Entscheidungsstichwort (Thema)
Missbräuchlicher Befangenheitsantrag; Gegenvorstellung; Kosten
Leitsatz (NV)
- Ein Befangenheitsantrag ist rechtsmissbräuchlich, wenn der Antragsteller immer wieder ohne ausreichenden Grund Richter ablehnt, die ihm nachteilige Entscheidungen fällen.
- Für die Entscheidung über einen rechtsmissbräuchlichen Befangenheitsantrag bedarf es weder einer dienstlichen Äußerung des abgelehnten Richters nach § 44 Abs. 3 ZPO noch ist der abgelehnte Richter nach § 45 Abs. 1 ZPO von der Mitwirkung bei der Entscheidung über den Antrag ausgeschlossen.
- Eine Gegenvorstellung ist nur statthaft, wenn der Antragsteller geltend macht, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs beruht, unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters ergangen oder greifbar gesetzwidrig ist.
- Der Vertretungszwang nach § 62a FGO erstreckt sich auch auf die Gegenvorstellung, sofern diese ein Verfahren betrifft, das seinerseits dem Vertretungszwang unterliegt.
- Der ‐ für Entscheidungen nach § 321a ZPO geltende ‐ Gebührentatbestand der Nr. 1960 des Kostenverzeichnisses zum GKG ist auf Gegenvorstellungen jedenfalls dann nicht entsprechend anzuwenden, wenn die Gegenvorstellung sich nicht gegen eine Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges richtet.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 62a; ZPO § 42 Abs. 2, § 44 Abs. 3, § 45 Abs. 1; GKG
Verfahrensgang
Nachgehend
Gründe
I. Der Senat entscheidet über die Gegenvorstellung in seiner nach dem Geschäftsverteilungsplan vorgesehenen Besetzung. Denn die Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Bundesfinanzhof A sowie der Richterin am Bundesfinanzhof B ist missbräuchlich und daher offensichtlich unzulässig.
1. Nach § 51 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen dessen Unparteilichkeit zu rechtfertigen. Gründe für ein solches Misstrauen sind nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter von seinem Standpunkt aus, jedoch bei vernünftiger objektiver Betrachtung, Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Es müssen Anhaltspunkte für eine unsachliche Einstellung oder für Willkür des Richters vorliegen (Beschluss des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 30. April 2002 X S 10/01 (PKH), BFH/NV 2002, 1050). Hingegen ist ein Ablehnungsantrag kein geeignetes Mittel, sich gegen unrichtige oder für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren (BFH-Beschluss vom 21. Februar 2002 V B 4/01, Juris-STRE 200250302); sie kann auch nicht auf angeblich rechtsfehlerhafte Entscheidungen in früheren Verfahren gestützt werden, wenn der Beteiligte sich dadurch vor einer für ihn möglicherweise ungünstigen Rechtsauffassung des Richters schützen möchte (BFH-Beschluss vom 20. Juni 2003 XI R 25/03, BFH/NV 2003, 1342).
Ein Ablehnungsantrag ist missbräuchlich, wenn er pauschal gegen sämtliche Mitglieder eines Spruchkörpers gerichtet ist, ohne mit konkreten Umständen im Hinblick auf eine Kollegialentscheidung, die auf eine Befangenheit aller Mitglieder dieses Spruchkörpers deuten, substantiiert begründet zu werden (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, unter IV. 3.; Senatsbeschluss in BFH/NV 2002, 1050; BFH-Beschluss vom 11. Februar 2003 VII B 330/02, VII S 41/02, BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, unter II. 1. a). Dasselbe gilt, wenn der Antragsteller immer wieder ohne ausreichende Gründe Richter ablehnt, die ihm nachteilige Entscheidungen fällen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 2. November 1960 2 BvR 473/60, BVerfGE 11, 343, unter II. 1.), bzw. nur Gründe vorgetragen werden, die eine Richterablehnung unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtfertigen können (BFH-Beschluss vom 8. Oktober 1997 I B 103/97, BFH/NV 1998, 475).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Ablehnung der genannten Senatsmitglieder als missbräuchlich anzusehen.
a) Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hat mit Schreiben vom 16. Juli 2003 den Senatsvorsitzenden abgelehnt, weil dieser entgegen der Aufforderung des Antragstellers davon abgesehen hatte, nachträglich in Ermittlungen hinsichtlich der Postulationsfähigkeit des damaligen Vertreters des Beklagten in den mit Beschlüssen vom 30. Juni 1998 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren X R 109/97 und X B 140/97 einzutreten, und dies damit begründet hatte, dass kein Zweifel an der Vertretungsbefugnis bestehe und eine Überprüfung der seit fast fünf Jahren rechtskräftigen Beschlüsse unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt mehr in Betracht komme.
