Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung rechtlichen Gehörs durch Verwertung von Auskünften, zu denen die Beteiligten keine Stellung nehmen konnten
Leitsatz (NV)
Stützt das FG sein Urteil auf eine telefonische Auskunft der Schwester des Klägers, ohne dass dieser zu dieser Aussage Stellung nehmen konnte, so verletzt es den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 96 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 11.01.2005; Aktenzeichen VII 105/2002) |
FG Nürnberg (Urteil vom 11.01.2005; Aktenzeichen VII 340/2002) |
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgesehen.
Die in entsprechender Anwendung des § 121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Beschwerden gegen die Urteile des Finanzgerichts (FG) in den Verfahren VII 105/2002 und VII 340/2002 sind begründet. Sie führen zur Aufhebung der finanzgerichtlichen Urteile und zur Zurückverweisung der Sachen an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Die Urteile des FG sind wegen Verstoßes gegen Verfahrensvorschriften aufzuheben. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat die Rüge eines Verfahrensmangels formgerecht erhoben (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Die Tatsachen, die den Mangel ergeben sollen, sind bezeichnet. Der Kläger hat dargelegt, dass die angefochtenen Urteile auf dem geltend gemachten Mangel beruhen. Sein Vorbringen ist daher schlüssig (vgl. dazu die folgenden Ausführungen unter 2.). Entgegen der Auffassung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ―FA―) sind die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO damit ordnungsgemäß dargelegt.
2. Die Rügen des Klägers sind auch in der Sache begründet. Das FG hat dem Kläger nicht in der gebotenen Weise rechtliches Gehör gewährt.
a) Der Kläger rügt, das FG habe sein Urteil auf eine telefonische Auskunft seiner, des Klägers, Schwester gestützt, ohne dass er zu dieser Aussage habe Stellung nehmen können. Das Ergebnis dieser am 16. Dezember 2004 erteilten Auskunft sei aber in dem angefochtenen Urteil verwertet worden.
Damit rügt der Kläger zutreffend die Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Gegen dieses Recht wird verstoßen, wenn das FG Tatsachen verwertet, ohne sie zum Gegenstand des Verfahrens zu machen und den Beteiligten Gelegenheit zur Äußerung zu geben (vgl. dazu Gräber/von Groll und Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 96 Rz. 28, und § 119 Rz. 16, Stichworte "Hinweis- und Informationspflichten" und "Überraschungsentscheidung", jeweils m.w.N. zur Rechtsprechung). Das FG ist insbesondere zur Beachtung des § 96 Abs. 2 FGO verpflichtet, wenn es verfahrensrelevante Umstände von Dritten erfährt oder Auskünfte von diesen einholt, ohne sie formell als Zeugen zu hören.
b) Das FG hat gegen diese Verpflichtungen verstoßen. Es hat den Kläger nicht von dem Telefonat und dessen Inhalt unterrichtet, gleichwohl aber die daraus erlangte Kenntnis in dem angefochtenen Urteil verwertet. Denn insoweit hat es ausgeführt, dass der hohe Ansatz der nach Vollarbeitskraft (VAK) bemessenen Arbeitsleistung des Klägers im Rahmen der Gewinnermittlung nach Durchschnittssätzen gemäß § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) a.F. gerechtfertigt sei, weil "Arbeitsleistungen … in nicht unerheblichem Umfang von weiteren nahen Angehörigen geleistet" worden seien, die aber "wegen der bewusst unterlassenen Mitwirkung des Klägers … zeitlich und personell" nicht hätten eingeordnet werden können.
Zu diesen Feststellungen konnte der Kläger mangels eines Hinweises des FG nicht Stellung nehmen. Das FG hat seine Auffassung zwar auch auf die Entscheidung des Senats vom 19. Juli 1990 IV R 119/88 (BFHE 161, 139, BStBl II 1990, 973) gestützt. Diese erlaubt aber die Darlegung außergewöhnlicher Umstände, die einen geringeren Ansatz von VAK auch für den Betriebsinhaber eines größeren landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetriebs zulassen. Auch hierzu konnte der Kläger sich nicht äußern. Dazu hätte aber Veranlassung bestanden, wenn der Kläger erfahren hätte, dass auch die Mitarbeit seiner Geschwister als Umstand gewertet werde, der den Wert seiner Arbeitsleistung erhöht.
c) Unter diesen Umständen hätte das FG jedenfalls nicht ohne mündliche Erörterung der Sache mit den Beteiligten entscheiden dürfen.
3. Bei dieser Sachlage hält es der Senat für sachgerecht, die Urteile des FG nach § 116 Abs. 6 FGO aufzuheben und die Rechtsstreite zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen, ohne auf den ebenfalls geltend gemachten Zulassungsgrund der Rechtsfortbildung einzugehen.
Fundstellen