Entscheidungsstichwort (Thema)
Ergänzung der Klageschrift gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO
Leitsatz (NV)
1. § 65 FGO ist eine das Gerichtsverfahren regelnde Norm. Der Senat läßt offen, ob, wenn die Verletzung dieser Vorschrift den Inhalt des angefochtenen Urteils selbst bildet, unter dem Gesichtspunkt des sog. "error in iudicando" kein Verfahrensmangel im Sinne des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, sondern ein materiell-rechtlicher Fehler vorliegt.
2. Die dem Kläger gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO aufgegebene Ergänzung der Klageschrift ist dem FG gegenüber vorzunehmen. Das Einreichen einer Steuererklärung beim FA -- zur Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens -- genügt deshalb nicht, um einer entsprechenden Verfügung des FG nachzukommen. Dies gilt selbst für den Fall, daß das FA den Berichterstatter beim FG vom Eingang der Steuererklärung in Kenntnis setzt.
3. § 47 Abs. 2 FGO ist nicht -- auch nicht entsprechend -- auf die Ergänzung der Klageschrift gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO anwendbar.
4. Ob ein Kläger der Aufforderung zur Ergänzung der Klageschrift dadurch hinreichend nachkommt, daß er die Steuererklärung dem FA einreicht und zugleich selbst dem FG davon Mitteilung macht, bleibt offen.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 2, § 65 Abs. 1-2, § 115 Abs. 2 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -- FA --) erließ am 24. August 1993 gegenüber der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) einen Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1991, mit dem er wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Umsatzsteuer schätzte. Der Einspruch der Klägerin blieb mangels Begründung erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 1. Dezember 1993).
Nach Eingang der Klage vom 4. Januar 1994 forderte der Vorsitzende des Senats des Finanzgerichts (FG) die Klägerin am 11. Januar 1994 auf, die Klagebegründung innerhalb einer Frist von vier Wochen einzureichen. Am 15. Februar 1994 ging die Umsatzsteuererklärung der Klägerin beim FA ein. Nachdem der vom Vorsitzenden bestellte Richter (Berichterstatter) am 16. Februar 1994 telefonisch von der Sachbearbeiterin des FA die (unzutreffende) Auskunft bekommen hatte, die Umsatzsteuererklärung sei noch nicht eingegangen, forderte er mit Schreiben vom 16. Februar 1994 die Klägerin auf, den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen, und setzte hierfür gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Frist von zwei Wochen. Die Verfügung wurde dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 22. Februar 1994 zugestellt. Am 23. Februar 1994 erhielt der Berichterstatter telefonisch durch die Sachbearbeiterin des FA Kenntnis vom Eingang der Umsatzsteuer erklärung.
In der mündlichen Verhandlung vom 11. April 1994 beantragte die Klägerin, den Umsatzsteuerbescheid entsprechend der beim FA eingereichten Steuererklärung zu ändern.
Das FG wies die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, die Klägerin habe nicht innerhalb der gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Ausschlußfrist den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnet. Sie habe dem Gericht weder die Umsatzsteuererklärung (im Original oder in Kopie) vorgelegt noch einen Hinweis auf deren Einreichung beim FA gegeben. Die Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO müsse zum einen vom Kläger (nicht vom FA) und zum anderen gegenüber dem Gericht (nicht dem FA) vorgenommen werden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden, weil die Versäumung der Frist nicht unverschuldet sei. Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin habe sich nicht mit dem Hinweis der Sachbearbeiterin des FA begnügen dürfen, sie habe das Gericht vom Vorliegen der Steuererklärung in Kenntnis gesetzt, ohne sich vor Ablauf der Frist beim Berichterstatter zu erkundigen, ob hierdurch die Auflage des Gerichts erfüllt und der Gegenstand des Klagebegehrens ausreichend bezeichnet worden sei.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin, das erstinstanzliche Urteil verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör und stehe in Widerspruch zum Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 16. März 1988 I R 93/84 (BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895). Die ihr vom Berichterstatter gesetzte Frist von zwei Wochen sei zu kurz bemessen gewesen. Außerdem trägt die Klägerin vor, ihr Prozeßbevollmächtigter habe nach Zugang der fristsetzenden Verfügung des Berichterstatters von der Sachbearbeiterin des FA erfahren, daß diese dem Berichterstatter den Eingang der Umsatzsteuer erklärung mitgeteilt habe. Ihr Prozeßbevollmächtigter habe deshalb davon ausgehen können, daß die Fristsetzung ihre Bedeutung verloren habe. Ferner rügt die Klägerin, der Berichterstatter habe es versäumt, ihr die Vorlage von Kopien der Umsatzsteuererklärung aufzugeben, nachdem er von deren Eingang beim FA erfahren habe.
