Entscheidungsstichwort (Thema)

Erfolglosigkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde trotz Verfahrensfehler des FG bei mißbräuchlicher Untätigkeitsklage

 

Leitsatz (NV)

1. Der Beschluß des FG über die Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde ist nicht selbständig anfechtbar.

2. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann keinen Erfolg haben, wenn das FG zwar aufgrund von Verfahrensfehlern die Unzulässigkeit der Klage angenommen hat, die Klage aber aus anderen Gründen unzulässig ist.

3. Eine Untätigkeitsklage ist mißbräuchlich, wenn sie zu einem Zeitpunkt erhoben wird, zu dem weder das FA noch das FG eine Entscheidung in der Sache treffen können, weil vor dem BVerfG ein Musterverfahren wegen einer im Streitfall anzuwendenden Norm anhängig ist.

4. Die Erhebung einer Untätigkeitsklage hindert das FA nicht, den angegriffenen Steuerbescheid in dem (noch nicht abgeschlossenen) Einspruchsverfahren zu verbösern.

 

Normenkette

AO 1977 § 362 Abs. 2; FGO § 46 Abs. 1, § 126 Abs. 2, § 130

 

Gründe

1. Der Senat wertet den Antrag auf Aufhebung des Beschlusses des Finanzgerichts (FG) über die Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde aus Kostengründen im Interesse der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) nicht als selbständige Beschwerde. Der im Streitfall getroffene Nichtabhilfebeschluß hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde ist nämlich nach allgemeiner Meinung nicht selbständig anfechtbar (vgl. u.a. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. April 1972 II B 31/72, BFHE 105, 333, BStBl II 1972, 575; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 130 FGO, Tz. 15; vgl. auch Beschluß des erkennenden Senats vom 8. Mai 1992 III B 163/92, BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675). Die Kläger können mit Rechtsmitteln nur gegen die ursprüngliche Entscheidung (hier das die Untätigkeitsklage abweisende Urteil des FG) vorgehen.

2. Gleiches gilt hinsichtlich der Beschwerde wegen Richterablehnung.

Das Schreiben der Kläger vom 21. Februar 1992 wird angesichts des Umstandes, daß über die Richterablehnung keine gesonderte Entscheidung des FG ergangen ist, nicht als selbständige Beschwerde behandelt.

Ob das FG über das Ablehnungsgesuch (in der Begründungsschrift zur Nichtzulassungsbeschwerde) - stillschweigend - zusammen mit dem Nichtabhilfebeschluß entschieden oder dieses Gesuch übersehen oder wegen der zunächst (bis zur Entscheidung über den Nichtabhilfebeschluß) noch fehlenden Begründung als unbeachtlich angesehen (vgl. hierzu Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Tz. 23) hat, kann dahinstehen. Denn eine Beschwerde hätte auch gegen eine förmliche Ablehnung keinen Erfolg gehabt. Ein solches Rechtsmittel wäre unzulässig gewesen (Entscheidung des erkennenden Senats in BFHE 167, 299, BStBl II 1992, 675).

3. Die Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG ist unbegründet.

Der Senat kann offenlassen, ob das FG Verfahrensfehler begangen hat. Es braucht daher nicht entschieden werden, ob die unzutreffende Tatsachenfeststellung des FG, daß die Kläger gegen den angegriffenen Steuerbescheid keinen Einspruch eingelegt hätten, ein Verfahrensmangel oder ein materieller Rechtsfehler ist, der nicht zur Zulassung der Revision führen kann (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 115 Rdnr. 27ff.). Ferner kann dahinstehen, ob ein Verfahrensfehler des FG darin liegt, daß laut Behauptung der Kläger ein Hinweis an ihren Prozeßbevollmächtigten auf den nach Auffassung des FG fehlenden Einspruch unterblieben ist. Hierzu ist ohnehin zu bemerken, daß ausweislich der Akten - entgegen der Behauptung der Kläger - mit Schreiben des FG vom 18. Juli 1991 ein solcher Hinweis erfolgt ist. Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger hat darauf allerdings nicht reagiert. Letztlich kommt es auf diese Fragen aber nicht an.

Im Rahmen der Prüfung, ob die Revision wegen eines Verfahrensfehlers des FG zugelassen werden soll (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -), sind nämlich in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 2 FGO die Erfolgsaussichten einer künftigen Revision zu berücksichtigen (Gräber/Ruban, a.a.O., 2. Aufl., § 115 Anm. 35; BFH-Beschluß vom 10. Februar 1989 V B 50/87, BFH/NV 1990, 107; Beschluß des erkennenden Senats vom 26. Juni 1992 III B 72/91, BFH/NV 1992, 722). Dies gilt nach der Rechtsprechung des BFH sogar dann, wenn sich das Urteil des FG trotz Vorliegens eines Verfahrensmangels aus materiellen Gründen als zutreffend erweist und deshalb die Revision erfolglos bleiben müßte. Um so mehr muß es auf die Erfolgsaussichten der Revision ankommen, wenn eine vom FG als unzulässig abgewiesene Klage aus anderen als den vom FG angenommenen Gründen, die möglicherweise auf Verfahrensfehlern beruhen, unzulässig ist.

Im Streitfall hat das FG die Klage im Ergebnis zu Recht als unzulässig abgewiesen. Eine künftige Revision könnte daher unabhängig davon keinen Erfolg haben, ob die von den Klägern gerügten Verfahrensfehler vorliegen oder nicht.

