Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereröffnung des Verfahrens
Leitsatz (NV)
- Geht nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein Schriftsatz beim FG ein, muss dieses von Amts wegen über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen.
- Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht, dass das FG das Verfahren ermessensfehlerhaft nicht wiedereröffnet habe, ist für eine Darlegung dieses Verfahrensmangels die schlüssige Angabe von Tatsachen erforderlich, aus denen sich die Verletzung der Verpflichtung des FG zu fehlerfreier Ermessensausübung ergibt (st. Rspr.).
Normenkette
FGO § 93 Abs. 3 S. 2, § 76 Abs. 1 S. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3; GG Art. 103 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 10.12.2002; Aktenzeichen 6 K 168/99 K,G,F) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig und war daher zu verwerfen. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) hat die von ihr behaupteten Verfahrensmängel nicht wie erforderlich dargelegt.
Wird die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensfehlers des Finanzgerichts (FG) begehrt (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) muss dieser in der Beschwerdeschrift "dargelegt" werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Eine diesen formellen Anforderungen genügende Begründung setzt den schlüssigen Vortrag von Tatsachen voraus, aus denen sich der behauptete Verfahrensmangel ergibt. Daran fehlt es im Streitfall.
1. Vornehmlich rügt die Klägerin, das FG habe ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG―) verletzt. Das Gericht habe erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 10. Dezember 2002 darauf hingewiesen, dass der Ansatz der von der Klägerin begehrten Rückstellung für eine Rückbauverpflichtung bereits dem Grunde nach nicht in Betracht komme, da die Klägerin als Vertriebsunternehmen keine entsprechende Verpflichtung treffen könne. Obwohl die Klägerin darauf einen Schriftsatz vom 23. Dezember 2002 nachgereicht habe, der Ausführungen enthalte, bei deren Prüfung die Vorinstanz zu einer anderen Entscheidung hätte gelangen müssen, habe das FG pflichtwidrig die mündliche Verhandlung nicht wiedereröffnet. Dieses Vorbringen der Klägerin ist indessen nicht geeignet, eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs schlüssig darzulegen.
Geht nach Schluss der mündlichen Verhandlung ein Schriftsatz beim FG ein, muss dieses von Amts wegen über die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) beschließen. Dabei muss das Gericht aufgrund der Ausführungen in diesem Schriftsatz die für und gegen eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sprechenden Gründe abwägen und die dabei maßgeblichen Überlegungen in seiner Entscheidung zum Ausdruck bringen, damit geprüft werden kann, ob es sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt hat (Urteile des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 29. November 1985 VI R 13/82, BFHE 145, 125, BStBl II 1986, 187; vom 19. Februar 1993 III R 101/89, BFH/NV 1994, 555). Wird mit einer Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemacht, dass das FG das Verfahren ermessensfehlerhaft nicht wiedereröffnet habe, ist für eine Darlegung dieses Verfahrensmangels i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO somit die schlüssige Angabe von Tatsachen erforderlich, aus denen sich die Verletzung der Verpflichtung des FG zu fehlerfreier Ermessensausübung ergibt (BFH-Beschlüsse vom 25. April 1996 VIII B 30/95, BFH/NV 1997, 118; vom 26. Januar 1996 X B 133/95, BFH/NV 1996, 563).
Das FG hat seine Entscheidung, die mündliche Verhandlung nicht wiederzueröffnen, vor allem damit begründet, dass der Klägerin die Einschätzung des erkennenden Senats zum Tätigkeitsbereich der Klägerin spätestens seit dem Ergehen des Beschlusses vom 26. Mai 2000 im Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung 6 V 558/00 habe erkennbar sein müssen. Die Klägerin bzw. ihre Prozessvertreter hätten daher Gelegenheit gehabt, sich mit dieser Argumentation des Gerichts auseinander zu setzen; dies hätten sie indessen versäumt. Im Übrigen habe die Klägerin selbst stets darauf abgestellt, dass sie von einer anderen Firma hergestellte Produkte vertreibe und beide Unternehmen in streng getrennten Geschäftsbereichen tätig seien. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt sei bis zum Ende der mündlichen Verhandlung ausreichend aufgeklärt worden. Daher enthalte das Urteil auch keine Überraschungsentscheidung.
