§§ 72 Abs. 2 Satz 2, 121 FGO). Im Falle der Revisionsrücknahme ist ein Einstellungsbeschluß zwar nicht erforderlich (BFH-Beschluß VI R 107/66 vom 20. September 1966, BFH 86, 811, BStBl III 1966, 680), doch ist auch hier noch ggf. die Einholung der Einwilligung des Revisionsbeklagten, jedenfalls aber die Prüfung erforderlich, ob die Rücknahme wirksam erklärt und eine Einwilligung erforderlich ist. Gerade wenn eine Revision zurückgenommen wird, ist der BFH am ehesten in der Lage zu beurteilen, ob ihre Einlegung entschuldbar war.
Der Senat ist durch den Beschluß des III. Senats des BFH III B 8/66 an seiner Entscheidung nicht gehindert. Der III. Senat hatte nicht zu prüfen und prüfte auch nicht, ob (auch) die Zuständigkeit des BFH für die Anordnung der Nichterhebung von Kosten gegeben ist. Er bejahte lediglich in einem Beschwerdeverfahren gegen eine die Nichterhebung ablehnende Entscheidung des FG, daß das FG zuständig gewesen sei, und zwar auch, soweit es sich um die Kosten des Revisionsverfahrens gehandelt hat.
Der Antrag ist indessen sachlich nicht begründet. Im Falle der Rücknahme eines Rechtsmittels kann von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn die Einlegung des Rechtsmittels auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht (§ 7 Abs. 1 GKG). Der V. und der III. Senat des BFH sprachen in den Beschlüssen V 8/64 und III B 8/66 wie auch das FG Düsseldorf, Entscheidungen der Finanzgerichte 1967 S. 413 (EFG 1967, 413) mit Recht aus, daß die Voraussetzungen des § 7 GKG in der Regel nicht gegeben sind, wenn lediglich die Rechtslage zweifelhaft ist und das Rechtsmittel in Kenntnis der Zweifelhaftigkeit eingelegt wurde. Es gehört zum normalen Risiko eines Rechtsbehelfsführers, daß er bei zweifelhaften Fragen entweder unterliegt oder dem Unterliegen durch eine Rücknahme, die übrigens meist mit einer Ermäßigung der Gerichtsgebühren um die Hälfte verbunden ist (§ 141 Satz 2 FGO), zuvorkommt und deshalb Kosten zu tragen hat. Würde man in solchen Fällen § 7 Abs. 1 Satz 3 GKG anwenden, so würde man fast immer dieses Prozeßrisiko auf die Allgemeinheit abwälzen.
Diese Erwägungen müssen grundsätzlich auch gelten, wenn sich die Ungewißheit auf verfahrensrechtliche Fragen bezieht. Denn auch die Frage, welcher Rechtsbehelf in der jeweiligen Situation der richtige ist, ist in erster Linie im Verantwortungsbereich des Angreifers zu klären. Auch hier kann nicht das Risiko falscher persönlicher Entscheidungen auf den Staat abgewälzt werden. Ob hiervon bei ungewöhnlichen, das Verfahrensrecht beeinträchtigenden Situationen Ausnahmen zu machen sind, braucht der Senat im vorliegenden Falle nicht zu entscheiden; denn derartige außergewöhnliche Umstände liegen nicht vor, insbesondere ist durch die Neuordnung der Finanzgerichtsbarkeit die Rechtslage in den hier fraglichen Punkten nicht verändert worden.
Die Revisionsklägerin war im Zweifel, ob sie ihre Einwendungen gegen die Besteuerung der Gewinne der GmbH & Co KG im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung oder in den Körperschaftsteuer und Einkommensteuerverfahren geltend machen mußte. Diese Frage mag nicht einfach zu beantworten sein. Derartige Probleme ergeben sich aber öfter. Was insbesondere das steuerliche Verfahren anbetrifft, so tritt das Problem bei Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung einerseits und dem Einkommensteuerveranlagungsverfahren andererseits, bei der Einheitswertfeststellung einerseits und den Veranlagungsverfahren andererseits und bei der einheitlichen Gewinnfeststellung einerseits und dem Gewerbesteuermeßbetragsverfahren andererseits häufig auf. Die Revisionsklägerin war sich dieser Problematik durchaus bewußt. Ob sie nur ein Rechtsmittel oder mehrere einlegen mußte und inwieweit sie hierbei lieber das Risiko eines möglichen endgültigen Rechtsverlustes oder aber lieber das Risiko einer evtl. vermeidbaren Kostenbelastung eingehen wollte, mußte sie entscheiden. Ungünstige Auswirkungen ihrer Entscheidung konnte sie aber nicht auf die Allgemeinheit abwälzen.
Dieser Gesichtspunkt reicht allein aus, den Antrag als unbegründet erscheinen zu lassen. Es kommt aber hier hinzu, daß die Entscheidung nach § 7 GKG eine Ermessensentscheidung darstellt (BFH-Beschluß III B 8/66). Im Rahmen der Ausübung des Ermessens kann aber die Erwägung nicht unbeachtet bleiben, daß die Revisionsklägerin selbst die Rechtsform einer GmbH & Co KG gewählt hat, die, wie allgemein bekannt ist, wegen ihrer eigenartigen, zwischen den Kapitalgesellschaften und den Personengesellschaften liegenden Rechtsform stets neue Probleme auftauchen läßt. In einem solchen Falle erscheint es nicht unbillig, daß sie die kostenrechtlichen Folgen, die sich aus der mit der GmbH & Co KG verbundenen Problematik ergeben, selbst zu tragen hat.
Die Entscheidung ergeht nach § 140 Abs. 1 FGO, § 4 Abs. 1 Satz 2 GKG gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen
Haufe-Index 412748 |
BStBl III 1967, 614 |
BFHE 1967, 260 |
BFHE 89, 260 |