Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen und individuellem Mehrbedarf bei Forderungspfändung
Leitsatz (NV)
1. Bei Forderungspfändungen durch die Vollstreckungsbehörde gelten nach §319 AO 1977 Beschränkungen und Verbote, die u. a. nach §§850--852 ZPO für die Pfändung von Forderungen bestehen, sinngemäß (st. Rspr.).
2. Zu den berücksichtigungsfähigen Unterhaltszahlungen gehören Unterhaltsleistungen an den gesetzlich unterhaltsberechtigten und tatsächlich unterhaltsbedürftigen (früheren) Ehegatten auch dann, wenn sie durch gerichtlichen Vergleich oder eine Scheidungsvereinbarung geregelt worden sind.
3. Nach §850 f Abs. 1 Buchst. a ZPO ist eine Überprüfung des pfändungsfreien Betrages im Hinblick auf den individuellen Sozialhilfebedarf des Vollstreckungsschuldners geboten.
4. Dauerhafter krankheitsbedingter Mehrbedarf kann nach der Härteregelung des §850 f Abs. 1 Buchst. b ZPO über die pauschale Regelung des §850 c ZPO hinaus zu berücksichtigen sein.
Normenkette
AO 1977 § 319; ZPO §§ 850, 850c, 850f
Tatbestand
1. Der als Haftungsschuldner für rückständige Umsatzsteuerschulden einer GmbH in Anspruch genommene Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) befindet sich in der Beitreibung. Nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen in das Vermögen pfändete der Beklagte (das Finanzamt -- FA --) Rentenansprüche des Beschwerdeführers durch eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung in Höhe von monatlich 311,50 DM. Der pfändungsfreie Betrag in Höhe von 1 998,53 DM wurde nach der Tabelle zu §850 c der Zivilprozeßordnung (ZPO) ermittelt, wobei der Beschwerdeführer selbst und die einkommens- und vermögenslose Ehefrau berücksichtigt wurden. Die aufgrund einer Scheidungsvereinbarung aus dem Jahre 1978 geleisteten 100 DM monatlichen Unterhaltszahlungen an die frühere Ehefrau berücksichtigte das FA bei der Ermittlung des pfändungsfreien Betrages nicht. Auch der Einwand des Beschwerdeführers, er leide an einer Krebserkrankung und stehe schlechter als ein Sozialhilfeempfänger, führte nicht zu einer Erhöhung des pfändungsfreien Betrages. Den mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage verbundenen Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe (PKH) hat das Finanzgericht (FG) als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde.
Entscheidungsgründe
2. Die Beschwerde ist zulässig und begründet (§§128 Abs. 1, 142 der Finanzgerichtsordnung -- FGO -- i. V. m. §114 ZPO).
Anspruch auf Gewährung von PKH hat nach §142 Abs. 1 FGO i. V. m. §114 ZPO ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, sofern die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Der Antrag auf PKH durfte -- bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Prüfung -- nicht wegen fehlender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt werden. Hierfür genügt es, daß bei summarischer Prüfung und Würdigung der wichtigsten Umstände der vom Beschwerdeführer begehrte Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat (vgl. Senatsbeschluß vom 3. Mai 1994 VII B 265/93, BFH/NV 1994, 762). Das ist im Streitfall zu bejahen.
Bei Forderungspfändungen durch die Vollstreckungsbehörde gelten nach §319 der Abgabenordnung (AO 1977) Beschränkungen und Verbote, die u. a. nach §§850 bis 852 ZPO für die Pfändung von Forderungen bestehen, sinngemäß (Bundesfinanzhof -- BFH --, ständige Rechtsprechung, s. zuletzt BFH-Urteil vom 24. Oktober 1996 VII R 113/94, BFHE 181, 552, BStBl II 1997, 308, m. w. N.). Die Entscheidung des FG geht daher zutreffend davon aus, daß die Verweisung in §319 AO 1977 für die Pfändung von Rentenansprüchen die Vorschriften des §54 des Sozialgesetzbuches I -- SGB -- (Rentenzahlung als laufende Geldleistung) und die hier in Betracht kommenden Regelungen des §850 c und §850 f Abs. 1 ZPO erfaßt. Sie läßt allerdings die notwendige eigenständige Prüfung der Erfolgsaussichten des klägerischen Begehrens vermissen.
Nach den pauschalen Pfändungsschutzregelungen in §850 c Abs. 1 Satz 2 ZPO sind bei der Ermittlung der der Pfändung unterliegenden Beträge des Arbeits- bzw. Renteneinkommens (§54 SGB I) Unterhaltsleistungen des Schuldners, die er aufgrund einer gesetzlichen Unterhaltsverpflichtung seinem früheren Ehegatten gewährt, zu berücksichtigen. Zu den berücksichtigungsfähigen Unterhaltszahlungen gehören grundsätzlich nur die gesetzlichen, nicht auch vertragliche Unterhaltsverpflichtungen, wobei jedoch die vertragliche Ausgestaltung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht -- z. B. durch einen gerichtlichen Vergleich oder eine Scheidungsvereinbarung -- nicht schadet (Zöller/Stöber, Zivilprozeßordnung, 20. Aufl., §850 c Rz. 5; Stöber, Forderungspfändung 1990, Rz. 1059; so auch Buciek, Der Betrieb -- DB -- 1988, 882, 883). Die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers ist grundsätzlich gesetzlich Unterhaltsberechtigte (§§1569 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --).
