Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzungsrüge wegen fehlerhafter Vereidigung ehrenamtlicher Richter
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge, die ehrenamtlichen Richter seien nicht in öffentlicher Sitzung vereidigt worden, bezeichnet keinen schweren Verfahrensfehler, der zur Aufhebung und Zurückverweisung der Entscheidung führen müsste. Die Vereidigung ist nicht Teil der mündlichen Verhandlung, vor der sie stattfindet, so dass ihre Protokollierung nicht in die Niederschrift dieser Verhandlung aufzunehmen ist.
2. Ein Befangenheitsantrag muss förmlich gestellt werden. Die bloße Ankündigung führt nicht zum Ausschluss des Richters.
3. Auf eine beantragte Beweiserhebung darf das FG ohne Verstoß gegen das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung verzichten, wenn das Beweismittel untauglich ist.
4. Der Vorwurf, das FG habe verkannt, dass die Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung unverhältnismäßig gewesen sei, weil das FA die Vermögenslage des Steuerpflichtigen gekannt habe, richtet sich gegen die materiell-rechtliche Würdigung des FG und kann nicht zur Zulassung der Revision führen.
Normenkette
GG Art. 101 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; FGO §§ 51, 96, 142; ZPO §§ 44, 114; DRiG § 45 Abs. 2, 8; AO § 284 Abs. 1, 3
Tatbestand
I. Nachdem eine Vielzahl von Vollstreckungsmaßnahmen in das Vermögen des Antragstellers, Klägers und Beschwerdeführers (Antragsteller) nicht zur Befriedigung des Fiskus geführt hatten, wurde der Antragsteller vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) wegen Rückständen an Steuern und steuerlichen Nebenleistungen in Höhe von über … € aufgefordert, ein Verzeichnis seines Vermögens vorzulegen sowie die Richtigkeit und Vollständigkeit der darin gemachten Angaben zu Protokoll an Eides statt zu versichern. Einspruch und Klage, mit denen der Antragsteller die Aufforderungen als ermessensfehlerhaft gerügt hatte, weil dem FA die Vermögensverhältnisse des Antragstellers aufgrund der vorangegangenen Vollstreckungsversuche, aus zahlreichen Gesprächen und aus intensiven Steuerfahndungsdurchsuchungen genauestens bekannt seien, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte unter Bezugnahme auf die ständige Senatsrechtsprechung, die Aufforderungen des FA seien nicht ermessensfehlerhaft, vielmehr sei die Ermessensentscheidung im Hinblick darauf vorgeprägt, dass nach den von ihm getroffenen Sachverhaltsfeststellungen dem FA die aktuellen Vermögensverhältnisse des Antragstellers nicht in dem Sinne zuverlässig bekannt gewesen seien, dass es habe davon ausgehen müssen, dieser verfüge nicht über zur Vollstreckung geeignete Vermögensgegenstände. Dabei bezog es sich insbesondere auf die in bereits rechtskräftigen Urteilen getroffenen Feststellungen, dass der Antragsteller in der Vergangenheit und über viele Jahre hinweg steuerunehrlich gewesen sei und aus diesem Grund nicht ausgeschlossen werden könne, dass er auch jetzt versuche, vorhandene Vermögensgegenstände zu verbergen. Einen Beweisantrag, den Sachgebietsleiter der Vollstreckungsstelle und weitere Mitarbeiter des FA darüber zu vernehmen, dass ihnen sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Antragsteller umfassend bekannt seien, wies das FG als auf ein untaugliches Beweismittel gerichteten Antrag zurück, weil ausschließlich der Antragsteller über Art und Umfang seines Vermögens sicher und konkret Auskunft geben könne.
Gegen die Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und für dieses Verfahren Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH ist unbegründet.
Gemäß § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) setzt die Bewilligung von PKH voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg, wenn bei summarischer Prüfung für den Eintritt des Erfolges eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 21. Juli 1999 V S 6/99, BFH/NV 2000, 193). Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht erfüllt.
