Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine zulagenrechtliche Beteiligtenfähigkeit einer vollbeendeten OHG; Verfahrensmangel; fehlerhafte Anwendung von Ausschlussfristen; PZU als öffentliche Urkunde und Anforderungen an den Gegenbeweis; Kein neues Vorbringen im NZB-Verfahren; Sachaufklärungsrüge; Grundsätzliche Bedeutung
Leitsatz (NV)
- Stirbt ein Gesellschafter einer zweigliedrigen OHG, so muss der verbleibende Gesellschafter als Gesamtrechtsnachfolger zulagenrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen, die aus der Unternehmertätigkeit des Rechtsvorgängers abgeleitet werden, auch verfahrensrechtlich abwickeln.
- Die mit Verfügungen des Berichterstatters beim FG gesetzten Ausschlussfristen sind unwirksam, sofern die Verfügungen nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sind. Berücksichtigt das FG die im Klageverfahren nachgereichte Vollmacht und Klagebegründung nicht mehr und erlässt ein Prozessurteil, so liegt ein Verfahrensfehler vor.
- Die Postzustellungsurkunde erbringt auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost als öffentliche Urkunde den vollen Beweis hinsichtlich des in ihr beurkundeten Zustellungsvorgangs.
- Der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der PZU bezeugten Tatsachen geführt werden. Dafür genügt nicht das bloße Bestreiten bzw. der bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen.
Normenkette
FGO § 53 Abs. 2, § 62 Abs. 3 S. 3, § 65 Abs. 2 S. 2, § 76 Abs. 1, § 79b Abs. 2, §§ 107, 115 Abs. 2 Nrn. 1, 3, Abs. 3 S. 3, § 118 Abs. 2; InvZulG 1991 § 1 Abs. 1 S. 2; VwZG § 3 Abs. 3, § 9 Abs. 2; ZPO §§ 181, 195 Abs. 2, §§ 295, 418 Abs. 1-2
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Sie ist durch Beschluss zu verwerfen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―).
1. Beteiligt ist sowohl im Klageverfahren als auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nur der ehemalige Gesellschafter A, zugleich als Rechtsnachfolger der verstorbenen, früheren Gesellschafterin B.
Ein fiktives Bestehen der vollbeendeten OHG scheidet auch investitionszulagenrechtlich ―entgegen der vom Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) in der Einspruchsentscheidung vertretenen Auffassung― bereits deshalb aus, weil die OHG nur zweigliedrig war und die zweite Gesellschafterin, Frau B, am 5. Oktober 1993 verstorben ist, ohne dass an ihre Stelle weitere Gesellschafter getreten wären. Der Gesellschafter A war alleiniger Rechtsnachfolger (vgl. dazu das zur noch werbenden Personengesellschaft ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 18. September 1980 V R 175/74, BFHE 132, 348, BStBl II 1981, 293). Die OHG als solche konnte nicht mehr verfahrensbeteiligt sein (vgl. BFH-Urteil vom 21. Januar 1993 V R 59/88, BFH/NV 1994, 41, betreffend Umsatzsteuer, bei der ebenfalls die Gesellschaft als solche Steuerpflichtige ist, und Beschluss vom 25. September 1985 IV R 180/83, BFH/NV 1986, 171, zur Gewinnfeststellung). Auch im Investitionszulagenrecht ist die Gesellschaft als solche Anspruchsberechtigte (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 2 des Investitionszulagengesetzes 1991 ―InvZulG 1991―). Der Gesamtrechtsnachfolger muss Ansprüche und Verpflichtungen, die aus der Unternehmertätigkeit des Rechtsvorgängers abgeleitet werden, auch verfahrensrechtlich abwickeln (vgl. BFH-Urteil vom 17. Dezember 1992 V R 135/89, BFH/NV 1994, 354).
Eine eindeutig unzutreffende Parteibezeichnung ist gemäß § 107 FGO wegen offenbarer Unrichtigkeit jederzeit, und zwar auch vom BFH im Rechtsmittelverfahren zu berichtigen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. Januar 1988 IX R 155/83, BFH/NV 1990, 104, und vom 16. Februar 1993 V R 107/86, BFH/NV 1994, 355; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 107 FGO Tz. 3).
2. Im Streitfall ist danach zutreffend für das Beschwerdeverfahren nur noch eine Prozessvollmacht des verbliebenen Gesellschafters A eingereicht worden.
3. Die Rügen des Klägers und Beschwerdeführers (Beschwerdeführer) sind jedoch nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen bezeichnet worden (§ 115 Abs. 3 Satz 3 FGO).
Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn bei einem ordnungsgemäß geltend gemachten Verfahrensmangel die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann. Zur Bezeichnung eines Mangels i.S. von § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO müssen die zur Begründung der Rüge vorgetragenen Tatsachen ―als wahr unterstellt― die Schlussfolgerung auf den behaupteten Verfahrensmangel rechtfertigen. Unter diesen Voraussetzungen kann auch die fehlerhafte Anwendung von Ausschlussfristen einen Verfahrensmangel begründen (vgl. BFH-Beschluss vom 15. November 1994 VIII B 29/94, BFH/NV 1995, 886, m.w.N.).
Indes fehlt es im Streitfall an diesen Voraussetzungen.
a) Die durch Verfügung des Berichterstatters beim FG gesetzten Ausschlussfristen für die Vorlage der Prozessvollmacht nach § 62 Abs. 3 Satz 3 FGO und zur Bezeichnung des Klagebegehrens nach § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO sind unwirksam, sofern die Verfügung nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist. Berücksichtigt das Finanzgericht (FG) in einem solchen Fall die im Klageverfahren noch eingereichte Vollmacht sowie die Klagebegründung nicht mehr und erlässt ein Prozessurteil, so liegt ein Verfahrensfehler vor. Die mangelhafte Zustellung kann nach § 9 Abs. 2 des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG) i.V.m. § 53 Abs. 2 FGO nicht geheilt werden, wenn mit der Zustellung eine richterlich gesetzte Ausschlussfrist in Lauf gesetzt werden soll. Auf die Rüge eines nicht heilbaren Zustellungsmangels kann auch nicht verzichtet werden (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―; BFH-Urteil vom 25. November 1997 VII R 79/96, BFH/NV 1998, 1101).
b) Zur Bezeichnung eines derartigen Mangels gehört allerdings auch, dass der Mangel der Zustellung ordnungsgemäß vorgetragen wird.
aa) Soweit die Beschwerde behauptet, die Verfügung sei nicht in der Wohnung des Prozessbevollmächtigten zugestellt, sondern der im Nachbarhaus wohnenden Mutter des Prozessvertreters übergeben worden, trägt sie nicht hinreichend begründet vor, dass der Beschwerdeführer insoweit im erstinstanzlichen Verfahren einen derart abweichenden Geschehensablauf substantiiert dargelegt gehabt hätte.
Die Postzustellungsurkunde nach § 3 VwZG i.V.m. § 53 Abs. 2 FGO erbringt auch nach der Privatisierung der Deutschen Bundespost als öffentliche Urkunde i.S. von § 418 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 195 Abs. 2 ZPO den vollen Beweis hinsichtlich des darin beurkundeten Zustellungsvorgangs (BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1996 IX R 5/96, BFHE 183, 3, BStBl II 1997, 638, inzwischen ständige Rechtsprechung).
Der nach § 418 Abs. 2 ZPO zulässige Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsache geführt werden. Dafür genügt nicht das bloße Bestreiten bzw. der bloße Zweifel an der Richtigkeit der urkundlichen Feststellungen. Vielmehr ist vom Empfänger, der die wirksame Zustellung bestreitet, der volle Nachweis eines anderen Geschehensablaufs erforderlich (BFH-Beschluss vom 17. September 1991 V B 133/91, BFH/NV 1992, 321; BFH-Urteil vom 28. September 1993 II R 34/92, BFH/NV 1994, 291); d.h. die Beweiswirkung des § 418 Abs. 1 ZPO muss vollständig entkräftet werden.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer im erstinstanzlichen Verfahren insoweit überhaupt keinen Beweis angeboten hat (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 8. Februar 1989 X B 147/88, BFH/NV 1989, 481, 482), erbringt die erstmals im Beschwerdeverfahren vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Mutter des Prozessvertreters als bloßes Mittel zur Glaubhaftmachung (vgl. § 294 ZPO) jedenfalls keinen Gegenbeweis (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 1992, 321, und vom 14. November 1977 VIII B 52/77, BFHE 124, 5, BStBl II 1978, 156, ständige Rechtsprechung).
Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers durfte das FG entsprechend der Beweiswirkung der Postzustellungsurkunde als öffentlicher Urkunde nach § 418 Abs. 1 ZPO von der Richtigkeit der beurkundeten Tatsache, nämlich der Übergabe des Schriftstücks an die Mutter des Prozessvertreters in der Wohnung des Prozessbevollmächtigten, ausgehen (vgl. auch BFH-Beschluss vom 6. April 1992 IV R 78/91, BFH/NV 1993, 300, m.w.N.; BFH-Urteil vom 1. Dezember 1988 V R 125/83, BFH/NV 1989, 523, 524).
bb) Auch die weitere Rüge, die Mutter des Prozessvertreters sei keine zu dessen Familie gehörende erwachsene Hausgenossin oder eine der Familie dienende erwachsene Person i.S. von § 181 ZPO i.V.m. § 3 Abs. 3 VwZG und § 53 Abs. 2 FGO, ist nicht ausreichend begründet.
