Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstellung der Vollstreckung durch einstweilige Anordnung
Leitsatz (NV)
1. Zum Sonderfall einer Vollstreckung durch Pfändung aufgrund eines nicht ergangenen Duldungsbescheids und einer nicht zugestellten Arrestanordnung.
2. Zum Eintreten wesentlicher Nachteile im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO.
Normenkette
AO 1977 §§ 258, 324 Abs. 3 S. 2; FGO § 114 Abs. 1 S. 2, § 138 Abs. 1-2; ZPO § 920 Abs. 2
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine in Gründung befindliche GmbH, beantragte beim Finanzgericht (FG) am 23. Januar ... den Erlaß einer einstweiligen Anordnung dahingehend, daß eine am selben Tage gegenüber der A-Bank ausgebrachte Pfändung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt -- FA --) aufzuheben, hilfsweise insoweit aufzuheben sei, daß die in der Antragsschrift aufgeführten betriebsnotwendigen Zahlungen geleistet werden könnten. Zur Begründung trug sie vor, die A-Bank habe der dort vorsprechenden Mitarbeiterin des Geschäftsführers der Antragstellerin mitgeteilt, über das Guthaben der Antragstellerin könne wegen der Pfändung nicht verfügt werden. Eine Kopie der Pfändung könne man ihr nicht mitgeben. Ferner erklärte die Antragstellerin, die in der Pfändung genannte Arrestanordnung sei ihr nicht bekanntgegeben worden. Auch ein Duldungsbescheid sei ihr nicht bekannt. Wegen der Pfändung könnten die -- im einzelnen bezifferten -- Löhne, Mieten, Gebühren usw. in Höhe von ... DM nicht gezahlt werden; wenn die Zahlungen zum Monatsende nicht erfolgten, müsse schon in der Gründungsphase Konkurs angemeldet werden. Würden keine Personalkosten gezahlt, könnten die Mitarbeiter nicht mehr arbeiten, ... -- Kosten nicht bezahlt werden. Die Auswertungen würden gesperrt. Mangels Miet- und Leasingzahlungen würden dem Betrieb Räume und Betriebsausstattung genommen.
Das FG lehnte den Antrag am 24. Januar ... als unbegründet ab, nachdem es per Telefax Kopien von der der Pfändung zugrundeliegenden Arrestanordnung vom 22. Januar ... , der Kontenpfändung gegenüber der A-Bank vom 23. Januar ... und einem Anfechtungs- und Duldungsbescheid gegen die Antragstellerin vom 22. Januar ... erhalten hatte.
Zur Begründung der Ablehnung führte das FG aus, für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung fehle es jedenfalls an einem Anordnunganspruch. Nach § 324 Abs. 3 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) sei die Vollziehung der Arrestanordnung vom 22. Januar ... , die bisher noch nicht bekanntgegeben worden sei, auch schon vor Zustellung an den Arrestschuldner zulässig, wenn die Zustellung innerhalb einer Woche nach der Vollziehung erfolge. Eine Rechtswidrigkeit der der Kontenpfändung zugrundeliegenden Arrestanordnung bzw. des Duldungsbescheids habe es bei summarischer Prüfung nicht erkennen können.
Mit ihrer am 4. Februar ... hiergegen eingelegten Beschwerde, der das FG mit Beschluß vom 12. Februar ... nicht abhalf, machte die Antragstellerin geltend, der Beschluß sei am 24. Januar ... verfahrenswidrig zustandegekommen, weil sie zu den dem FG vom FA an diesem Tage per Fax zugeleiteten Unterlagen mangels Zuleitung auch an sie, ggf. per Fax, und dementsprechend mangels Kenntnis nicht habe Stellung nehmen können, was umgehend (per Fax) erfolgt wäre. Nach telefonischen Angaben des Gerichts lägen diesem u. a. der Duldungsbescheid und die Arrestanordnung vor, auf die sich die Pfändung beziehe. Beide seien der Antragstellerin noch immer nicht bekannt. § 324 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 setze voraus, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Anwendung vorlägen. Daran fehle es. Im übrigen sei inzwischen auch die Frist von einer Woche verstrichen, so daß diese Begründung der Ablehnung der einstweiligen Anordnung nicht mehr gegeben sei.
Mit Schreiben vom 15. März ... erklärte die Antragstellerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Die Arrestanordnung sei im Rahmen der gegen diese gerichteten Klage durch FG-Urteil vom 20. Februar ... bei Kostenlast des FA aufgehoben worden; infolge dieser Entscheidung sei auch die Pfändung aufgehoben worden.
Das FA erklärte gleichfalls Erledigung der Hauptsache. Es beantragt, der Antragstellerin die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Ungeachtet der späteren gerichtlichen Aufhebung der Arrestanordnung habe dem Antrag auf einstweilige Anordnung der Erfolg in jedem Fall versagt bleiben müssen. Der Antrag sei bereits unzulässig gewesen, weil es sich bei der Pfändungsmaßnahme um einen belastenden Verwaltungsakt gehandelt habe, gegen den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur ein Antrag nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig sei.