Entscheidungsgründe
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin macht sinngemäß geltend, mit der Einreichung der Umsatzsteuererklärung beim FA und der diesbezüglichen telefonischen Mitteilung an den Berichterstatter des FG seien die Auflagen des FG erfüllt gewesen, so daß die Klage nicht wegen fehlender Bezeichnung des Klagebegehrens (§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO) hätte abgewiesen werden dürfen. Ferner trägt sie Umstände vor, die aus ihrer Sicht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 65 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 56 FGO) begründen könnten.
a) Der Senat läßt offen, ob die Klägerin mit diesem Vorbringen einen die Zulassung der Revision ermöglichenden Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügt. Verfahrensmängel im Sinne dieser Vorschrift sind Verstöße des FG gegen die Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechts (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 115 Rz. 25). Die Vorschrift des § 65 FGO ist eine das Gerichtsverfahren regelnde Norm. Allerdings wird die Auffassung vertreten, trotz Verstoßes gegen Verfahrensrecht liege ein Verfahrensmangel i. S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht vor, wenn die Rechtsverletzung den Inhalt des angefochtenen Urteils selbst bilde (sog. error in iudicando im Gegensatz zum error in procedendo; vgl. dazu BFH- Beschlüsse vom 27. Februar 1986 IV B 6/85, BFHE 146, 204, BStBl II 1986, 492; vom 10. November 1987 V B 19/85, BFH/NV 1988, 448; vom 24. Mai 1988 IV B 125/87, BFH/NV 1989, 175). Gegen diese Auffassung werden jedoch beachtliche Bedenken erhoben (Gräber/Ruban, a.a.O., 3. Aufl., § 115 Rz. 25 a).
b) Der Senat kann die Entscheidung dieser Streitfrage dahinstehen lassen, weil sich, selbst wenn der Senat zugunsten der Klägerin von der Rüge eines Verfahrensmangels ausgeht, diese Rüge als unbegründet darstellt. Denn das FG hat § 65 Abs. 2 Satz 2 oder 3 FGO nicht verletzt.
aa) Die Klage wurde vom FG zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil die Klägerin in der ihr gemäß § 65 Abs. 2 Satz 2 FGO gesetzten Ausschlußfrist den Gegenstand des Klagebegehrens im Wege der Ergänzung nicht bezeichnet hat. Die der Klägerin aufgegebene Prozeßhandlung war dem Gericht gegenüber vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895 zu § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung). Das Einreichen einer Steuererklärung (die an sich zur Bezeichnung des Klagebegehrens geeignet ist, vgl. BFH-Urteil in BFHE 153, 290, BStBl II 1988, 895) beim FA erfüllt nicht diese Anforderung des § 65 Abs. 2 FGO (FG Hamburg, Urteil vom 10. September 1993 VII 5/93, Entscheidungen der Finanzgerichte -- EFG -- 1994, 160; FG Köln, Urteil vom 16. September 1993 4 K 4172/92, EFG 1994, 303; FG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Februar 1994 6 K 89/93, EFG 1994, 844; EFG-Beilage 1/1994, S. 3).
bb) Die Vorschrift des § 47 Abs. 2 FGO, wonach die Klageschrift auch bei dem FA angebracht werden kann, ist nicht -- auch nicht entsprechend -- anwendbar (FG Hamburg in EFG 1994, 160; FG Köln in EFG 1994, 303). Obwohl es sich bei der Bezeichnung des Gegenstandes des Klagebegehrens um eine unerläßliche Voraussetzung ordnungsgemäßer Klageerhebung handelt, fällt die Bezeichnung im Wege der Ergänzung nicht in den Regelungsbereich des § 47 Abs. 2 FGO; denn diese Vorschrift betrifft nur das Anbringen der Klageschrift (§ 47 Abs. 2 Satz 2 FGO), mit der die Klage erhoben wird, nicht jedoch Ergänzungen der Klageschrift gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO. Eine entsprechende Anwendung des § 47 Abs. 2 FGO ist nicht geboten. Die Vorschrift soll dem Kläger den Zugang zum Gericht erleichtern (BFH-Urteil vom 28. Februar 1978 VIII R 112/75, BFHE 124, 494, BStBl II 1978, 376). Einer solchen Erleichterung bedarf es nicht, wenn der Kläger eine vom Gericht an ihn adressierte Verfügung zu erfüllen hat.
cc) Die Einreichung der Umsatzsteuererklärung beim FA war demnach im Streitfall nicht geeignet, der Aufforderung des Berichterstatters innerhalb der Ausschlußfrist nachzukommen. Desgleichen reichte es nicht, daß der Berichterstatter von der Einreichung der Steuererklärung Kenntnis erlangte, sei es auch durch eine Mitteilung des FA. Denn es obliegt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO dem Kläger, in der Klageschrift den Gegenstand des Klagebegehrens zu bezeichnen. Dementsprechend ist die Aufforderung zur Ergänzung der Klage gemäß § 65 Abs. 2 Satz 1 FGO vom Vorsitzenden oder Berichterstatter des zuständigen Senats des FG an den Kläger zu richten, was im Streitfall auch geschehen ist, und von diesem (oder seinem Vertreter) gegenüber dem FG zu erfüllen.
Ob ein Kläger der Aufforderung zur Ergänzung der Klageschrift dadurch hinreichend nachkommt, daß er die Steuererklärung dem FA einreicht und zugleich selbst dem FG davon Mitteilung macht (bejahend FG Köln in EFG 1994, 303; entgegen FG Baden-Württemberg in EFG 1994, 844), braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil im Streitfall die Klägerin innerhalb der Ausschlußfrist keine entsprechende Mitteilung an das FG gerichtet hat.
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren.
Der Senat sieht gemäß Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs von der Angabe weiterer Gründe ab.
Fundstellen