Mit einem am 10. Dezember 2003 eingegangenen Schreiben hat der Antragsteller auch die früheren Senatsmitglieder C und D abgelehnt, weil diese an den Beschlüssen X R 109/97 und X B 140/97 mitgewirkt und "ein Fehlurteil verursacht" hätten, so dass der Antragsteller die Sorge habe, die genannten Richter würden auch bei künftigen Rechtsmittelverfahren über weitere erstinstanzlich noch anhängige Klagen mitwirken.
Schließlich hat der Antragsteller die Senatsmitglieder B und E wegen Mitwirkung an der Entscheidung X B 55/03 ―mit dem eine Beschwerde des Antragstellers mangels Vertretung durch eine der in § 62a FGO genannten Personen oder Gesellschaften verworfen wurde― abgelehnt, weil er der Anwendung des § 62a FGO entnehme, dass die genannten Senatsmitglieder überlastet seien.
b) Diese Häufung von Ablehnungsgesuchen gegen Richter, die dem Antragsteller nachteilige Entscheidungen fällen, und zu deren Begründung nur Erwägungen vorgetragen werden, die eine Richterablehnung unter keinem Gesichtspunkt rechtfertigen können, zeigt deren Missbräuchlichkeit.
Wenn der Senatsvorsitzende die Aufnahme von Ermittlungen hinsichtlich der Postulationsfähigkeit des Beklagtenvertreters in zwei seit fünf Jahren rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren u.a. mit der Begründung ablehnt, dass eine Überprüfung dieser Entscheidungen nicht mehr in Betracht komme, kann diese Erwägung schon deshalb nicht auf eine unsachliche Einstellung oder Voreingenommenheit hindeuten, weil auch der Antragsteller selbst zu keinem Zeitpunkt eine Überprüfung dieser Entscheidungen begehrt hatte.
Die Ablehnung des früheren Senatsmitglieds D ist schon deswegen missbräuchlich, weil dieser dem BFH infolge Eintritts in den Ruhestand gar nicht mehr angehört. Gleiches gilt für die Ablehnung des früheren Senatsmitglieds C, des mittlerweile den Vorsitz eines anderen Senates übernommen hat und mit möglichen künftigen Rechtsmitteln des Antragstellers gegen weitere erstinstanzliche Entscheidungen in Zusammenhang mit den betrieblichen Einkünften und Umsätzen, die den Hintergrund sowohl des vorliegenden Verfahrens als auch der früheren Verfahren bilden, nicht befasst werden kann. Im Übrigen hat der Antragsteller sein Ablehnungsgesuch gegen die beiden früheren Senatsmitglieder allein damit begründet, dass er die Senatsentscheidungen in den Verfahren X R 109/97 und X B 140/97 für rechtsfehlerhaft hält, was von vornherein keinen Ablehnungsgrund darstellt.
Auch die Ablehnung der Senatsmitglieder B und E stützt der Antragsteller auf deren Mitwirkung an der Entscheidung im Verfahren X B 55/03, die er für fehlerhaft hält. Weder dies noch eine ―sich nach Auffassung des Antragstellers aus der Anwendung des § 62a FGO ergebende― behauptete Überlastung dieser Senatsmitglieder kann aber für sich genommen einen Ablehnungsgrund darstellen.
3. Der Senat konnte auch über den Ablehnungsantrag in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung entscheiden; einer dienstlichen Äußerung der abgelehnten Senatsmitglieder bedurfte es nicht. Denn angesichts der Missbräuchlichkeit des Ablehnungsantrags finden § 44 Abs. 3 und § 45 Abs. 1 ZPO, jeweils i.V.m. § 51 Abs. 1 FGO, keine Anwendung (ständige Rechtsprechung, vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 11, 1, unter II. 2.; BFH-Beschluss in BFHE 201, 483, BStBl II 2003, 422, unter II. 1. a).
