Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendbarkeit des § 42 AO 1977 im Erbschaftsteuerrecht
Leitsatz (NV)
§ 42 AO 1977 ist auch im Erbschaftsteuerrecht anwendbar. Diese Auffassung steht nicht im Widerspruch zu bisheriger BFH-Rechtsprechung. Sie ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Diese Rechtsfrage hat daher keine grundsätzliche Bedeutung.
Normenkette
ErbStG §§ 3, 7; AO 1977 § 42; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
I. Am … Januar 19XX verstarb Frau A (Erblasserin). Sie wurde durch einen Neffen beerbt. Durch letztwillige Verfügungen hatte die Erblasserin dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ein Vermächtnis ausgesetzt, das im Wesentlichen aus einer Kommanditeinlage, einer Darlehensforderung der Erblasserin gegen die KG, sowie aus dem Sonderbetriebsvermögen der Erblasserin an der KG bestand.
Dem Erbfall waren folgende Geschehen vorausgegangen: Im Jahr vor ihrem Tod erlitt die Erblasserin einen Schlaganfall. Seit dem Monat … dieses Jahres befand sich die Erblasserin in stationärer Behandlung in einem Stift. Von dem Stift wurde beim Vormundschaftsgericht die Einleitung einer Gebrechlichkeitspflegschaft für die Erblasserin eingeleitet. Am … wurde der Kläger als Gebrechlichkeitspfleger für die Erblasserin bestellt. Im Oktober wurde ein Rechtsanwalt zum Ergänzungspfleger für die Erblasserin bestellt. Am selben Tag wurde ein Grundstückskaufvertrag zwischen dem Kläger als Veräußerer und der Erblasserin als Erbwerberin notariell beurkundet. Für die Erblasserin handelte dabei der Rechtsanwalt als Ergänzungspfleger. In dem Vertrag verkaufte der Kläger der Erblasserin ein von ihm selbst genutztes Einfamilienhaus. Der Kaufpreis betrug … DM. Er wurde durch Abtretung des Darlehensanspruchs der Erblasserin gegen die KG in Höhe von … DM sowie durch Abtretung eines Auszahlungsanspruchs gegen eine Bank (Festgeldkonto) in Höhe von … DM beglichen. Gleichzeitig mietete der Kläger das von ihm genutzte Haus von der Erblasserin. Im Februar 19XX wurde das Eigentum an dem Einfamilienhaus auf den Kläger zurückübertragen.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) setzte zunächst für den Vermächtniserwerb des Klägers Erbschaftsteuer in Höhe von … DM fest. Dabei folgte das FA weitgehend der vom Kläger als Testamentsvollstrecker abgegebenen Erbschaftsteuererklärung. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Danach erfuhr das FA durch eine Betriebsprüfung von dem zwischen dem Kläger und der Erblasserin durchgeführten Grundstücksgeschäft. Das FA vertrat nunmehr die Auffassung, dass darin ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) zu sehen sei. Das FA erließ daraufhin am 16. Februar 1995 einen geänderten Erbschaftsteuerbescheid, in dem es nunmehr gegen den Kläger Erbschaftsteuer in Höhe von … DM festsetzte. Es setzte dabei die Differenz zwischen Kaufpreis und Einheitswert des Grundstücks als zusätzlichen Erwerb von Todes wegen an.
Mit der dagegen gerichteten Klage wurde geltend gemacht, dass das Grundstücksgeschäft zwischen der Erblasserin und dem Kläger zivilrechtlich wirksam sei und auch steuerrechtlich anerkannt werden müsse.
Die Klage hatte abgesehen von einer Korrektur der Steuerberechnung keinen Erfolg.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger grundsätzliche Bedeutung und Abweichungen von Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (BFH) geltend.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unbegründet.
1. Mit der Nichtzulassungsbeschwerde wird keine Rechtsfrage aufgeworfen, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.
a) Die vom Kläger herausgestellte Rechtsfrage, ob eine Anwendung des § 42 AO 1977 im Erbschaftsteuerrecht allgemein ausgeschlossen sei, ist nicht klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Die Vorschrift gilt ihrem Wortlaut nach uneingeschränkt für alle Steuerarten. Aus der unterschiedlichen Struktur der gesetzlichen Regelungen für die einzelnen Steuern kann sich lediglich jeweils ein unterschiedlich großer Anwendungsbereich für die Vorschrift ergeben, nicht aber ein allgemeiner Ausschluss ihrer Anwendbarkeit auf eine bestimmte Steuer. Die Rechtsauffassung des Klägers, der eine Anwendbarkeit der Vorschrift auf das Erbschaftsteuerrecht verneint, wird durch keine Literaturmeinung gestützt. Auch die vom Kläger herangezogenen BFH-Urteile belegen nicht, dass insoweit eine offene, durch Rechtsprechung noch zu klärende Rechtsfrage vorliegt. Das BFH-Urteil vom 22. September 1982 II R 61/80 (BFHE 137, 188, BStBl II 1983, 179) erging nicht zum Gestaltungsmissbrauch, sondern zur Frage des wirtschaftlichen Eigentums. Auch für dieses wurde jedoch eine Anwendung auf die Erbschaftsteuer nicht generell ausgeschlossen. Das BFH-Urteil vom 26. September 1990 II R 150/88 (BFHE 163, 214, BStBl II 1991, 320) verneint lediglich, dass bereits die erhebliche Diskrepanz zwischen Einheitswert und Verkehrswert eines Grundstücks zu einem Gestaltungsmissbrauch i.S. von § 42 AO 1977 führt. Damit geht die Entscheidung ―im Gegensatz zur Auffassung des Klägers― notwendigerweise von einer allgemeinen Anwendbarkeit der Vorschrift auch auf die Erbschaftsteuer aus.