Aufgrund der Sachdarstellung des Beschwerdeführers und der vorgelegten gerichtlichen Scheidungsvereinbarung von 1978 -- zu deren Zustandekommen und Fortbestehen die geschiedene Ehefrau im Hauptsacheverfahren ggf. als Zeugin befragt werden müßte -- sowie der monatlichen Überweisungsbelege über die laufenden Unterhaltszahlungen in Höhe von 100 DM, hält der Senat es für wahrscheinlich, daß der Beschwerdeführer zur Leistung von Unterhalt an die geschiedene Ehefrau nach §§1569 ff. BGB gesetzlich verpflichtet ist und daß diese gesetzliche Verpflichtung durch die von den Ehegatten für die Zeit nach der Scheidung getroffene Unterhaltsvereinbarung -- hier also durch den Scheidungsvergleich -- geregelt wurde (vgl. Palandt/Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 57. Aufl., §1569 Rz. 9). Er hält es weiter für wahrscheinlich, daß mit einer Änderung der Scheidungsvereinbarung wegen des fortgeschrittenen Alters der früheren Ehefrau (geb. 1930) nicht mehr zu rechnen ist. Eigene Einkünfte der geschiedenen Ehefrau sind nicht erkennbar geworden. Das FG wird diesen Sachverhalt im Rahmen seiner Sachaufklärungspflicht nach §76 FGO noch näher aufzuklären (vgl. BFH/NV 1994, 762, 763) und dabei zu berücksichtigen haben, daß nach den insoweit ebenfalls entsprechend anzuwendenden Beweislastregelungen des Zivilrechts nicht der Schuldner, sondern der Gläubiger für das Vorhandensein von Einkünften des Unterhaltsberechtigten und ihre Höhe darlegungs- und beweispflichtig ist (vgl. §850 c Abs. 4 ZPO; Zöller/Stöber, a. a. O., §850 c Rz. 14). Erst dann, wenn feststeht, daß die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers über eigene Einkünfte verfügt, die ihre Unterhaltsbedürftigkeit in Frage stellen, ist nach billigem Ermessen abzuwägen, ob diese unterhaltsberechtigte Person bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Renteneinkommens des Beschwerdeführers ganz oder teilweise unberücksichtigt bleibt (§850 c Abs. 4 ZPO; s. dazu Zöller/Stöber, a. a. O., §850 c Rz. 15 f., und Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Juni 1984 4 AZR 339/82, DB 1984, 2466, 2467).
Im Hinblick auf den tatsächlich an die frühere Ehefrau gewährten Unterhalt (vgl. dazu Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozeßordnung, 56. Aufl., §850 c Rz. 5) erscheint die beabsichtigte Klage deshalb nicht aussichtslos.
Nicht ausgeschlossen ist auch, daß nach der Härteregelung des §850 f ZPO zugunsten des Beschwerdeführers eine Erhöhung des pfändungsfreien Betrages über den vom FA nach der Tabelle zu §850 c ZPO pfändungsfrei belassenen Rentenbetrag hinaus in Betracht kommt. Der Beschwerdeführer hat -- unwidersprochen -- geltend gemacht, er leide an einer Krebserkrankung. Für solche Fälle sieht die Regelung des §850 f Abs. 1 Buchst. b in gewissem Umfang eine über die pauschale Regelung des §850 c ZPO hinausgehende Berücksichtigung der individuellen krankheitsbedingten persönlichen Bedürfnisse des Vollstreckungsschuldners vor (vgl. Zöller/Stöber, a. a. O., §850 f Rz. 1; Buciek, DB 1988, 882, m. w. N.). Hier wird ein eventuell krankheitsbedingter Mehrbedarf -- veranlaßt etwa durch die Zuzahlungspflicht bei Medikamenten etc. -- zu ermitteln und ggf. zu berücksichtigen sein.
Nach §850 f Abs. 1 Buchst. a ZPO ist im übrigen eine Überprüfung des pfändungsfreien Betrages im Hinblick auf den individuellen Sozialhilfebedarf des Beschwerdeführers geboten. Durch §850 f Abs. 1 Buchst. a ZPO ist nämlich nunmehr klargestellt, daß dem Schuldner der nach dem 2. Abschn. des Bundessozialhilfegesetzes zu bemessende Betrag zu belassen ist (vgl. Zöller/Stöber, a. a. O., §850 f Rz. 6).
Das FG wird im übrigen bei seiner erneuten Entscheidung prüfen müssen, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers die Gewährung von PKH rechtfertigen. Der Senat sieht davon ab, die nach den vorstehenden Ausführungen erforderlichen Prüfungen selbst vorzunehmen, damit den Beteiligten nicht eine Instanz genommen wird (BFH/NV 1994, 762, 763).
Fundstellen
Haufe-Index 302894 |
BFH/NV 1999, 6 |