Leitsatz (amtlich)
1. Ein zur Zeit des Erlasses eines einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides bereits aus einer Personengesellschaft ausgeschiedener Gesellschafter ist klagebefugt, auch wenn er nicht geschäftsführungsbefugt war.
2. Zur Geltendmachung von Verlusten und zur Erhebung von Einwendungen gegen die Nichtanerkennung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung von Gewinnfeststellungsbescheiden. - Anschluß an BFH-Urteil vom 5. November 1971 IV R 242/70 (BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218).
Normenkette
FGO § 48 Abs. 1, § 69 Abs. 2-3
Tatbestand
Der Kläger und Antragsteller (Kläger) ist einer von mehreren Unterbeteiligten an einem Kommanditanteil. Es handelt sich um den einzigen Kommanditanteil an einer GmbH & Co. KG (KG), der dem Dr. K zusteht. Dieser, zugleich einziger Gesellschafter der Komplementär-GmbH, hatte an seinem Kommanditanteil 30 Personen unterbeteiligt, von denen einige, darunter auch der Kläger, steuerrechtlich als Mitunternehmer der KG behandelt wurden.
Vorläufige einheitliche Gewinnfeststellungen der KG ergaben für 1965 einen Verlust von 413 109 DM, wovon 60 208 DM auf den Kläger entfielen (Bescheid vom 5. Dezember 1966), und für 1966 einen Verlust von 507 585 DM, der jedoch nur entsprechend der abgegebenen Erklärung mit + 1 231 DM auf die Komplementär-GmbH und mit % 508 816 DM auf Dr. K (laut Erklärung "Unterbeteiligungen Dr. K") aufgeteilt wurde (Bescheid vom 10. Dezember 1968). In beiden Bescheiden wurde die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bejaht.
Nachdem 1970 bis 1971 eine Betriebsprüfung durchgeführt worden war, erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (FA) endgültige Feststellungsbescheide für 1965 und 1966 und erstmalige Feststellungsbescheide für 1967 und 1968. Dabei folgte das FA dem Ergebnis der Betriebsprüfung, demgemäß u. a. die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zu verneinen und damit die Inanspruchnahme von Abschreibungsvergünstigungen nach § 14 BHG 1964 zu versagen und die Schätzung wesentlicher Besteuerungsmerkmale veranlaßt war.
Die aufgrund der Betriebsprüfung erlassenen Feststellungsbescheide vom 22. Dezember 1971 ergaben:
1965 1966 1967 1968
DM DM DM DM
Gewinn/Verlust der KG + 508 323 ./. 32 536,82 ./. 37 711,30 ./. 97 830,30
Veräußerungsgewinn davon 42 598
Kläger ./. 6 576,91 ./. 5 315,05 ./. 5 756,01 ./. 13 892,43.
Gegen diese Bescheide erhob der Kläger nach erfolglosem Einspruch Klage, mit der er beantragt, die Ordnungsmäßigkeit der Buchführung der KG anzuerkennen mit der Folge der Anerkennung der Sonderabschreibungen und einer entsprechenden Verlustzuweisung auf seine Unterbeteiligung. Dazu stellte der Kläger den den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Antrag, die Vollziehung der streitigen Gewinnfeststellungsbescheide auszusetzen.
Das FG lehnte diesen Antrag ab mit der Begründung, der Kläger sei nicht klagebefugt, weil er sich gegen die Höhe des Gewinns bzw. Verlustes der KG wende, eine solche Klage aber nicht von einem Kommanditisten, sondern nur von einem geschäftsführenden Gesellschafter wirksam erhoben werden könne (Hinweis auf § 48 Abs. 1 FGO). Wer nicht klagebefugt sei, könne mit einem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung keinen Erfolg haben.
Entscheidungsgründe
Die hiergegen erhobene Beschwerde ist begründet.
1. Die Auffassung des FG, der Kläger sei nach § 48 Abs. 1 FGO nicht klagebefugt, trifft nicht zu. Für das summarische Verfahren der Aussetzung der Vollziehung ist davon auszugehen, daß die Unterbeteiligung des Klägers keine echte (typische oder atypische stille), sondern eine mitunternehmerische in dem Sinne ist, daß der Kläger nicht (nur) Mitunternehmer an einer zwischen ihm und dem Hauptbeteiligten bestehenden Innengesellschaft, sondern Mitunternehmer unmittelbar an der KG selbst ist. So hat ihn bisher das FA auch behandelt und auch das FG hat ihn bei der Entscheidung über den streitigen Aussetzungsantrag einem Kommanditisten gleichgestellt. Die dem Großen Senat des BFH zur Entscheidung vorgelegte Frage, inwieweit über (echte) Unterbeteiligungen im einheitlichen Gewinnfeststellungsverfahren der Hauptgesellschaft zu befinden ist (vgl. Beschluß vom 28. Juni 1972 I R 206/67, BFHE 106, 261, BStBl II 1972, 803), spielt daher im Streitfall keine Rolle. Das FG hat nun zwar zutreffend unter Hinweis auf § 48 Abs. 1 FGO ausgeführt, daß auch ein Mitunternehmer den einheitlich festgestellten Gesamtgewinn einer Personengesellschaft nicht mit der Klage anfechten kann, wenn er nicht geschäftsführungsbefugt ist. Das gilt jedoch nur für den Regelfall. Im Streitfall ist aber der Kläger unstreitig im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Feststellungsbescheide bereits aus der KG ausgeschieden gewesen. In einem solchen Fall ist der ausgeschiedene Gesellschafter ohne Rücksicht auf die Beschränkung des § 48 Abs. 1 FGO klagebefugt, da seine Belange nicht mehr durch den oder die geschäftsführenden Gesellschafter wahrgenommen werden (vgl. die Entscheidung des Senats vom 4. Mai 1972 IV 251/64, BFHE 105, 449, BStBl II 1972, 672, vgl. auch das BFH-Urteil vom 1. April 1958 I 171/57 U, BFHE 67, 35, BStBl III 1958, 285). Die Begründung des FG trägt also dessen Entscheidung nicht. Der Aussetzungsantrag des Klägers kann nicht wegen Fehlens der Klagebefugnis abgewiesen werden.