Demgegenüber hat die Klägerin nicht substantiiert dargetan, aus welchen Gründen diese Erwägungen des FG nicht den an eine pflichtgemäße Ermessensausübung zu stellenden Anforderungen genügen sollten. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Hinweis des FG auf seinen vorangegangenen Beschluss vom 26. Mai 2000 6 V 558/00, der u.a. die gleichen Streitfragen (für die Streitjahre 1992 bis 1995) betraf und in dem das Gericht die Klägerin (dort Antragstellerin) bereits als bloßes Vertriebsunternehmen beurteilte, das als solches Aufwendungen für bezogene Produkte nicht tragen müsse. Die Einlassung der Klägerin, es habe sich um ein lediglich summarisches Verfahren andere Streitjahre betreffend gehandelt, das Jahre zurückgelegen habe und weder der Klägerin noch ihren Prozessbevollmächtigten in den Einzelheiten erinnerlich gewesen sei, ist keineswegs ausreichend, um eine fehlerhafte Ermessensausübung durch das Gericht darzulegen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin, vertreten durch dieselben Prozessbevollmächtigten, gegen den bezeichneten Beschluss 6 V 558/00 außerordentliche Beschwerde (Az. des BFH I B 106/00) u.a. bereits mit der Begründung eingelegt hat (S. 10 der Beschwerdeschrift vom 5. Juli 2000), das FG habe, ohne einen entsprechenden Hinweis zu erteilen, darauf abgestellt, dass die Beschwerdeführerin bloßes Vertriebsunternehmen sei. Da es sich bei der Verweisung des FG auf das Verfahren 6 V 558/00 somit erkennbar nicht um einen überraschenden Hinweis auf einen Vorgang handelte, zu dem weder ein sachlicher noch zeitlicher Bezug mehr bestand, ist der Streitfall auch nicht mit dem vom BFH im Urteil vom 4. April 2001 XI R 60/00 (BFHE 195, 9, BStBl II 2001, 726) entschiedenen Fall, auf den die Klägerin verweist, vergleichbar. Im Streitfall durfte das FG vielmehr davon ausgehen, dass für die Beteiligten hinreichende Möglichkeiten zur Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung bestanden haben (vgl. dazu auch das BFH-Urteil vom 26. Februar 1975 II R 120/73, BFHE 115, 185, BStBl II 1975, 489). Daneben ist unerheblich, ob ―wie die Klägerin geltend macht― für das FG erkennbar war, dass die Klägerin die vom FG erwarteten Rückschlüsse nicht gezogen hat oder beide Beteiligte des Verfahrens von der Rechtmäßigkeit der Rückstellungsbildung dem Grunde nach ausgegangen sind. Ein sonstiger Fall der Verdichtung oder Reduzierung des Ermessens des Gerichts auf Null mit der Folge einer Verpflichtung zur Wiedereröffnung des Verfahrens (vgl. dazu die Beispiele bei Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 93 Anm. 9 f.) wird von der Klägerin weder dargelegt noch ist er ersichtlich.
2. Für die schlüssige Darlegung des von der Klägerin zudem gerügten Verfahrensmangels der unzureichenden Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) durch das FG muss, da es sich insoweit um einen verzichtbaren Verfahrensmangel handelt, u.a. vorgetragen werden, dass dieser bereits in der Vorinstanz gerügt worden ist oder aus welchen Gründen dem Beschwerdeführer eine entsprechende Rüge nicht möglich war (BFH-Beschlüsse vom 26. Juni 2002 I B 96/01, BFH/NV 2002, 1469; vom 3. September 1998 XI B 123/97, BFH/NV 1999, 214; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Anm. 67 ff.). Unterbleibt dies wie im Streitfall, ist die Beschwerde insoweit nicht statthaft.
Von einer weiteren Begründung dieses Beschlusses sieht der Senat gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
Fundstellen
Haufe-Index 1129435 |
BFH/NV 2004, 799 |