b) Die vom Kläger darüber hinaus herausgestellte Rechtsfrage, ob der Tatbestand des § 42 Abs. 1 AO 1977 als (zusätzliches) Tatbestandsmerkmal das Vorliegen einer Umgehungsabsicht oder Missbrauchsabsicht verlangt, wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Nach den Feststellungen und der Sachverhaltswürdigung durch das Finanzgericht (FG) liegt eine derartige Absicht im Streitfall ja gerade vor. Die Klärung der vom Kläger herausgestellten Rechtsfrage hätte daher keinen Einfluss auf das Entscheidungsergebnis.
c) Für die darüber hinaus vom Kläger angesprochene Rechtsfrage der Abgrenzung zur grunderwerbsteuerrechtlichen Behandlung fehlt es bereits an der nach § 115 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erforderlichen schlüssigen Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung. Hierzu wäre es u.a. erforderlich gewesen, in Auseinandersetzung mit Literatur und Rechtsprechung darzutun, dass es sich um eine bisher nicht geklärte, aber im Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftige Rechtsfrage handelt. Der bloße Hinweis, die Frage sei bisher höchstrichterlich nicht entschieden bzw. ungeklärt, reicht dazu nicht aus.
2. Die Entscheidung des FG weicht auch nicht von den vom Kläger bezeichneten BFH-Entscheidungen ab.
a) Die Entscheidung des FG steht nicht in Widerspruch zum BFH-Urteil in BFHE 163, 214, BStBl II 1991, 320. Entgegen der Meinung des Klägers beruht die Entscheidung des FG nicht auf der Auffassung, dass allein die Ausnutzung der Diskrepanz zwischen Verkehrswert und Einheitswert eines Grundstücks einen Gestaltungsmissbrauch darstelle. Vielmehr vertritt das FG die Auffassung, dass im Streitfall diese Diskrepanz durch eine ungewöhnliche und missbräuchliche Rechtsgestaltung ausgenutzt worden sei und deswegen der Tatbestand des § 42 AO 1977 erfüllt sei. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu der angezogenen Entscheidung.
b) Die Entscheidung des FG weicht auch nicht ab von den BFH-Urteilen vom 17. April 1974 II R 4/67 (BFHE 112, 414, BStBl II 1974, 521) und in BFHE 163, 214, BStBl II 1991, 320. Das FG stützt sich in seiner Entscheidung nur u.a. ("zudem") auf die außergewöhnliche Eile, mit der die Vertragsgestaltungen in Angriff genommen wurden. Dies steht nicht im Widerspruch zu den angezogenen BFH-Entscheidungen. Diesen lässt sich nicht der Rechtssatz entnehmen, dass im Rahmen der notwendigen Gesamtwürdigung, ob im Einzelfall der Tatbestand des § 42 Abs. 1 AO 1977 erfüllt ist, der zeitliche, ggf. schnelle zeitliche Ablauf generell nicht mitberücksichtigt werden dürfe.
c) Die Auffassung des FG, § 42 AO 1977 sei auch im Erbschaftsteuerrecht anwendbar, weicht nicht ab von den BFH-Urteilen in BFHE 137, 188, BStBl II 1983, 179 und vom 29. Oktober 1986 I R 202/82 (BFHE 148, 153, BStBl II 1987, 308). Beiden BFH-Entscheidungen lässt sich nicht der Rechtssatz entnehmen, dass § 42 AO 1977 auf die Erbschaftsteuer nicht anwendbar sei. Erstere Entscheidung ist ―wie ausgeführt― zum wirtschaftlichen Eigentum ergangen und hält auch dieses Rechtsinstitut für "nach Sachlage des Einzelfalls" auf die Erbschaftsteuer für anwendbar. Die zweite Entscheidung beruht auf dem Rechtssatz, dass § 6 des Steueranpassungsgesetzes ―StAnpG― (= § 42 AO 1977) für die Prüfung der zivilrechtlichen Identität einer Kapitalgesellschaft unanwendbar ist und enthält mithin keine Aussage zur Erbschaftsteuer. Auch die zur Begründung dieser Rechtsauffassung angestellte weitere Überlegung in dieser BFH-Entscheidung, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift auf solche Gestaltungen beschränkt sei, die einer besonderen und ggf. vom Zivilrecht abweichenden steuerrechtlichen Beurteilung zugänglich sind, belegt kein allgemeines Anwendungsverbot auf die Erbschaftsteuer. Ihr lässt sich nicht entnehmen, dass allgemein bei der erbschaftsteuerrechtlichen Beurteilung keine Gestaltungen vorkommen können, die einer besonderen und ggf. vom Zivilrecht abweichenden steuerrechtlichen Beurteilung zugänglich sind.
Fundstellen
Haufe-Index 510247 |
BFH/NV 2001, 162 |