Die Erhebung der Untätigkeitsklage durch die Kläger war nämlich mißbräuchlich. Der Mißbrauch lag darin, daß die Klage, die hauptsächlich die Verfassungsmäßigkeit des Grundfreibetrages betrifft, zu einem Zeitpunkt erhoben worden ist, als weder der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) noch das FG wegen vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängiger Musterverfahren eine Entscheidung in der Sache treffen konnten. Die Klage verfehlte daher den Zweck des § 46 Abs. 1 FGO, bereits vor der außergerichtlichen Rechtsbehelfsentscheidung einen Erfolg in der Sache zu ermöglichen, wenn das FA das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren unangemessen verzögert. Dies hat der Senat in einem ähnlich gelagerten Fall mit Beschluß vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673) und in einer Reihe weiterer Entscheidungen (vgl. Beschlüsse vom 8. Mai 1992 III B 123/92, BFH/NV 1993, 244; vom 11. August 1992 III B 143/92, BFH/ NV 1993, 310, und vom 11. August 1992 III B 147/92, BFH/NV 1993, 311) eingehend begründet. Auch der X.Senat des BFH ist mit Beschluß vom 30. November 1992 X B 18/92, BFH/NV 1993, 732, dieser Rechtsprechung gefolgt. An den in diesen Entscheidungen dargelegten Grundsätzen hält der Senat fest, da neue Gesichtspunkte, die den Senat zur Änderung seiner Rechtsprechung veranlassen könnten, nicht vorgebracht worden sind. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird daher auf die genannten Beschlüsse Bezug genommen.

Im Streitfall zeigt sich die Mißbräuchlichkeit der Klageerhebung besonders deutlich darin, daß die Kläger sogar selbst die Aussetzung des Klageverfahrens wegen der beim BVerfG anhängigen Musterverfahren zum Grundfreibetrag beantragt haben. Sie haben daher deutlich gemacht, daß sie entgegen dem § 46 Abs. 1 FGO zugrunde liegenden Zweck vor der Entscheidung des BVerfG überhaupt keine Entscheidung in der Sache erreichen wollten.

Der von den Klägern genannte Klagezweck der Entstehung von Prozeßzinsen ab Rechtshängigkeit gemäß § 236 der Abgabenordnung (AO 1977) konnte kein sinnvoller Grund für die Klageerhebung sein. Unabhängig davon, daß die Entstehung von Prozeßzinsen nicht Selbstzweck einer Klageerhebung sein kann, werden ab Veranlagungszeitraum 1989 (also für das Streitjahr) Steuererstattungsansprüche der Kläger, die ihnen aufgrund einer etwaigen Erhöhung des Grundfreibetrages zustehen könnten, ohnehin gemäß § 233a AO 1977 verzinst. Die Untätigkeitsklage ist zu einem Zeitpunkt erhoben worden, als der etwaige Zinslauf schon begonnen hatte.

Der in einem anderen Verfahren in einem Wiederaufnahmeantrag vorgebrachte Einwand des Prozeßbevollmächtigten der Kläger, die Erhebung der Untätigkeitsklage sei im Hinblick auf das im Klageverfahren bestehende Verböserungsverbot sinnvoll, verkennt grundlegend die Rechtslage. Das Verböserungsverbot im finanzgerichtlichen Verfahren, das in der FGO nicht ausdrücklich geregelt ist, sondern aus der allgemeinen Rechtsschutzfunktion des gerichtlichen Verfahrens abgeleitet wird (vgl. Gräber/von Groll, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 96 Rdnr. 5, m.w.N.), gilt nur für das Gericht. Die Besonderheit eines Untätigkeitsklageverfahrens nach § 46 Abs. 1 FGO liegt aber darin, daß vom FA noch keine Einspruchsentscheidung getroffen worden ist und daher während des Klageverfahrens jederzeit nachgeholt werden kann. Dabei kann das FA den angegriffenen Steuerbescheid selbstverständlich im Rahmen des § 367 Abs. 2 Satz 2 AO 1977 noch verbösern, da das Verböserungsverbot nur das Gericht betrifft. Die Rechtsposition der Kläger hinsichtlich der Verböserungsgefahr durch den eingelegten Einspruch wird durch die Erhebung der Untätigkeitsklage daher in keiner Weise verbessert (Beschluß des erkennenden Senats in BFH/NV 1993, 311).

Der Senat vermag daher keinen Vorteil für die Kläger zu erkennen, der sich für sie durch die Erhebung der Untätigkeitsklage im Falle eines aus ihrer Sicht positiven Ausgangs der Musterverfahren vor dem BVerfG zum Grundfreibetrag ergeben hätte. Statt dessen waren sie nur mit dem Risiko behaftet, im Falle der Abweisung der Untätigkeitsklage Kosten für ihren Prozeßvertreter und Gerichtskosten (möglicherweise zu Lasten einer Rechtsschutzversicherung) tragen zu müssen. Das mißbräuchliche Verhalten liegt deshalb im wesentlichen beim Prozeßbevollmächtigten der Kläger, der weit über 1000 vergleichbare (sinnlose) Untätigkeitsklagen für von ihm vertretene Mandanten eingelegt hat. Dieses mißbräuchliche Verhalten ihres Prozeßbevollmächtigten müssen sich die Kläger allerdings zurechnen lassen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 419300

BFH/NV 1994, 815

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