Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Glaubhaftmachung bei Wiedereinsetzung
Leitsatz (NV)
1. Die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten ist uneingeschränkt zur Glaubhaftmachung nur dann geeignet, wenn keine weiteren Mittel der Glaubhaftmachung zur Verfügung stehen.
2. Wird ein Wiedereinsetzungsantrag mit der fristgerechten Absendung eines beim Empfänger nicht eingegangenen Schriftstücks begründet, ist die rechtzeitige Aufgabe zur Post durch die Vorlage (weiterer) präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen.
Normenkette
FGO § 56
Verfahrensgang
FG Berlin (Beschluss vom 01.07.2005; Aktenzeichen 2 B 2113/05) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten in der Sache um die Aussetzung der Vollziehung (AdV) eines Einkommensteuerbescheids, soweit darin Trinkgeldzahlungen nicht gemäß § 3 Nr. 51 des Einkommensteuergesetzes (EStG) steuerfrei belassen wurden. Das Finanzgericht (FG) hat den Antrag auf AdV durch Beschluss vom 1. Juli 2005 zurückgewiesen. Gegen den am 7. Juli 2005 zugestellten Beschluss richtet sich die vom FG zugelassene Beschwerde des Antragstellers und Beschwerdeführers (Antragsteller) vom 15. Juli 2005. Diese ging unterschrieben erst am 21. Oktober 2005 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein.
Am 19. September 2005 hatten die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers mitgeteilt, "dass bislang noch immer keine Eingangsbestätigung und Mitteilung des Aktenzeichens bezüglich der von hier aus am 15.07.2005 erhobenen Beschwerde vorliegt". Ihrer Kanzlei war daraufhin von der Geschäftsstelle des Senats am 20. September 2005 telefonisch erklärt worden, dass die genannte Beschwerde nicht beim BFH eingegangen sei. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2005 hatte zudem der Vorsitzende des Senats die Prozessbevollmächtigten über den Nichteingang der Beschwerde in Kenntnis gesetzt und ergänzend auf § 56 der Finanzgerichtsordnung (FGO) hingewiesen.
Die Prozessbevollmächtigten beantragten am 21. Oktober 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO, die sie wie folgt begründeten:
Als Fristablauf für die Beschwerde sei der 21. Juli 2005 notiert worden. Die Beschwerde sei noch vor Ablauf dieser Frist am 15. Juli 2005 erstellt und ausgefertigt worden. Ursprünglich sei eine Versendung per Telefax verfügt worden. Dies sei jedoch wegen technischer Schwierigkeiten mit dem eigenen Faxgerät nicht möglich gewesen. Die Beschwerde sei deshalb mit der normalen Post aufgegeben worden, wobei man von einer gewöhnlichen Postlaufzeit von drei Tagen ausgegangen sei. Die zuständige Mitarbeiterin habe anstelle des Zugangsnachweises in Gestalt des Sendeprotokolls die frankierte Versandtasche fotokopiert, das Datum dazu notiert und diese Kopie zur Akte genommen. Den Brief habe sie mit der übrigen Post am 15. Juli 2005 in den gegenüber der Kanzlei gelegenen Postbriefkasten eingeworfen, welcher täglich noch einmal um 21.30 Uhr geleert werde.
Zur Glaubhaftmachung des geschilderten Geschehensablaufs legten die Prozessbevollmächtigten eine eidesstattliche Erklärung ihrer Mitarbeiterin K. bei.
Der Antragsteller beantragt, die Vollziehung des Einkommensteuerbescheids 2002 vom 19. Januar 2005 auszusetzen.
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) tritt der Beschwerde entgegen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist wegen Fristversäumung unzulässig.
1. Nach § 129 FGO ist die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung schriftlich beim FG bzw. BFH einzulegen. Im Streitfall ist diese Frist für den am 7. Juli 2005 zugestellten Beschluss des FG am 21. Juli 2005 abgelaufen. Die erst am 21. Oktober 2005 beim BFH eingegangene Beschwerde des Antragstellers war mithin verspätet.
2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO wegen Versäumung der Beschwerdefrist kann nicht gewährt werden.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Antrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags auf Wiedereinsetzung sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Die Zwei-Wochen-Frist beginnt zu laufen, sobald das Hindernis, durch das die Fristversäumung verursacht wurde, wegfällt. Ist eine Rechtsmittelschrift nicht bei Gericht eingegangen, beginnt die Frist grundsätzlich, wenn der Rechtsmittelführer dies erfährt oder wenn er Grund zu Nachforschungen hatte (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 56 FGO Rz. 20, m.w.N.).
b) Im Streitfall ist das Hindernis am 20. September 2005 weggefallen mit der Folge, dass von diesem Zeitpunkt an die Frist des § 56 Abs. 2 FGO lief. Denn an diesem Tag wurden die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers von der Geschäftsstelle des Senats unter Bezugnahme auf ihr Schreiben vom 19. September 2005 telefonisch davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Beschwerde vom 15. Juli 2005 beim BFH nicht eingegangen war. Einer ausdrücklichen Mitteilung des Senatsvorsitzenden und eines zusätzlichen Hinweises auf § 56 FGO bedurfte es insoweit nicht. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ging erst am 21. Oktober 2005 und damit verspätet beim BFH ein.
c) Im Übrigen scheitert der Antrag auch daran, dass die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers den Wiedereinsetzungsgrund nicht ausreichend glaubhaft gemacht haben. Die eidesstattliche Versicherung der beschäftigten Mitarbeiterin, Frau K., reicht zur Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung der Beschwerdeschrift nicht aus. Eine eidesstattliche Versicherung ist uneingeschränkt zur Glaubhaftmachung nur dann geeignet, wenn --außer der eigenen Erklärung des Antragstellers oder dritter Personen-- keine weiteren Mittel der Glaubhaftmachung zur Verfügung stehen. In den übrigen Fällen muss zumindest dargelegt werden, weshalb objektive Beweismittel nicht vorgelegt werden können (BFH-Beschluss vom 13. Dezember 2001 X R 42/01, BFH/NV 2002, 533, m.w.N.; vgl. auch Senatsentscheidung vom 10. Oktober 2003 VI B 95/03, BFH/NV 2004, 219).
Wird ein Wiedereinsetzungsantrag mit der fristgerechten Absendung eines beim Empfänger nicht eingegangenen Schriftstücks begründet, ist die rechtzeitige Aufgabe zur Post durch die Vorlage (weiterer) präsenter Beweismittel glaubhaft zu machen, die mit hinreichender Sicherheit den Schluss auf die Richtigkeit des zur Entschuldigung Vorgetragenen zulassen. Dazu gehören u.a. Kopien von Fristen- oder Postausgangsbüchern (BFH-Beschlüsse vom 18. Februar 2004 I R 78/03, BFH/NV 2004, 804, m.w.N.; in BFH/NV 2002, 533).
Die genannten weiteren Beweismittel müssen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag präsent sein. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Die Prozessbevollmächtigten haben nicht einmal eine Kopie der von ihrer Mitarbeiterin K. angefertigten Notiz über den Zeitpunkt der Aufgabe der Beschwerdefrist zur Post vorgelegt. Sie haben auch nicht dargelegt, dass und aus welchen Gründen die genannten objektiven Beweismittel nicht vorgelegt werden können.
Fundstellen
Haufe-Index 1481338 |
BFH/NV 2006, 785 |