Entscheidungsstichwort (Thema)
Rubrumsberichtigung; Verfahrensmängel; Prozess- statt Sachurteil; Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 FGO; Rügeverzicht bezüglich Zustellungsmangel; Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung; Beweiskraft einer PZU
Leitsatz (NV)
1. Es stellt einen Verfahrensmangel dar, wenn über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden worden ist.
2. Wird eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zu Unrecht oder nicht wirksam gesetzt, so erweist sich die Nichtberücksichtigung des weiteren Klagevorbringens und die Abweisung der Klage als unzulässig als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör.
3. Eine Klage ist zwingend als unzulässig abzuweisen, wenn die erfolglos abgelaufene Ausschlussfrist ordnungsgemäß und wirksam gesetzt worden und auch keine Wiedereinsetzung zu gewähren ist.
4. Auch bei der Rüge einer angeblich nicht ordnungsgemäßen Zustellung handelt es sich um einen so genannten verzichtbaren Verfahrensmangel, bei dem insbesondere auch vorzutragen ist, dass dieser Mangel in der Vorinstanz ordnungsgemäß gerügt worden ist oder weshalb dies nicht möglich gewesen sein soll.
5. Erscheint für den fachkundig vertretenen Kläger in der mündlichen Verhandlung niemand, obwohl das FG zuvor eine Ausschlussfrist gesetzt hat und diese bereits abgelaufen war, so hat der sein Rügerecht durch sein Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung verloren.
6. Auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost stellt eine Postzustellungsurkunde eine öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 ZPO dar und erbringt den vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen.
7. Trägt der Kläger erstmals mit der Nichtzulassungsbeschwerde vom FG bislang nicht festgestellte, gegen eine ordnungsgemäße Zustellung sprechende Umstände vor, so handelt es sich um neues nicht zu berücksichtigendes Vorbringen.
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1 Nr. 1, § 56 Abs. 1, 2 S. 1, § 65 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2, § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 2, § 107 Abs. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; VwZG § 3 Abs. 2 S. 1; ZPO § 182 Abs. 1 S. 2, §§ 295, 418 Abs. 1-2
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 11.09.2007; Aktenzeichen 10 K 1307/07) |
Gründe
Die Beschwerde wird mit der Maßgabe durch Beschluss als unzulässig verworfen (§ 132 FGO), dass Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) die …-Partnerschaft ist.
Das Rubrum des angefochtenen Urteils sowie der Beschwerdeschrift ist gemäß § 107 Abs. 1 FGO dahin gehend zu berichtigen, dass Kläger nicht die beiden Gesellschafter sind, sondern nach § 48 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative FGO die Partnerschaft ist (vgl. dazu Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Dezember 2006 VIII B 82/06, BFH/NV 2007, 453; vom 9. März 2006 VIII B 348/04, nicht veröffentlicht --n.v.--, jeweils m.w.N.).
Bereits die Klageschrift vom 2. Mai 2007 nimmt im Rubrum auf die Sozietät …-Partnerschaft unmittelbar Bezug. Soweit es --wie dies im Streitfall durch die mit Schriftsatz vom 10. September 2007 eingereichte gesonderte und einheitliche Gewinnfeststellungserklärung für das Streitjahr 2005 nebst weiterer Unterlagen deutlich geworden ist-- um die Höhe des von der Sozietät erzielten Gewinns geht, sind nicht deren einzelne Gesellschafter, sondern ist die Sozietät selbst subjektiv klagebefugt.
Die Klägerin hat allerdings die geltend gemachten Verfahrensverstöße (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) hinreichend substantiiert dargetan.
1. Die Darlegung eines Verfahrensmangels erfordert, die Tatsachen schlüssig zu bezeichnen, die den gerügten Verfahrensmangel ergeben sollen. Dazu müssen die entsprechenden Prozessvorgänge genau umschrieben werden. Schlüssig ist das Vorbringen, wenn die vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, den behaupteten Verfahrensmangel ergeben. Ferner ist grundsätzlich darzutun, weshalb das angefochtene Urteil i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (BFH-Beschluss vom 19. Februar 2008 VIII B 49/07, BFH/NV 2008, 1158).
2. Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dar, wenn über eine in Wahrheit zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird (BFH-Beschluss vom 17. November 2003 XI B 213/01, BFH/NV 2004, 514, m.w.N.).
Wird eine Ausschlussfrist nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO zur Bezeichnung des Klagebegehrens als sog. Musserfordernis einer --zulässigen-- Klage (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) zu Unrecht oder nicht wirksam gesetzt, so erweist sich die Nichtberücksichtigung des weiteren Klagevorbringens und die Abweisung der Klage als unzulässig wegen unzutreffender Anwendung der Präklusionsvorschrift in § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 514).
Hingegen ist eine Klage zwingend als unzulässig abzuweisen, wenn die erfolglos abgelaufene Ausschlussfrist ordnungsgemäß und wirksam vom Gericht gesetzt worden und auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlussfrist entsprechend § 56 i.V.m. § 65 Abs. 2 Satz 3 FGO zu gewähren ist (BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 2006 VIII B 47/05, BFH/NV 2006, 1119; vom 27. Februar 2004 XI B 131/03, BFH/NV 2004, 973; vom 23. September 1998 IV B 130/97, BFH/NV 1999, 486).
3. a) Die Klägerin kann mit dem Vortrag, die ordnungsgemäß gesetzte Frist (vgl. zu den Anforderungen BFH-Beschluss in BFH/NV 2004, 514, m.w.N.; zu der nach Maßgabe der jeweiligen Umstände zu bestimmenden Angemessenheit der Ausschlussfrist BFH-Urteil vom 8. Juli 1998 I R 23/97, BFHE 186, 309, BStBl II 1998, 628, 629, m.w.N.: Angemessenheit einer Ausschlussfrist von drei Wochen sogar ohne vorgeschaltete formlose Fristsetzung nach § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO) sei nicht wirksam zugestellt worden (zur Zustellung BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 72/94, BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898), gemäß § 295 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 155 FGO nicht mehr gehört werden.
Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist nicht in der notwendigen Weise dargetan, wenn er nicht bereits ordnungsgemäß in der Vorinstanz gerügt worden ist. Auch bei der Rüge einer angeblich nicht ordnungsgemäßen Zustellung handelt es sich um einen sog. verzichtbaren Verfahrensmangel, bei dem insbesondere auch vorzutragen ist, dass dieser Mangel in der Vorinstanz ordnungsgemäß gerügt worden ist oder weshalb dies nicht möglich gewesen sein soll.
Die Klägerin hat sich, obwohl sie ausdrücklich mit dem der am 16. August 2007 zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung am 11. September 2007 beigefügten Begleitschreiben der Einzelrichterin vom 13. August 2007 auf den erfolglosen Ablauf der Ausschlussfrist mit der Folge der endgültigen Unzulässigkeit der Klage hingewiesen und die Verfahrenslage in mehreren Telefonaten am 10. September und 11. September 2007 erörtert worden ist, mit dem lapidaren Hinweis begnügt, die Ausschlussverfügung befinde sich nicht in ihren Akten. Sie hat von den prozessualen Möglichkeiten zur weiteren Aufklärung der näheren Umstände der Zustellung, z.B. durch Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 78 Abs. 1 FGO, nicht Gebrauch gemacht und sogar davon abgesehen, zum Zwecke weiterer Aufklärung zumindest den Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. September 2007 wahrzunehmen.
