Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen einer Terminverlegung
Leitsatz (NV)
1. Durch die ungerechtfertigte Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung oder Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wird das Recht auf rechtliches Gehör verletzt.
2. Die Durchführung der mündlichen Verhandlung stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs dar, wenn einem mit dem an der Terminwahrnehmung gehinderten Rechtsanwalt in Sozietät stehenden Rechtsanwalt genügend Zeit zur Einarbeitung in den Prozessstoff verbleibt.
3. Die bloße Wiedergabe von Entscheidungsgründen reicht für das für die Geltendmachung von Divergenz erforderliche Herausarbeiten der die jeweilige Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssätze nicht aus.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, §§ 155, 96 Abs. 2; ZPO § 227 Abs. 2
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 01.09.2004; Aktenzeichen 7 K 16/00) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres im April 2002 verstorbenen Ehemannes. Dieser betrieb im Streitjahr 1994 eine Werkstatt und einen Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen.
Im Jahr 1994 errichtete er auf der Grundlage einer am .. Dezember 1993 erteilten Baugenehmigung ein neues Geschäftsgebäude auf einem mit Vertrag vom .. November 1993 erworbenen Grundstück. Nach Fertigstellung vermietete er mit Mietvertrag vom Januar 1995 einen Teil des Gebäudes an eine Bank unter Verzicht auf die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 12 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG) und machte für das Jahr 1994 die im Zusammenhang mit der Errichtung des an die Bank vermieteten Gebäudeteils angefallene Vorsteuer geltend. Im Anschluss an eine beim Ehemann der Klägerin durchgeführte steuerliche Außenprüfung erkannte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) die auf den an die Bank vermieteten Gebäudeteil entfallenden Vorsteuerbeträge nicht an und änderte den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Umsatzsteuerbescheid 1994 entsprechend. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Nach Klageerhebung lehnte das Finanzgericht (FG) mit Verfügung vom 16. August 2004 den Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung ab, weil die zur Begründung des Antrags vorgetragene Verhinderung des Prozessbevollmächtigten nicht glaubhaft gemacht worden war. Mit Schriftsatz vom 18. August 2004 versicherte Rechtsanwalt A, sich in der Zeit der mündlichen Verhandlung im Urlaub zu befinden. Das FG lehnte den Antrag auf Terminverlegung gleichwohl ab. Ausweislich der Sitzungsniederschrift war die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 1. September 2004 durch Rechtsanwalt G vertreten.
Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung seiner Entscheidung führte es im Wesentlichen aus, der geltend gemachte Vorsteuerabzug habe dem Ehemann der Klägerin nicht zugestanden. Nach § 9 Abs. 2 UStG in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung durch das Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) sei der Verzicht auf die Steuerbefreiung der Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken (§ 4 Nr. 12 Buchst. a UStG) nur zulässig, soweit der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwende oder zu verwenden beabsichtige, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Da die Bank den Gebäudeteil für nach § 4 Nr. 8 UStG steuerfreie Umsätze verwende, scheide die Option zur Steuerpflicht folglich aus. Der Klägerin stehe daher nach § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG, § 9 Abs. 2 UStG nur dann der Vorsteuerabzug zu, wenn mit der Errichtung des Gebäudes vor dem 11. November 1993 begonnen worden sei. Das sei aber nicht der Fall gewesen.
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision macht die Klägerin sämtliche Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend.
Das Urteil des FG sei verfahrensfehlerhaft zustande gekommen. Dadurch, dass das FG es abgelehnt habe, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verschieben, habe es das Recht auf rechtliches Gehör verletzt. Sie, die Klägerin, sei deshalb nicht durch den eigentlich in die Sache eingearbeiteten Rechtsanwalt, sondern durch ein anderes Mitglied der beauftragten Sozietät vertreten worden. Das wiege besonders schwer, weil sie von den dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Vorgängen nur oberflächlich Kenntnis gehabt habe. Sie, die Klägerin, sei lediglich Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes, der mit dem Sachverhalt des Streitjahres befasst gewesen sei. Dadurch, dass nicht der eigentlich in den Prozessstoff eingearbeitete Rechtsanwalt habe tätig werden können, habe die Beweisaufnahme nicht ordnungsgemäß durchgeführt werden können.
Die Revision sei auch zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil die Frage, ob der Anspruch auf rechtliches Gehör durch die Ablehnung einer Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung im Falle der Verhinderung des in den Prozessstoff eingearbeiteten Rechtsanwalts verletzt werde, obergerichtlich noch nicht entschieden sei.
Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage in einer Vielzahl von Fällen auftrete. Es sei bei den Gerichten gängige Praxis, dass der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt, der nicht als Einzelanwalt tätig werde, darauf verwiesen werde, ein anderer Kollege könne zum Termin erscheinen, wenn er selbst verhindert sei.
Das Urteil des FG weiche außerdem von mehreren Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) und des Bundesfinanzhofs (BFH) ab und zwar von den EuGH-Urteilen vom 29. Februar 1996 C-110/94, INZO (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1996, 116), vom 15. Januar 1998 C-37/95, Ghent Coal Terminal NV (UR 1998, 149), vom 8. Juni 2000 C-400/98, Brigitte Breitsohl (BStBl II 2003, 452), vom 8. Juni 2000 C-396/98, Grundstücksgemeinschaft Schlossstraße (BStBl II 2003, 446) sowie vom Urteil des BFH vom 22. Februar 2001 V R 77/96 (BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426).
Im vorliegenden Fall gehe "… es ebenfalls um die Frage, ob Vorbereitungshandlungen des Rechtsvorgängers der Klägerin ausreichend waren, um als Steuerpflichtiger i.S.d. UStG anerkannt zu werden und damit zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein (geht), ob dieses Recht auch dann erhalten bleibt, wenn der Steuerpflichtige den Gegenstand oder die Dienstleistung zwar tatsächlich zur Ausführung von (Vermietungs-) Umsätzen verwendet, aber auf Grund einer Gesetzesänderung nach Bezug des Gegenstands/der Dienstleistung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung der damit ausgeführten Umsätze berechtigt ist, also tatsächlich keine steuerpflichtigen Umsätze ausführen kann und ob dies auch für den Fall gilt, in dem der Steuerbescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung steht". In beiden Fällen seien vor Gesetzesänderungen Investitionen im Hinblick auf die Ausführung steuerpflichtiger Umsätze getätigt worden.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt.
1. Die Klägerin rügt zu Unrecht das Vorliegen eines Verfahrensmangels. Verfahrensmängel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind Verstöße des FG gegen Vorschriften des Verfahrensrechts. Eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--, § 96 Abs. 2 FGO) begründet einen solchen Verfahrensmangel. Nach § 155 FGO, § 227 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann aus erheblichen Gründen eine mündliche Verhandlung aufgehoben oder verlegt werden. Durch die ungerechtfertigte Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung oder Verlegung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wird das Recht auf rechtliches Gehör verletzt (BFH-Beschluss vom 7. September 1999 IX B 96/99, BFH/NV 2000, 218).
Die erheblichen Gründe sind gemäß § 155 FGO, § 227 Abs. 2 ZPO auf Verlangen des Vorsitzenden glaubhaft zu machen. Die Behauptung urlaubsbedingter Abwesenheit ist keine Glaubhaftmachung in diesem Sinn, wenn nicht dargelegt wird, dass eine Terminwahrnehmung durch einen anderen in Sozietät oder Bürogemeinschaft mit dem Prozessbevollmächtigten stehenden Rechtsanwalt oder Steuerberater ebenfalls nicht in Betracht kommt (Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts --BVerwG-- vom 5. Dezember 1994 8 B 179/94, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, 310, § 108 VwGO Nr. 259; vgl. auch BVerwG-Urteil vom 9. Dezember 1983 4 C 44/83, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1984, 882).
An einer solchen Darlegung fehlt es, weil zwischen der Zustellung der Ladung am 11. August 2004 und dem Termin zur mündlichen Verhandlung am 1. September 2004 hinreichend Zeit für die sozietätsinterne Regelung der Urlaubsvertretung und die Einarbeitung in den Prozessstoff durch den Vertreter bestanden hat.
2. Die Sache hat insoweit auch weder grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) noch ist die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO). Durch die Entscheidungen des BVerwG (in Buchholz, 310, § 108 VwGO Nr. 259 und in NJW 1984, 882) ist geklärt, dass die Durchführung der mündlichen Verhandlung keinen Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs darstellt, wenn einem mit dem Prozessstoff vertrauten, aber an der Terminwahrnehmung verhinderten Rechtsanwalt in Sozietät stehender Rechtsanwalt genügend Zeit zur Einarbeitung in den Prozessstoff verbleibt. Eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH ist deshalb nicht erforderlich.
3. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des BFH zu der Frage erfordert, ob das Recht zum Vorsteuerabzug auch dann erhalten bleibt, wenn der Steuerpflichtige den Leistungsbezug zur Ausführung von Vermietungsumsätzen verwendet, aber aufgrund einer Gesetzesänderung nicht mehr zum Verzicht auf die Steuerbefreiung berechtigt ist. Eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung in diesem Sinne liegt vor, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem festgestellten Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Auffassung vertritt als der EuGH oder der BFH (BFH-Beschlüsse vom 16. Juni 2000 XI R 10/00, BFH/NV 2000, 1239; vom 15. Juni 2000 XI B 71/99, BFH/NV 2000, 1180). Das FG muss dabei seiner Entscheidung einen abstrakten Rechtssatz zugrunde gelegt haben, der mit den tragenden Rechtsausführungen in der Divergenzentscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschlüsse vom 27. April 1999 III B 43/98, BFH/NV 1999, 1477; vom 4. Mai 2000 I B 121/99, BFH/NV 2000, 1477; vom 8. Mai 2000 VIII B 78/99, BFH/NV 2000, 1201). Der Beschwerdeführer muss tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen FG-Urteil einerseits und aus der behaupteten Divergenzentscheidung des EuGH oder des BFH andererseits herausarbeiten und einander gegenüberstellen, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (BFH-Beschlüsse vom 28. April 1994 X B 313/93, BFH/NV 1995, 124; vom 29. November 2000 I B 8/00, BFH/NV 2001, 624). Hieran fehlt es. Die Klägerin hat aus den Urteilen des EuGH und des BFH keine Rechtssätze herausgearbeitet, sondern die Entscheidungen im Wortlaut in ihre Beschwerdebegründung aufgenommen. Die bloße Wiedergabe von Entscheidungsgründen reicht für das Herausarbeiten der die jeweilige Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssätze nicht aus. Auch aus den Entscheidungsgründen des FG hat die Klägerin keinen tragenden abstrakten Rechtssatz herausgearbeitet. Auch das wäre Voraussetzung für die Zulassung der Revision gewesen (vgl. BFH-Beschluss vom 16. November 1993 V B 78/93, BFH/NV 1994, 802).
Darüber hinaus steht das Urteil des FG nicht im Widerspruch zu den Urteilen des EuGH INZO in UR 1996, 116, Ghent Goal Terminal NV in UR 1998, 149, und Breitsohl in UR 2000, 330. In den genannten Entscheidungen des EuGH geht es um den Beginn der Unternehmereigenschaft und um die Frage, ob die Berechtigung zum Vorsteuerabzug auch besteht, wenn die bezogenen Lieferungen oder Leistungen nicht für Umsätze aus der beabsichtigten unternehmerischen Tätigkeit verwendet werden. Diese Fragen betreffen aber den vorliegenden Fall nicht, weil die Unternehmereigenschaft des Ehemannes der Klägerin nicht in Frage steht und er unstreitig (Vermietungs-)Umsätze ausgeführt hat.
Die tragenden Rechtssätze des FG stehen auch nicht im Widerspruch zum Urteil des EuGH, Grundstücksgemeinschaft Schlossstraße in BStBl II 2003, 446. Der EuGH hat darin entschieden, dass es die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit nicht zulassen, dem Steuerpflichtigen durch eine Gesetzesänderung, die zwischen dem Zeitpunkt, zu dem ihm Gegenstände oder Dienstleistungen im Hinblick auf die Ausübung bestimmter wirtschaftlicher Tätigkeiten geliefert bzw. erbracht wurden, und dem Zeitpunkt der Aufnahme dieser Tätigkeiten eingetreten ist, das Recht zu nehmen, auf die Mehrwertsteuerbefreiung für die damit bewirkten Umsätze zu verzichten und somit den Vorsteuerabzug dafür zu erlangen (EuGH in BStBl II 2003, 446 Rz. 43, 47).
Der vorliegende Fall betrifft aber Leistungsbezüge des Jahres 1994, also solche nach Inkrafttreten der Änderung des § 9 Abs. 2 UStG durch das StMBG am 1. Januar 1994. Aus denselben Gründen besteht auch kein Widerspruch zum Urteil des BFH in BFHE 194, 498, BStBl II 2003, 426, mit dem der Senat die Rechtsgrundsätze aus dem Urteil des EuGH Grundstücksgemeinschaft Schlossstraße in BStBl II 2003, 446 übernommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1626737 |
BFH/NV 2007, 67 |