Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht und des rechtlichen Gehörs
Leitsatz (NV)
1. Die Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht ist bereits unzulässig, wenn nicht vorgetragen wird, aus welchen Gründen sich dem FG unabhängig von einem Beweisantrag eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
2. Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf weder hat rechnen können noch müssen.
Normenkette
EStG § 33a; FGO § 96 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Münster (Urteil vom 31.03.2006; Aktenzeichen 6 K 5764/04 E) |
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), der mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wird, erzielte im Streitjahr 2003 Einkünfte aus nichtselbstständiger Tätigkeit in Höhe von 28 943 €. Seine Ehefrau war nicht berufstätig. Die Eheleute haben einen im Dezember 2003 geborenen gemeinsamen Sohn.
In seiner Einkommensteuererklärung für 2003 machte der Kläger Aufwendungen für seine Eltern im gesamten Veranlagungszeitraum von 6 000 € als außergewöhnliche Belastung nach § 33a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Zur Erläuterung führte er aus, es habe sich dabei um Sachzuwendungen, Lebensmittel und Fahrten zum Arzt gehandelt. Der Einkommensteuererklärung waren schriftliche Bestätigungen der Eltern des Klägers vom 31. Dezember 2003 beigefügt, wonach diese von ihrem Sohn jeweils Sachzuwendungen im Wert von 250 € pro Monat (entsprechend jeweils 3 000 € pro Jahr) erhalten hätten.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte im Einkommensteuerbescheid 2003 die geltend gemachten Unterstützungsleistungen an die Eltern des Klägers nicht und setzte die Einkommensteuer auf 1 614 € fest. Zur Begründung führte das FA aus, die Unterstützungsleistungen seien in Ermangelung konkreter Einzelnachweise nicht anzuerkennen. So habe der Kläger insbesondere auch keine Angaben zur Höhe der Sozialhilfe gemacht, die seine Eltern bezogen hätten.
Der Einspruch blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Es führte im Wesentlichen aus, der Kläger habe die Voraussetzungen des § 33a EStG, für die er die Beweislast (objektive Feststellungslast) trage, nicht in ausreichendem Umfang nachgewiesen. Er habe insoweit nur Bestätigungen seiner Eltern vorgelegt, nach denen der monatliche Unterstützungsaufwand geschätzt worden sei. Daraus gehe aber nicht hervor, in welcher Höhe der Kläger tatsächlich Aufwendungen für Unterhalt getragen habe. Darüber hinaus sei es zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt in der Lage gewesen sei, Unterhalt an seine Eltern zu leisten. Es sei nicht glaubhaft, dass er von den ihm nach Abzug aller Aufwendungen zur Verfügung stehenden knappen Mitteln in Höhe von ca. 14 000 € allein 6 000 € für seine Eltern aufgewandt habe. Denn dann wären für ihn und seine Familie lediglich 8 000 € zum Leben verblieben. Das FA habe den Kläger zudem bereits bei der Einkommensteuerveranlagung 2001 auf die bestehende Nachweispflicht von Unterhaltsaufwendungen in Form von Überweisungsbelegen oder Quittungen hingewiesen.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht und des Grundsatzes auf Gewährung rechtlichen Gehörs als Verfahrensfehler i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Das FG habe erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 31. März 2006 die finanzielle Leistungsfähigkeit des Klägers im Hinblick auf seine erbrachten Unterhaltszahlungen angezweifelt. Es hätte dem Kläger insoweit Gelegenheit geben müssen, ergänzende Ausführungen zu machen und auch weitere Belege über seine finanzielle Lage vorzulegen. Das FG habe das persönliche Erscheinen des Klägers aber nicht angeordnet und dadurch den entscheidungserheblichen Sachverhalt entgegen der sich aus § 76 FGO ergebenden Aufklärungspflicht nicht vollständig festgestellt.
