Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens, Verletzung der Sachaufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
1. Macht ein Steuerpflichtiger im Prozess geltend, er habe die erforderlichen Kenntnisse und übe eine Tätigkeit aus, die sich zumindest auf einen Kernbereich der vergleichbaren Ingenieurtätigkeit erstreckt, muss er Tatsachen dazu vortragen, wie er die Kenntnisse erworben hat und inwieweit er sie in der Praxis einsetzt.
2. Stehen diese Tatsachen nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, muss das FG aufgrund seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) den vom Kläger gestellten Anträgen zur Erhebung von Beweisen, die geeignet erscheinen, den erforderlichen Nachweis der Kenntnisse zu erbringen, entsprechen.
3. Hat der Kläger seine Tätigkeit zumindest für einen Teilabschnitt des Klagezeitraums in einer Weise dargelegt, die die Begutachtung durch einen Sachverständigen ermöglicht, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn das FG insoweit von der Einholung eines beantragten Sachverständigengutachtens absieht.
Normenkette
EStG § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2; FGO § 76 Abs. 1 S. 1, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 10.12.2004; Aktenzeichen 8 K 3584/00 G) |
Tatbestand
I. Für die Streitjahre (1993 bis 1997) erklärte der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) Einkünfte aus selbständiger Arbeit als sog. EDV-Berater.
Im Jahre 1999 führte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) beim Kläger eine Betriebsprüfung durch. Der Betriebsprüfer stufte die Tätigkeit des Klägers als gewerblich ein, da ein EDV-Berater keinen dem Ingenieur ähnlichen Beruf ausübe. Am 27. August 1999 erließ das FA daraufhin erstmalig Gewerbesteuermessbescheide für die Streitjahre.
Den Einspruch, mit dem der Kläger auch seinen beruflichen Werdegang darlegte, wies das FA als unbegründet zurück.
Mit der nachfolgenden Klage machte der Kläger weiterhin geltend, seine Tätigkeit sei ingenieurähnlich; daher erziele er Einkünfte aus selbständiger Arbeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), die nicht der Gewerbesteuer unterlägen. Im Rahmen der Klagebegründung beschrieb er u.a. die von ihm im Zeitraum Juli 1993 bis Dezember 1999 jeweils durchgeführten Projekte und deren Anforderungen.
Nachdem das Finanzgericht (FG) den Kläger aufgefordert hatte, beispielsweise durch Vorlage schriftlicher Arbeiten und Arbeitsproben nachzuweisen, dass seine praktische Tätigkeit der eines Ingenieurs vergleichbar sei, übersandte der Kläger eine Arbeitsprobe für den Zeitraum Juli 1994 bis September 1995.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG teilte die Rechtsauffassung des FA. Es sah davon ab, ein vom Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragtes Sachverständigengutachten darüber einzuholen, ob die Tätigkeit des Klägers als EDV-Berater der eines Ingenieurs ähnlich sei, da der Kläger die für eine Nachprüfbarkeit seines Vorbringens erforderlichen Unterlagen nicht vorgelegt habe.
Mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 FGO).
1. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegen vor. Das FG hätte dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens entsprechen müssen. Die Nichterhebung dieses beantragten Beweises verletzt den Untersuchungsgrundsatz des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO.
a) Das Vorliegen eines (ingenieur-)ähnlichen Berufs erfordert nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), dass der ähnliche Beruf mit einem bestimmten Katalogberuf sowohl in der Ausbildung als auch in der beruflichen Tätigkeit vergleichbar ist (vgl. BFH-Urteile vom 16. Oktober 1997 IV R 19/97, BFHE 184, 456, BStBl II 1998, 139, und vom 21. März 1996 XI R 82/94, BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518; aus jüngerer Zeit BFH-Urteil vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270, unter II. 4. der Gründe).
aa) Setzt der Katalogberuf --wie im Streitfall-- eine qualifizierte Ausbildung voraus, wird auch für den ähnlichen Beruf eine vergleichbare Ausbildung verlangt. Seit dem In-Kraft-Treten der Ingenieurgesetze setzt darum ein dem Ingenieur ähnlicher Beruf eine Ausbildung voraus, die mit der in den Ingenieurgesetzen vorgeschriebenen Ausbildung in Tiefe und Breite verglichen werden kann (vgl. BFH-Urteile in BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518, und vom 16. Mai 2002 IV R 94/99, BFHE 199, 261, BStBl II 2002, 565, unter 2. a der Gründe).