Der Beschwerdeführer hat im erstinstanzlichen Verfahren im Zusammenhang mit dem hilfsweise gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 56 FGO im Schriftsatz vom 2. Juli 1998, eingegangen beim FG am 6. Juli 1998, zur Frage der Verhältnisse der Ersatzperson i.S. des § 181 ZPO gar nichts vorgetragen. Soweit er nun mit der Beschwerde erstmals ―allerdings wiederum ohne nähere Erläuterungen― die Voraussetzungen nach § 181 Abs. 1 ZPO bestreitet, handelt es sich um ein neues, im Rahmen des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu berücksichtigendes Vorbringen (vgl. § 118 Abs. 2 FGO; BFH-Beschluss vom 10. März 1995 VIII B 98/94, BFH/NV 1995, 992).
cc) Die Rüge, das FG hätte spätestens nach Erhalt des Wiedereinsetzungsantrags ermitteln müssen, ob der Mutter der Brief zugestellt worden sei, wobei dann festgestellt worden wäre, dass eine unzulässige Zustellung erfolgt sei, bezeichnet ebenso wenig hinreichend einen Verfahrensmangel.
Der Beschwerdeführer hat keine Tatsachen vorgetragen, deren Ermittlung sich der Vorinstanz hätte aufdrängen müssen (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 2. November 1993 V B 137/93, BFH/NV 1994, 797, 798).
Wie ausgeführt (unter Ziff. II. 3. b aa), hat der Beschwerdeführer die beurkundete Tatsache, die Zustellung sei durch Übergabe an die Mutter des Prozessvertreters in dessen Wohnung als Ersatzperson erfolgt, nicht gegenbeweislich substantiiert erschüttert. Für das FG bestand unter diesen Umständen, zumal der Beschwerdeführer als Steuerberater und Wirtschaftsprüfer zu den einschlägig fachkundigen Berufsangehörigen gehört, kein Anlass, von sich aus den Sachverhalt weiter aufzuklären. Der Beschwerdeführer hat im erstinstanzlichen Verfahren zudem weder den Sachverhalt näher erläutert noch irgendwelche substantiierten Beweisantritte unterbreitet. Insbesondere war ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 18. November 1998, obwohl doch aus der Sicht des wiederum fachkundig vertretenen Beschwerdeführers dazu offensichtlich Anlass bestanden hätte, in der mündlichen Verhandlung zur Problematik der Zustellung nichts weiter vorgetragen worden.
c) Die Beschwerde legt schließlich auch nicht die grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich der aufgeworfenen Rechtsfrage dar, ob die Zustellung an nicht im Haus wohnende und nicht im Haus befindliche Personen die Präklusionswirkungen der §§ 65, 62 bzw. 79b FGO in Lauf setzen könnten.
Die Beschwerde führt nichts zur Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage aus. Ebenso wenig macht sie Ausführungen zur über den Streitfall hinausgehenden Bedeutung für die Allgemeinheit (vgl. zu diesen Anforderungen BFH-Beschluss vom 11. Februar 1999 III B 91/98, BFH/NV 1999, 1122). Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die die Ausschlussfrist setzende Verfügung erst mit der ordnungsgemäßen Zustellung wirksam wird (vgl. BFH-Urteil vom 12. September 1995 IX R 72/94, BFHE 178, 546, BStBl II 1995, 898, m.w.N.). Zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Zustellung, die sich keineswegs nur auf den engeren Bereich des Setzens richterlicher Ausschlussfristen beschränkt, bestehen abschließende gesetzliche Regelungen (vgl. § 3 Abs. 3 VwZG i.V.m. §§ 180 ff. ZPO) sowie eine umfassende Rechtsprechung (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Januar 1994 VIII R 45/92, BFHE 173, 213, BStBl II 1994, 603, sowie die Nachweise oben unter Ziff. 3. a und b).
Die Beschwerde setzt sich mit dieser Rechtsprechung und insbesondere auch dem Fachschrifttum nicht auseinander.
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat nach Art. 1 Nr. 6 BFHEntlG ab.
Fundstellen
Haufe-Index 425127 |
BFH/NV 2000, 844 |