2. Dieser Antrag kann auch nicht deshalb von vornherein als aussichtslos angesehen werden, weil mit ihm die Berücksichtigung eines (höheren) Verlustes begehrt wird. Grundsätzlich kann zwar die Aussetzung der Vollziehung eines einheitlichen Gewinnfeststellungsbescheides nicht mit Erfolg mit dem Hinweis begründet werden, es sei ein zu geringer Verlust festgestellt worden (vgl. das Urteil des Senats vom 5. November 1971 IV R 242/70, BFHE 103, 546, BStBl II 1972, 218); denn im Aussetzungsverfahren kann nur die vorläufige Nichtberücksichtigung eines ergangenen, nicht aber die vorläufige Berücksichtigung eines nicht ergangenen Bescheides begehrt werden. Der Streitfall weist jedoch folgende Besonderheiten auf, die eine Aussetzung der Vollziehung nicht von vornherein als rechtlich ausgeschlossen erscheinen lassen:
a) Hinsichtlich der Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Gewinnfeststellungsbescheide 1965 und 1966 ist die Rechtslage schon deshalb eine besondere, weil diesen (endgültigen) Bescheiden bereits andere (vorläufige) Bescheide vorausgegangen sind. Die Aussetzung der Vollziehung der endgültigen Bescheide vom 22. Dezember 1971 würde daher bewirken, daß im Umfange ihrer vorläufigen Nichtbeachtung die bisherigen (vorläufigen) Bescheide vom 5. Dezember 1966 und vom 10. Dezember 1968 maßgeblich blieben. Das gilt z. B. auch bezüglich der Frage der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung. Kann wegen einer Aussetzung der endgültigen Bescheide die Verneinung der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zunächst nicht beachtet werden, so bleibt die Anerkennung der Ordnungsmäßigkeit in den vorangegangenen Bescheiden zunächst maßgeblich. Ebenso kann der Einwand, die Verluste oder Verlustanteile seien höher als sie in den endgültigen Bescheiden festgestellt worden seien, dazu führen, daß bei der Aussetzung der Vollziehung dieser Bescheide die Verluste jedenfalls bis zur Höhe der in den ursprünglichen (vorläufigen) Bescheiden festgestellten vorerst zu berücksichtigen sind.
b) Aber auch hinsichtlich der (erstmaligen) Gewinnfeststellungsbescheide 1967 und 1968 ist eine Aussetzung der Vollziehung nicht von vornherein ausgeschlossen. Mit Recht weist hier der Kläger darauf hin, daß die Rechtslage dann anders sein kann, wenn das Wohnsitz-FA, ohne die Feststellungsbescheide abzuwarten, die "Folgebescheide" schon vorweggenommen und bei den Einkommensteuerveranlagungen die höheren Verluste bereits berücksichtigt hat, so daß es nun darum geht, daß die Einkommensteuerbescheide nach § 218 Abs. 4 AO auf Grund der erstmaligen Gewinnfeststellungsbescheide geändert werden sollen (über die Zulässigkeit dieses Verfahrens vgl. das Urteil des Senats vom 4. Dezember 1969 IV 120/64, BFHE 98, 310, BStBl II 1970, 778). In Fällen solcher Art kann tatsächlich die Aussetzung der Vollziehung der Grundlagenbescheide zur Folge haben, daß die bereits durchgeführten Veranlagungen vorerst nicht nach § 218 Abs. 4 AO geändert werden können, es sei denn, sie seien ohnehin gemäß § 100 AO für vorläufig erklärt worden.
Da die Vorinstanz die Aussetzung der Vollziehung der streitigen Gewinnfeststellungsbescheide mit unzutreffender Begründung abgelehnt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses nun Gelegenheit hat, materiell zur Frage Stellung zu nehmen, ob ernstliche Zweifel gegen die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide bestehen (zur Möglichkeit einer Zurückverweisung auch im Beschwerdeverfahren vgl. den Beschluß des Senats vom 15. Februar 1967 IV B 18/66, BFHE 87, 502, BStBl III 1967, 181).
Fundstellen
Haufe-Index 70645 |
BStBl II 1974, 220 |
BFHE 1974, 506 |