Ist für die Klägerin in der mündlichen Verhandlung niemand erschienen, obwohl das Finanzgericht (FG) zuvor eine Ausschlussfrist gesetzt hat und diese bereits abgelaufen war, so hat sie ihr Rügerecht durch ihr Nichterscheinen in der mündlichen Verhandlung verloren (vgl. BFH-Beschlüsse vom 22. Januar 2003 I B 13/02, BFH/NV 2003, 1055, betreffend eine Ausschlussfrist nach § 79b FGO; vom 29. Oktober 1999 III B 32/99, BFH/NV 2000, 580). § 295 ZPO steht gleichermaßen der Geltendmachung einer behaupteten Verletzung der Amtsermittlungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO entgegen (BFH-Beschluss vom 20. Februar 2008 VIII B 83/07, BFH/NV 2008, 978, m.w.N.).
b) Es entspricht gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass die Postzustellungsurkunde auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost eine öffentliche Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO darstellt, die den vollen Beweis für die darin bezeugten Tatsachen erbringt (vgl. ferner § 3 Abs. 2 Satz 1 des Verwaltungszustellungsgesetzes i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Ebenso entspricht es der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass ein Gegenbeweis i.S. von § 418 Abs. 2 ZPO grundsätzlich nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden kann. Dafür reicht nicht die bloße Behauptung, das betreffende Schriftstück nicht erhalten zu haben, weil es für die Wirksamkeit der Zustellung nicht darauf ankommt, ob und wann der Adressat das Schriftstück seinem Briefkasten entnommen und ob er es tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr den Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehensablaufes, der ein Fehlverhalten des Zustellers und eine Falschbeurkundung in der Zustellungsurkunde belegt. Erforderlich ist der volle Gegenbeweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr bezeugten Tatsachen ausgeschlossen wird (BFH-Beschluss vom 24. April 2007 VIII B 249/05, BFH/NV 2007, 1465, m.umf.N.).
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese Rechtsprechung zu § 418 ZPO auch von Verfassungs wegen nicht beanstandet (vgl. Kammerbeschluss vom 28. Februar 1992 2 BvR 1179/91, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1993, 254).
Soweit die Klägerin nunmehr erstmals vom Gericht bislang nicht festgestellte, gegen eine ordnungsgemäße Zustellung sprechende Umstände vorträgt, handelt es sich um neues Vorbringen, das im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht berücksichtigt werden kann (vgl. BFH-Beschlüsse vom 24. Februar 2006 III S 7/06, juris; vom 10. November 1999 VI B 388/98, BFH/NV 2000, 721; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 54 und § 132 Rz 6).
4. Ebenso wenig schlüssig ist die Verfahrensrüge, das FG habe zu Unrecht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Ausschlussfrist versagt, weil die Antragsfrist für die Wiedereinsetzung gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO noch nicht abgelaufen gewesen sei. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin überhaupt mit dem Schriftsatz vom 11. September 2007 einen ordnungsgemäßen Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt hat.
Zutreffend hat das FG ausgeführt, dass die zweiwöchige Antragsfrist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO mit dem Zugang des Hinweisschreibens vom 13. August 2007 der Einzelrichterin am 16. August 2007 zu laufen begonnen hat und deshalb im Zeitpunkt des Eingangs des Schriftsatzes vom 11. September 2007, mit dem die Klägerin eine Wiedereinsetzung beantragt haben will, bereits abgelaufen war.
Aus dem Hinweisschreiben war für die fachkundige Klägerin eindeutig erkennbar, dass eine Ausschlussfrist versäumt worden war mit der aufgezeigten Rechtsfolge der endgültigen Unzulässigkeit der Klage. Unterlässt die fachkundige Klägerin unter diesen Umständen einen --zumindest vorsorglichen-- Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, so handelt sie schuldhaft i.S. von § 56 Abs. 1 FGO, so dass auch eine Wiedereinsetzung in die Versäumung der Antragsfrist nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO nicht in Betracht käme (BFH-Beschlüsse vom 6. März 2006 X B 104/05, BFH/NV 2006, 1136; vom 29. Juli 1997 VII B 127/97, BFH/NV 1998, 64; ferner vom 19. Mai 2000 VIII B 13/00, BFH/NV 2000, 1358, und in BFH/NV 2006, 1119).
Die Sorge um die Einhaltung der Ausschlussfrist und die rechtzeitige Stellung eines ggf. gebotenen Wiedereinsetzungsantrags obliegt im Übrigen nicht dem Gericht, sondern der Klägerin und ihren Prozessbevollmächtigten (BFH-Beschluss in BFH/NV 1998, 64).
Fundstellen