Dabei kann die vergleichbare Ausbildung nicht nur in einem förmlichen Ausbildungsgang wie z.B. in einem Studium stattfinden (dazu Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, § 18 EStG Anm. 217). Vielmehr kann ein Steuerpflichtiger, der eine Berufsausbildung, wie sie in den Ingenieurgesetzen der Länder vorgeschrieben ist, nicht besitzt, auch nachweisen, dass er vergleichbare Kenntnisse im Wege der privaten Fortbildung und des Selbststudiums erworben hat (BFH-Urteil vom 21. Februar 1986 III R 183, 184/82, BFH/NV 1986, 603). Dazu bedarf es allerdings einer substantiierten Darlegung seitens des Steuerpflichtigen hinsichtlich der Art und Weise sowie des Inhalts der Fortbildung bzw. des Selbststudiums (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 603). Ist der Nachweis der erforderlichen Kenntnisse in dieser Form nicht möglich, kann der Steuerpflichtige sie auch durch seine eigene Tätigkeit belegen, z.B. anhand eigener praktischer Arbeiten (Senatsurteile vom 10. November 1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109, BStBl II 1989, 198, und vom 11. Juli 1991 IV R 73/90, BFHE 165, 221, BStBl II 1991, 878). Letzteres setzt allerdings voraus, dass die Tätigkeit besonders anspruchsvoll ist und sowohl der Tiefe als auch der Breite nach zumindest das Wissen eines Kernbereichs eines Fachstudiums voraussetzt (Senatsurteile vom 5. Oktober 1989 IV R 154/86, BFHE 158, 409, BStBl II 1990, 73, und in BFHE 165, 221, BStBl II 1991, 878, m.w.N.). Soll nämlich von der Art der ausgeübten Tätigkeit auf den Kenntnisstand und die Qualifikation des Berufsausübenden geschlossen werden, so muss sich diese Tätigkeit an der allgemeinen Aufgabenbeschreibung des Vergleichsberufs messen lassen (BFH-Urteil in BFH/NV 1986, 603). Daher ist erforderlich, dass die vorgelegten oder beschriebenen Arbeiten einen der Ingenieurtätigkeit vergleichbaren Schwierigkeitsgrad aufweisen und dass die derart qualifizierten Arbeiten den Schwerpunkt der Tätigkeit des Steuerpflichtigen bilden. Nur wenn auch die zuletzt genannte Voraussetzung vorliegt, ist gewährleistet, dass die notwendigen theoretischen Kenntnisse die Tätigkeit des Steuerpflichtigen im Sinne des Ingenieurberufs prägen (ständige Rechtsprechung; s. z.B. BFH-Urteile in BFHE 180, 316, BStBl II 1996, 518, und vom 28. Januar 1993 IV R 105/92, BFH/NV 1994, 613).
bb) Für die tatsächlich ausgeübte Tätigkeit des Steuerpflichtigen ist es dagegen erforderlich und zugleich aber auch ausreichend, dass sich diese zumindest auf einen der Kernbereiche einer vergleichbaren Ingenieurtätigkeit erstreckt (vgl. Senatsurteile vom 5. Juni 2003 IV R 34/01, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761, und in BFH/NV 2006, 1270, unter II. 4. b der Gründe).
b) Macht der Steuerpflichtige im Prozess geltend, er habe die erforderlichen Kenntnisse und übe eine Tätigkeit aus, die sich zumindest auf einen Kernbereich der vergleichbaren Ingenieurtätigkeit erstreckt, muss er Tatsachen dazu vortragen, wie er die Kenntnisse erworben hat und inwieweit er sie in der Praxis einsetzt. Stehen diese Tatsachen nicht bereits zur Überzeugung des Gerichts fest, muss das FG aufgrund seiner Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) den vom Kläger gestellten Anträgen zur Erhebung von Beweisen, die geeignet erscheinen, den erforderlichen Nachweis der Kenntnisse zu erbringen, entsprechen. Die Beantragung eines Sachverständigengutachtens ersetzt zwar nicht den erforderlichen Tatsachenvortrag zu den Umständen des Erwerbs der Kenntnisse und ihrer praktischen Anwendung (Senatsbeschluss vom 13. Oktober 1994 IV B 112/93, BFH/NV 1995, 420). Der Sachverständigenbeweis kann aber in diesem Zusammenhang ein geeignetes Beweismittel sein. Einerseits kommt ein Gutachten zur Klärung der Frage in Betracht, ob die vorgelegte praktische Arbeit den Rückschluss auf vorhandene Kenntnisse in der gebotenen Tiefe und Breite zulässt. Andererseits kann der Sachverständigenbeweis in diesem Zusammenhang auch zur Klärung beitragen, ob die vorgelegten praktischen Arbeiten und damit die Tätigkeit des Klägers ihrem Wesen nach einer freiberuflichen Ingenieurtätigkeit in einem ihrer Kernbereiche vergleichbar sind (vgl. BFH-Urteil vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989).
2. Im Streitfall hat der Kläger seine Tätigkeit zumindest für den Zeitraum Juli 1994 bis September 1995 in einer Weise dargelegt, die die Begutachtung durch einen Sachverständigen ermöglichte. Daher ist ein Verfahrensfehler darin zu sehen, dass das FG entgegen dem Antrag des Klägers auch insoweit von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat.
3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 116 Abs. 6 FGO zu verfahren und bereits auf die Nichtzulassungsbeschwerde hin die Vorentscheidung aufzuheben sowie die Sache an das FG zurückzuverweisen. Im zweiten Rechtsgang wird der Kläger Gelegenheit haben, sein Vorbringen hinsichtlich der gesamten Streitjahre zu substantiieren, so dass es der Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen zugänglich ist. Hierzu wird er sich auf das im Beschwerdeverfahren vorgelegte Privatgutachten stützen können.
Fundstellen
Haufe-Index 1621610 |
BFH/NV 2007, 89 |