II. Die Gegenvorstellung ist unzulässig.
1. Es fehlt bereits an der Statthaftigkeit dieses in der FGO nicht vorgesehenen, außerordentlichen Rechtsbehelfs.
Eine Gegenvorstellung gegen formell und materiell rechtskräftige Entscheidungen ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nur in wenigen Ausnahmekonstellationen statthaft (z.B. BVerfG-Beschluss vom 8. Juli 1986 2 BvR 152/83, BVerfGE 73, 322, unter B. II. 1.; weitere Nachweise auf die Rechtsprechung des BVerfG bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl. 2002, vor § 115 Rn. 28; vgl. auch BFH-Beschluss vom 18. August 2003 VIII S 12/03, BFH/NV 2003, 1606): Dies ist der Fall, wenn die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) beruht, unter Verstoß gegen das Gebot des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) ergangen ist oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist ("greifbare Gesetzwidrigkeit").
In dem mit der Gegenvorstellung angefochtenen Beschluss im Verfahren X B 55/03 hat der Senat eine Beschwerde des Antragstellers verworfen, weil dieser sich im Verfahren vor dem BFH entgegen § 62a FGO nicht durch einen Prozessbevollmächtigten hat vertreten lassen. Hinsichtlich dieser Entscheidung macht der Antragsteller keine Gründe geltend, auf die nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen eine Gegenvorstellung gestützt werden könnte. Vielmehr wendet er sich im Kern dagegen, dass der Senat bei der Entscheidung über die von ihm erhobene Beschwerde keine Ausnahme vom Vertretungszwang zugelassen hat. Er ist der Auffassung, in seinem Fall, den er als rechtlich einfach ansieht, bedürfe es der mit der Regelung des § 62a FGO bezweckten Entlastung des BFH nicht. Indes hat der Gesetzgeber die Anwendung des § 62a FGO (zur Verfassungsmäßigkeit der Vorläufernorm des Art. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vgl. BVerfG-Beschluss vom 11. Oktober 1976 1 BvR 373/76, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1977, 33) nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt. Von der Beachtung dieser zwingenden verfahrensrechtlichen Regelung kann nicht deshalb abgesehen werden, weil der jeweilige Rechtsmittelführer in seinem konkreten Fall nicht zu erkennen vermag, inwieweit die Vertretung durch postulationsfähige Personen zu einer Entlastung des BFH führen kann.
2. Im Übrigen ist die Gegenvorstellung auch deshalb unzulässig, weil der Vertretungszwang nach § 62a FGO sich auch auf die Gegenvorstellung erstreckt, sofern diese ―wie hier― ein Verfahren betrifft, das seinerseits dem Vertretungszwang unterliegt (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2002 VIII R 41/02, BFH/NV 2003, 343, m.w.N.), der Antragsteller sich aber bei Erhebung der Gegenvorstellung nicht von einer der in § 62a FGO i.V.m. § 3 Nr. 1 bis 3 des Steuerberatungsgesetzes genannten Personen oder Gesellschaften hat vertreten lassen.
3. Gerichtskosten sind in Ermangelung eines Gebührentatbestandes nicht zu erheben (vgl. auch BFH-Beschluss vom 7. August 2002 V S 14/02, BFH/NV 2003, 175). Eine analoge Anwendung der für Verfahren nach § 321a ZPO seit dem 1. Januar 2002 geltenden Nr. 1960 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz kommt nicht in Betracht (a.A. für Gegenvorstellungen, die gegen erstinstanzliche Entscheidungen in analoger Anwendung des § 321a ZPO erhoben werden, Finanzgericht ―FG― des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 17. Juni 2003 3 V 74/02, Entscheidungen der Finanzgerichte 2003, 1500), weil für das Verfahren vor den FG nur die Teile 3 und 9 des Kostenverzeichnisses gelten, der ―auf Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten beschränkte― Teil 1 hingegen nicht anwendbar ist (so auch Eberl, Deutsches Steuerrecht 2003, 2211) und im Übrigen die hier erhobene Gegenvorstellung nicht in § 321a ZPO ihre Grundlage findet.
Fundstellen