1. Mit den vom Antragsteller erhobenen Besetzungsrügen werden keine Verfahrensfehler dargelegt, die gemäß § 115 Abs. 2 Satz 3 FGO zur Zulassung der Revision führen können.
a) Soweit der Antragsteller geltend macht, die an der Entscheidung beteiligten ehrenamtlichen Richter seien nicht in öffentlicher Sitzung vereidigt worden, rügt er keinen schweren Verfahrensfehler, der zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG führen müsste. Stellt nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 21. Oktober 1980 2 WD 17/80 (BVerwGE 73, 78), dem der Senat folgt, nicht einmal die Vereidigung unter Verstoß gegen das Öffentlichkeitsgebot des § 45 Abs. 2 des Deutschen Richtergesetzes (DRiG) einen erheblichen Verfahrensmangel dar, so gilt dies umso mehr für den vom Kläger behaupteten Sachverhalt. Denn nach der Darstellung in dem vom Vertreter des Antragstellers verfassten und der Beschwerde beigefügten Sitzungsbericht sind die ehrenamtlichen Richter unmittelbar vor Aufruf der mündlichen Verhandlung in der Rechtssache des Antragstellers im Beisein der Berufsrichter und in Anwesenheit der Vertreter des Antragstellers und des FA von der Vorsitzenden vereidigt worden. Unabhängig davon, ob die Vorsitzende zuvor die Sitzung förmlich eröffnet hat, ist jedenfalls tatsächlich die Öffentlichkeit hergestellt gewesen (vgl. auch Fürst/Mühl/ Arndt, Richtergesetz, 1992, § 45 Rz 8). Nicht erforderlich ist die Anwesenheit bereits vereidigter ehrenamtlicher Richter. Auch kommt --anders als der Antragsteller meint-- die Protokollierung der Vereidigung in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung nicht in Betracht, da die Vereidigung nicht Teil der mündlichen Verhandlung ist, vor der sie stattfindet (Schmid in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 28 FGO Rz 4, m.w.N.). Abgesehen davon wird die Gültigkeit der Vereidigung durch einen Verstoß gegen die Pflicht zur Protokollierung des Vorgangs (§ 45 Abs. 8 DRiG) nicht berührt (Kopp/Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, 14. Aufl., § 31 Rz 4, m.w.N.).
b) Die Rüge, der gesetzliche Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) sei nicht gewahrt, weil die Verhinderung des Vorsitzenden und damit das Vorliegen eines Vertretungsfalles nicht erwiesen seien, hat der Antragsteller nicht hinreichend substantiiert. Der Antragsteller hat lediglich vorgetragen, dass ihm "unklar" gewesen sei, weswegen die stellvertretende Vorsitzende den Vorsitz übernommen habe. Er hat auch nicht dargelegt, dass er diesbezügliche Zweifel in der mündlichen Verhandlung angebracht hat. Der schriftlichen Besetzungsrüge ist nicht zu entnehmen, welcher Besetzungsfehler gerügt wird. Damit genügt das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 8, m.w.N.).
c) Entgegen dem Beschwerdevorbringen war die Vorsitzende auch nicht wegen einer noch nicht beschiedenen Ablehnung wegen Befangenheit gehindert, an der Entscheidung mitzuwirken. Der Antragsteller behauptet selbst nicht, in diesem Verfahren einen Befangenheitsantrag gestellt zu haben. Die bloße Ankündigung eines solchen Antrags führt offensichtlich nicht zum Ausschluss eines Richters. Das Gesuch muss förmlich gestellt werden (§ 51 FGO i.V.m. § 44 Abs. 1 ZPO). Nach der Verhandlung ist ein Ablehnungsgesuch wegen eines früheren Verhaltens des Richters unzulässig (§§ 43, 44 Abs. 4 ZPO).
2. Die Rüge, das rechtliche Gehör i.S. des Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, weil das Urteil schon vor der mündlichen Verhandlung abgefasst worden sei und deshalb nicht --wie nach § 96 Abs. 1 FGO geboten-- auf dem Gesamtergebnis des Verfahrens beruhe, begründet der Antragsteller mit einem unschlüssigen Vortrag. Zwar weist er zutreffend darauf hin, dass das Originalurteil maschinenschriftlich sowohl als Tag der mündlichen Verhandlung als auch als Verkündungsdatum den 6. Dezember 2005 bezeichnet und diese Daten handschriftlich durch den 17. Januar 2006 ersetzt worden sind. Er stellt aber auch fest, dass die erst am 17. Januar 2006 vereidigten ehrenamtlichen Richter im Rubrum aufgeführt sind und dass auf S. 9 des Urteils auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge eingegangen wird. Zwar mutmaßt er, dass diese Passagen nachträglich eingefügt worden sind; es ist aber unerfindlich, wie er damit begründen will, dass das Ergebnis der mündlichen Verhandlung nicht in die Entscheidung eingeflossen ist.
