Entscheidungsstichwort (Thema)
Sachaufklärungspflicht bei behauptetem Versöhnungsversuch
Leitsatz (NV)
Klagt ein Ehegatte auf Zusammenveranlagung, so ist der am Verfahren nicht beteiligte andere Ehegatte zur Frage eines das dauernde Getrenntleben unterbrechenden Versöhnungsversuches auch ohne förmlichen Beweisantrag als Zeuge zu vernehmen, wenn er dem FA einen Versöhnungsversuch mitgeteilt hatte.
Normenkette
EStG § 26; FGO § 76 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurde nach jahrzehntelanger Ehe durch Urteil vom 6. Dezember 1990 geschieden. Nachdem seine geschiedene Ehefrau zunächst erklärungsgemäß für 1990 einzeln zur Einkommensteuer veranlagt worden war, führte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) auf die gemeinsame Einkommensteuererklärung der geschiedenen Eheleute hin eine gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO 1977) unter Nachprüfungsvorbehalt gestellte Zusammenveranlagung durch.
Nach einer Betriebsprüfung beim Kläger wurde er vom FA einzeln veranlagt.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, der Kläger trage für den behaupteten Versöhnungsversuch die objektive Beweislast. Der Nachweis sei nicht erbracht worden. Die Behauptung des Klägers, er habe im Januar und Februar 1990 für zwei bis drei Wochen zumindest an den Wochenenden bei seiner Frau gewohnt, sei zwar möglich, aber trotz intensiver Nachfrage nicht durch objektive Anhaltspunkte belegt. Der Kläger habe insbesondere nicht glaubhaft machen können, dass er nicht nur bei seiner Frau übernachtet, sondern mit ihr im Januar und Februar 1990 mit dem Ziel zusammen gelebt habe, die vorangegangene Trennung rückgängig zu machen und die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft auf Dauer wiederherzustellen. Er habe außer den Söhnen, deren Vernehmung nicht beantragt worden sei, keine Zeugen benennen können, die den angeblich mindestens 14 Tage währenden Aufenthalt im Anwesen der damaligen Ehefrau bestätigen könnten. Seine Angaben über ein Einvernehmen mit seiner Frau seien auch unter Berücksichtigung des Zeitablaufes vage. Es könne deshalb nicht mit hinreichender Gewissheit ausgeschlossen werden, dass der behauptete Versöhnungsversuch lediglich den Charakter mehrtägiger Besuche an den Wochenenden gehabt habe.
Das FG hat die geschiedene Ehefrau nicht beigeladen, weil sie mangels eigener Einkünfte nicht vom Ausgang des Verfahrens betroffen sein könne. Auch von ihrer Vernehmung sah das FG ab. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Mit seiner Beschwerde trägt der Kläger vor, die Entscheidung beruhe auf einem Verfahrensmangel. Das FG habe die geschiedene Ehefrau nicht als Zeugin gehört, obwohl sie dem FA mitgeteilt habe, dass es zwei Versöhnungsversuche gegeben habe, den letzten in der Zeit von Februar bis März 1990. Damit habe das FG gegen seine Pflicht verstoßen, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Rechtssache habe zudem grundsätzliche Bedeutung. Das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beweislast für die Aufhebung der vorangegangenen Trennung bei den steuerpflichtigen Eheleuten liege. Wegen des besonderen verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes) treffe dies nicht zu.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein sog. Versöhnungsversuch zur vorübergehenden Aufhebung einer dauernden Trennung der Ehegatten führen und dadurch die Zusammenveranlagung ermöglichen kann. Ob der Kläger und seine damalige Ehefrau die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zeitweise wiederhergestellt haben, hat es aber nicht in ausreichendem Umfange ermittelt. Darin liegt ein Verfahrensfehler, auf dem das Urteil beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Zur Erfüllung seiner Sachaufklärungspflicht hat das FG im Klageverfahren den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel, aufzuklären (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Dezember 1999 X R 151/97, BFH/NV 2000, 1097; BFH-Beschlüsse vom 22. Juli 1999 VII B 19/99, BFH/NV 1999, 1635, und vom 17. Oktober 2003 II B 109/02, BFH/NV 2004, 156; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 76 FGO Tz. 20; von Wedel in Schwarz, Kommentar zur Finanzgerichtsordnung, § 76 Rz. 13). Dabei hat es unabhängig von den Beweisanträgen der Beteiligten (§ 76 Abs. 1 Satz 5 FGO) im Zweifel auch von sich aus Beweise zu erheben (BFH-Urteile vom 22. April 1988 III R 59/83, BFH/NV 1989, 38, und vom 12. April 1994 IX R 101/90, BFHE 174, 301, BStBl II 1994, 660). Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht liegt jedenfalls vor, wenn das FG Tatsachen oder Beweismittel außer Acht lässt, deren Ermittlungen sich ihm hätten aufdrängen müssen (BFH-Urteil vom 25. Mai 2004 VII R 8/03, BFH/NV 2004, 1498).
Im Streitfall hat das FG ein Zusammenleben des Klägers mit seiner Ehefrau zwar für möglich gehalten, den Beweis dafür aber wegen fehlender objektiver Anhaltspunkte und der als nicht schlüssig und lebensnah erachteten Schilderung des Klägers als nicht erbracht angesehen. Dies war jedoch nicht ausreichend.
Die Ehefrau hatte dem FA am 17. August 1998 mitgeteilt, die Trennung vom Kläger sei von Januar 1989 an schrittweise erfolgt und es habe zwei Versöhnungsversuche gegeben, den letzten von Februar bis März 1990; nach dessen Scheitern habe der Kläger im Juni 1990 Scheidungsklage eingereicht. Der Kläger hatte im Klageverfahren hierauf hingewiesen. Da die Ehefrau weder als Klägerin noch als Beigeladene am Verfahren beteiligt war, hätte das FG sie wegen dieses Schreibens auch ohne förmlichen Beweisantrag des Klägers als Zeugin hören müssen. Als Zeugin hätte sie Fragen über die Einzelheiten des vom Kläger behaupteten Versöhnungsversuchs beantworten können (vgl. BFH-Urteil vom 18. Juli 1996 III R 90/95, BFH/NV 1997, 139).
2. Liegt --wie hier wegen der unzureichenden Sachaufklärung-- ein die Zulassung der Revision rechtfertigender Verfahrensmangel vor, kann der BFH statt der Zulassung der Revision das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Die Zurückverweisung ist im Streitfall ermessensgerecht, weil auch im Falle der Zulassung das Revisionsverfahren voraussichtlich zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen würde (BFH-Beschluss vom 22. Januar 2002 I B 93/01, BFH/NV 2002, 671), um die Frage, ob der Kläger und seine Ehefrau im Streitjahr zeitweise nicht dauernd getrennt gelebt haben, durch Vernehmung der geschiedenen Ehefrau weiter aufzuklären.
Fundstellen
Haufe-Index 1676151 |
BFH/NV 2007, 458 |