Das FA hat der Antragstellerin zwischenzeitlich mitgeteilt, der Duldungsbescheid vom 22. Januar ... sei nicht wirksam bekanntgegeben worden; damit habe sich der Einspruch der Antragstellerin vom 31. Januar ... erledigt.
Entscheidungsgründe
Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist nur noch über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung ist nach § 138 Abs. 1 FGO zu treffen. § 138 Abs. 2 Satz 1 FGO ist nicht anwendbar, denn der Rechtsstreit hat sich nicht durch Rücknahme eines in diesem Verfahren "angefochtenen" Verwaltungsakts erledigt.
Nach § 138 Abs. 1 FGO hat der beschließende Senat nach billigem Ermessen über die Auferlegung der Kosten zu entscheiden, wobei der bisherige Sach- und Streitstand zu berücksichtigen ist. Eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht erforderlich; auch einer eingehenden Prüfung der Rechtslage bedarf es nicht (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 10. November 1971 I B 14/70, BFHE 104, 39, BStBl II 1972, 222).
Im Streitfall ist es danach gerechtfertigt, dem FA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Wie sich aus der Aufhebung sämtlicher Bescheide ergibt, die der ausgebrachten Pfändung zugrundelagen, hat es das FA versäumt, in einem rechtsstaatlich einwandfreien Verfahren seine Ansprüche gegenüber der Antragstellerin geltend zu machen. Es hat durch die Pfändung des Kontos der Antragstellerin Anlaß zu dem in diesem Zeitpunkt der Antragstellerin -- mangels Bekanntgabe der Arrestanordnung an sie -- verfahrensrechtlich allein möglichen Mittel der einstweiligen Anordnung gegeben und es auch in der Folgezeit versäumt, durch rechtzeitige Zustellung der der Pfändung zugrundeliegenden Arrestanordnung zu bewirken, daß die nach § 324 Abs. 3 Satz 2 AO 1977 (vorläufig) zulässige Pfändung ihre Wirkung behält. Im Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde war die Pfändung -- für alle Beteiligten erkennbar -- ohne Wirkung; wie von der Antragstellerin bereits im Antrag auf einstweilige Anordnung vorgetragen, fehlte ihr zudem -- wie nach Abschluß des Klageverfahrens gegen die Arrestanordnung feststeht -- die Rechtsgrundlage. In diesem Sonderfall der Vollstrekung durch Pfändung aufgrund eines nicht ergangenen Duldungsbescheids und einer noch nicht zugestellten Arrestanordnung ist anzunehmen, daß die Aufhebung der Pfändung wegen Unbilligkeit der Vollstrekung (§ 258 AO 1977) die einzig mögliche (Ermessens-)Entscheidung war, mithin ein Anordnungsanspruch gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung vorlag (vgl. hierzu auch die zur unzulässigen Rechtsausübung führenden Gesichtspunkte im BFH-Beschluß vom 29. November 1984 V B 44/84, BFHE 142, 418, BStBl II 1985, 194, 196).
Die Antragstellerin hat auch den erforderlichen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Durch die Pfändung war es ihr, deren Betriebsmittel vorläufig in den Geldern bestanden, die der mögliche Anfechtungsgegner ihr übertragen hatte, nach ihren glaubhaften Bekundungen unmöglich, ihre zum Monatsende fällig werdenden, ausschließlich der Betriebsführung dienenden Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen. Dies hätte -- auch wenn es nicht zu der vorgetragenen Betriebseinstellung (Konkurs) gekommen wäre -- so gravierende Auswirkungen auf die Fortführung des Betriebs gehabt, daß bei Abwägung des privaten Interesses der GmbH an einer ungehinderten Erfüllung ihrer (zur Aufrechterhaltung des Betriebs als solchem erforderlichen) Zahlungspflichten einerseits und dem öffentlichen Interesse an der Sicherstellung der (von ihr möglicherweise anfechtbar erhaltenen) Geldmittel andererseits die Aufhebung der konkreten Pfändungsmaßnahme unumgänglich gewesen wäre, um das Eintreten wesentlicher Nachteile (im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO) für die Antragstellerin zu verhindern, zu deren nachträglichen Beseitigung eine Entscheidung in der Hauptsache (Feststellung der Nichtexistenz eines Anfechtungs- und Duldungsbescheids) nicht mehr geeignet ge wesen wäre (vgl. zur Interessenabwägung unter Berücksichtigung der jeweiligen Folgen bei Erfolg bzw. Mißerfolg im Haupt sacheverfahren Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 114 Rdnr. 49, 51, und den Hinweis des Großen Senats, daß die einstweilige Anordnung keine Besonderheit des finanzgerichtlichen Verfahrens ist, BFH-Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85, BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637 zu C I 3).
Fundstellen
Haufe-Index 419925 |
BFH/NV 1995, 6 |