3. Auch die Rüge, das FG habe die in der mündlichen Verhandlung angebotenen Beweise übergangen, kann der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zum Erfolg verhelfen. Auf die von einem Beteiligten beantragte Beweiserhebung darf das FG --ausnahmsweise-- dann ohne Verstoß gegen das Verbot vorweggenommener Beweiswürdigung verzichten, wenn das Beweismittel untauglich ist (BFH-Beschluss vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297, m.w.N.). Das FG war ausweislich der Entscheidungsgründe der Auffassung, die gestellten Beweisanträge seien auf untaugliche Beweismittel gerichtet, weil es nicht vorstellbar sei, dass die benannten Personen aus eigener Kenntnis bekunden könnten, ihnen seien "sämtliche Vollstreckungsmöglichkeiten gegen den Kläger umfassend bekannt". Der Senat hält diese Würdigung des FG auch unter Berücksichtigung der gegenteiligen Auffassung des Antragstellers für offensichtlich zutreffend. Daraus folgt zugleich, dass es nicht verfahrensfehlerhaft sein kann, wenn der Antragsteller mangels eines Hinweises auf die Untauglichkeit des Beweismittels gehindert gewesen sein sollte, weitere Zeugen zum selben Beweisthema zu benennen. Denn für das benannte Beweisthema ist der Zeugenbeweis als solcher untauglich. Abgesehen davon musste der Antragsteller --wie sich aus seinem Beschwerdevorbringen ergibt-- damit rechnen, dass das FG den Beweis nicht erheben werde und hätte deshalb bereits in der Verhandlung weiteren Beweis antreten können. Dies unterlassen zu haben, führt zum Verlust des Rügerechts (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 1999 VII B 183/99, BFH/NV 2000, 597).
4. Schließlich kommt die Zulassung der Revision auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in Betracht.
Das Verhältnis der Anforderung des Vermögensverzeichnisses nach § 284 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) zur Aufforderung zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 284 Abs. 3 AO und die Notwendigkeit anzustellender Ermessenserwägungen ist geklärt. Es ergibt sich bereits aus dem Gesetz, dass das FA die beiden Teilakte in einer Aufforderung zusammenfassen kann. Ein Hinweis auf ein mögliches Absehen von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung ist entbehrlich (Senatsbeschluss vom 29. Juni 2006 VII B 19/06, BFH/NV 2006, 1795, m.w.N.). Erst recht ist es unbedenklich, wenn das FA --wie im Streitfall-- mitteilt, dass die eidesstattliche Versicherung nach Vorlage des Vermögensverzeichnisses "eventuell" gefordert werde.
Die Rechtsfrage, ob die Aufforderungen nach § 284 Abs. 1 und 3 AO ergehen dürfen, wenn dem FA die Vermögenslage vollständig bekannt ist, ist im vorliegenden Rechtsstreit nicht klärungsbedürftig, da das FG festgestellt hat, dass dem FA die aktuelle Vermögenslage des Antragstellers nicht bekannt war. Wann davon ausgegangen werden kann, dass das FA die Vermögensverhältnisse zuverlässig kennt, hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab und ist deshalb einer grundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich.
Der Vorwurf, das FG habe verkannt, dass das FA angesichts seiner Kenntnis der Vermögenslage des Antragstellers den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet habe, stellt eine Rüge in Bezug auf die materiell-rechtliche Würdigung des FG dar und kann daher, ebenso wie andere vom Antragsteller vorgebrachte Rügen, nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung führen (Senatsbeschluss vom 5. Juli 2005 VII B 201/04, BFH/NV 2005, 1852).
Fundstellen
Haufe-Index 1786834 |
BFH/NV 2007, 1903 |