Entscheidungsstichwort (Thema)
Änderung der Kostenentscheidung nach Vorlage der Vollmacht
Leitsatz (NV)
Macht der vollmachtlose Vertreter gegen die zu seinen Lasten ergangene Kostenentscheidung durch Gegenvorstellung unter (erneuter) Vorlage der Vollmacht glaubhaft, diese bereits nach Anforderung an das Gericht abgesandt zu haben, so sind die Kosten unter Abänderung der Kostenentscheidung dem unterliegenden Beteiligten aufzuerlegen.
Normenkette
GG Art. 103; FGO § 128 Abs. 4, § 136 Abs. 2
Tatbestand
I. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) haben die Revision mit Schreiben vom 11. April 2000 zurückgenommen. Die vom Senat mit Schreiben vom 27. Dezember 1999, vom 1. März 2000 und vom 4. April 2000 angeforderte Vollmacht war beim Bundesfinanzhof (BFH) nicht eingegangen. Daraufhin hat der Senat das Verfahren mit Beschluss vom 8. Mai 2000 eingestellt und den Prozessbevollmächtigten wegen fehlender Vollmacht die Kosten des Verfahrens auferlegt. Der Beschluss wurde am 9. Juni 2000 an die Beteiligten abgesandt.
Mit der dagegen erhobenen Beschwerde vom 19. Juni 2000 machen die Prozessbevollmächtigten unter Vorlage der Kopie einer Vollmacht vom 20. Dezember 1999 geltend, sie hätten die Vollmacht mit Schriftsatz vom 5. April 2000 an den BFH geschickt. Da der Senat keine Frist zur Vorlage der Vollmacht gesetzt habe, sei ein etwaiger Verlust des Schriftsatzes unschädlich. Auf Anfrage des Senats haben die Prozessbevollmächtigten eine Kopie des Postausgangsbuchs vorgelegt, in der unter dem Datum 5. April 2000 verzeichnet ist
"Bundesfinanzhof München X ./. Finanzamt".
Weiterhin hat der Prozessvertreter Rechtsanwalt Y folgende eidesstattliche Versicherung vom 13. Februar 2001 vorgelegt:
"Ich hatte am 05.04.00 sämtliche Post von Frau Z unterschrieben, da diese Nachmittags einen auswärtigen Termin hatte. Ich hatte dann sämtliche Post von Frau Z sowie meine Post in das Postausgangskästchen gelegt. Die Post wurde von unserer damaligen Auszubildenden Frau A, die nicht mehr bei uns beschäftigt ist, da sie ihre Ausbildung inzwischen absolviert hat, erledigt. Nach Verbringung der Post zu unserem örtlichen Briefkasten fand ich das Ausgangskästchen leer vor. Im Hinblick darauf, dass es vollständig geleert war und dass auch, wie im Nachhinein kontrolliert wurde, die Post im Ausgangsbuch eingetragen war, so auch der Schriftsatz in der Angelegenheit der Frau X gegen das Finanzamt, ist davon auszugehen, dass der Schriftsatz zum Posteinwurf gebracht wurde."
Entscheidungsgründe
II. 1. Im Hinblick auf die Unanfechtbarkeit finanzgerichtlicher Kostenentscheidungen nach § 128 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ―auch soweit sie zu Lasten vollmachtlos aufgetretener Prozessvertreter ergehen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Beschlüsse vom 11. November 1981 I B 37/81, BFHE 134, 401, BStBl II 1982, 167; vom 25. Mai 1988 I B 16/88, BFHE 153, 308, BStBl II 1988, 843; vom 20. Juli 1998 VI B 139/98, BFH/NV 1999, 69)― ist die Beschwerde als Gegenvorstellung gegen die Kostenentscheidung auszulegen.
2. Die Gegenvorstellung hat Erfolg.
a) Sie kommt als außerordentlicher Rechtsbehelf gegen unanfechtbare gerichtliche Entscheidungen in Betracht, wenn die angefochtene Entscheidung das Recht des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletzt, gegen das Gebot des gesetzlichen Richters verstößt oder im Übrigen jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt (BFH-Beschlüsse vom 4. Mai 1998 I B 128/97, BFH/NV 1998, 1368, und vom 15. März 1999 V S 5/99, BFH/NV 1999, 1228).
b) Im Streitfall gebietet es der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 3 des Grundgesetzes, die mit der Gegenvorstellung angegriffene Kostenentscheidung des Senats zu ändern, nachdem die Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch Vorlage des Postausgangsbuchs und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht haben, dass der Schriftsatz vom 5. April 2000 mit beigefügter Vollmacht tatsächlich von ihnen an das Gericht abgesandt wurde. Das danach zu unterstellende, von den Bevollmächtigten nicht verschuldete Abhandenkommen dieser Postsendung kann nicht zu ihren Lasten bei der Kostenentscheidung berücksichtigt werden und rechtfertigt auch nicht deren Aufrechterhaltung.
Denn der verfassungsrechtliche Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn das Gericht seine Entscheidung auf tatsächliche oder rechtliche Gründe stützt, zu denen sich die Beteiligten nicht geäußert haben und zu denen sich zu äußern nach dem Verfahrensablauf auch kein Anlass bestand (BFH-Urteil vom 22. Oktober 1986 I R 107/82, BFHE 148, 507, BStBl II 1987, 293, m.w.N.). Darauf, ob das Gericht insoweit ein eigenes Verschulden trifft oder ―wie im Streitfall hinsichtlich der fehlenden Vollmacht― zu Recht von der Kenntnis der Beteiligten oder ihrer Prozessvertreter über den entscheidungserheblichen Gesichtspunkt ausgeht, kommt es danach nicht an.
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Die Bevollmächtigten durften nach Absendung des Schreibens und der beigefügten Vollmacht davon ausgehen, dass dem Senat die Vollmacht bei seiner Entscheidung vorliege, zumal eine Eingangsbestätigung nur für den Zugang von Rechtsbehelfen, regelmäßig aber nicht für sonstige Schreiben der Beteiligten erteilt wird und ein besonderer Anlass für eine entsprechende Nachfrage der Bevollmächtigten ersichtlich nicht gegeben war.
Zur danach erforderlichen ―nachträglichen― Gewährleistung rechtlichen Gehörs ist der angefochtene Beschluss auf die Gegenvorstellung der Klägerin zu ändern (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Dezember 1992 XI S 16/92 und XI S 17/92, BFH/NV 1993, 485, m.w.N.).
Danach sind die Kosten des Revisionsverfahrens nach Rücknahme der Revision gemäß § 136 Abs. 2 FGO von der Klägerin zu tragen.
Eine Kostenentscheidung ist im Verfahren der Gegenvorstellung oder außerordentlichen Beschwerde nicht zu treffen, weil weder die FGO noch die Zivilprozeßordnung dazu Regelungen enthalten (BFH-Beschlüsse vom 27. Dezember 1994 X B 124/93, BFH/NV 1995, 534; in BFH/NV 1999, 1228).
Fundstellen
Haufe-Index 594989 |
BFH/NV 2001, 1127 |