Darin liege auch eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO). Andernfalls wäre der Kläger in der Lage gewesen, nachzuweisen, dass er seinen Dispositionskredit gerade aufgrund der erheblichen Aufwendungen zu Gunsten seiner Eltern schon seit längerer Zeit ausgeschöpft habe und daher zu Umschuldungsmaßnahmen gezwungen worden sei.
Schließlich habe das FG auch materielles Recht nicht richtig angewandt und sich insbesondere auch mit der Frage besonderen Vertrauensschutzes nicht auseinander gesetzt. Das FA habe nämlich trotz des gegenteiligen Hinweises bei der Einkommensteuerveranlagung 2001 im Folgejahr den im Wege einer Schätzung geltend gemachten Abzug der Unterhaltsaufwendungen nach § 33a EStG berücksichtigt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 132 FGO).
Die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensrügen greifen nicht durch.
1. Soweit der Kläger rügt, das FG hätte unabhängig von einem entsprechenden Beweisantrag von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufklären müssen, ist die Beschwerde bereits unzulässig. Der Kläger hat insoweit den Zulassungsgrund nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO hinreichend dargetan.
Zur ordnungsgemäßen Rüge bedarf es der Darlegung, welche Tatsachen das FG hätte aufklären müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer weiteren Sachaufklärung voraussichtlich ergeben hätten, inwiefern eine weitere Aufklärung des Sachverhalts auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätte führen können und aus welchen Gründen sich dem FG unter Berücksichtigung seines Rechtsstandpunktes die Notwendigkeit einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts hätte aufdrängen müssen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. März 2004 VII B 53/03, BFH/NV 2004, 978, m.w.N.). Im Streitfall hat der Kläger insbesondere nicht vorgetragen, aus welchen Gründen sich dem FG eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen, zumal der Prozessbevollmächtigte des Klägers in der mündlichen Verhandlung auch keinen Hinweis auf eine weitere Aufklärungsbedürftigkeit des Sachverhalts gegeben oder zumindest beantragt hat, ihm im Hinblick auf die Zweifel des FG an der finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers eine Frist für eine weitere schriftsätzliche Stellungnahme nach Rücksprache mit dem Kläger einzuräumen.
2. Auch die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durch eine sog. Überraschungsentscheidung ist nicht begründet.
a) Rechtliches Gehör wird den Beteiligten dadurch gewährt, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem Sachverhalt zu äußern, der einer gerichtlichen Entscheidung zu Grunde gelegt werden soll. Das rechtliche Gehör bezieht sich vor allem auf Tatsachen und Beweisergebnisse (vgl. § 96 Abs. 2 FGO); darüber hinaus darf das FG seine Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt nur stützen, wenn die Beteiligten zuvor Gelegenheit hatten, dazu Stellung zu nehmen (§ 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 155 FGO; vgl. auch § 93 Abs. 1 FGO; BFH-Beschlüsse vom 15. Juni 2001 VII B 45/01, BFH/NV 2001, 1580, und vom 25. Februar 2005 III B 90/04, BFH/NV 2005, 1329).
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt nur vor, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf weder hat rechnen können noch müssen.
b) Im Streitfall hat der Prozessbevollmächtigte selbst vorgetragen, dass der Gesichtspunkt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Klägers Gegenstand der mündlichen Verhandlung war. Die Gelegenheit zur Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung genügt aber der verfassungsrechtlichen Vorgabe nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes zur Gewährung rechtlichen Gehörs (BFH-Beschluss vom 9. Mai 2005 VI B 187/04, BFH/NV 2005, 1364).
3. Mit seinen Ausführungen wendet sich der Kläger im Übrigen gegen die materielle Rechtmäßigkeit des Urteils, wobei er seine Rechtsauffassung an die Stelle derjenigen des FG setzt. Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die Zulassung der Revision zu rechtfertigen. Seine Rüge gibt auch keinen Anhaltspunkt für einen Rechtsanwendungsfehler von erheblichem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung, die ausnahmsweise zur Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO führt (vgl. BFH-Beschluss vom 17. März 2006 III B 135/05, BFH/NV 2006, 1285).
Fundstellen